Attributionsforschung: Hitzewelle in Westeuropa geht auf Klimawandel zurück

Wetterextreme schon im Frühjahr bedrohen Saaten und gefährden Menschen, die auf so etwas in dieser Jahreszeit noch nicht vorbereitet sind.

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(Bild: Mykola Mazuryk/Shutterstock.com)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Hanns-J. Neubert
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Der Sommer ist noch nicht einmal ganz da, schon lassen viel zu frühe Wetterextreme in den beliebtesten europäischen Touristengebieten die Ferienpläne von Urlaubern wanken.

Erst trockneten die Flüsse in Oberitalien aus, dann erlebten die westlichen Mittelmeeranrainerstaaten Ende April eine außergewöhnliche Hitzewelle. In einigen Gegenden lagen die Temperaturen bis zu 20 Grad Celsius über ihrem Normalwert. Bisherige nationale Aprilrekorde wurden im Süden von Portugal mit 36,9 Grad, in Spanien 38,8 Grad gebrochen. In Algerien stieg das Thermometer am 28. April auf 40 Grad, und in den marokkanischen Städten Sidi-Slimane, Marrakesch und Taroudant auf über 41 Grad.

Die Hitzewelle traf auf Böden, die durch die mehrjährige Dürre sowieso schon ausgetrocknet waren und verschärfte einmal mehr die Wasserknappheit, an der allerdings auch die Landwirte nicht unschuldig sind. Sie pumpten über zum Teil illegal gebohrte Brunnen Wasser auf Felder und in Gewächshäuser, wo sie Erdbeeren und Tomaten für den Export auch nach Deutschland produzierten.

Diese Wetterlage wurde durch die globale Klimaerwärmung hundert Mal wahrscheinlicher – konservativ gerechnet. Denn die Hitze in Westeuropa nimmt offenbar schneller zu, als es die bisher üblichen Klimamodelle simulierten.

Zu diesem Schluss kamen Forscher aus Marokko, Frankreich, den Niederlanden, den USA und dem Vereinigten Königreich in einer so genannten Zuordnungs-Studie (Attributionsforschung). Darin bewerteten sie, inwieweit die Wahrscheinlichkeit und Intensität einer solchen Hitzewelle durch den menschengemachten Klimawandel erhöht wurden.

Die Wissenschaftler veröffentlichten die Studie eigenständig ohne die normalerweise übliche Begutachtung in einem Peer-Review-Prozess. Es war ihnen nämlich wichtig, die Öffentlichkeit so schnell wie möglich über die Zusammenhänge zwischen dem Klimawandel und diesem Hitzewetter-Extrem zu informieren.

Allerdings hatten die zugrunde liegenden Methoden bereits den üblichen Veröffentlichungsprozess durchlaufen. Es geht dabei nämlich um den Vergleich zwischen dem Modell einer sogenannten kontrafaktischen Erde mit einer Erde, wie sie sich heute anhand von Messdaten zeigt. Eine kontrafaktische Erde existiert nur in der Computersimulation, in der Menschen keine Treibhausgase emittiert haben. Aus dem Vergleich dieser beiden Welten lassen sich Aussagen darüber treffen, ob ein Ereignis durch die anthropogene Klimaerwärmung wahrscheinlicher geworden ist oder nicht.

"Während Europa und Nordafrika in den letzten Jahren immer häufiger von Hitzewellen heimgesucht wurden, war die jüngste Hitze im westlichen Mittelmeerraum so extrem, dass sie auch im heutigen wärmeren Klima ein seltenes Ereignis darstellt", schreiben die Forscher. "Diese Hitzewelle kam zu einer kritischen Zeit für die Pflanz-Saison in den westmediterranen Ländern."

Nicht nur das: "Hitzewellen gehören zu den tödlichsten Gefahren", heißt es in der Analyse. "Die vollen Auswirkungen einer Hitzewelle werden oft erst Wochen oder Monate später bekannt, wenn die Totenscheine ausgewertet sind oder Wissenschaftler die überzähligen Todesfälle analysieren können."

Im Gegenzug konnten die Forscher aus ihren Simulationen auch ableiten, dass die Zahl der hitzebedingten Todesfälle in Städten mit einer hitzeangepassten Planung zurückgegangen war. Nämlich dort, wo der städtische Hitze-Insel-Effekt durch Grün- und Freiflächen verringert wurde. Auch Hitze-Frühwarnsysteme hatten offenbar geholfen, dass sich Großstadtbewohner rechtzeitig anpassten.

Doch dann kam der der Mai und das östliche Norditalien und Kroatien versanken in extremen Regenfluten. Deutschland erlebte so etwas im Sommer 2021 im Ahrtal. Aber im Süden traf der Regen auf einen ausgetrockneten Boden, hart wie Beton, in dem die eigentlich dringend benötigten Wassermengen nicht versickern konnten.

In einigen Gebieten der Region Emilia-Romagna fielen in 36 Stunden bis zu 50 Zentimeter Regen – das ist rund die Hälfte der eigentlich jährlichen Menge. Dabei hatte die italienische Regierung gerade zuvor einen Sonderkommissar für Trockenheit und Dürre ernannt. Sein Name ein Omen: Nicola Dell’Acqua, Nicola vom Wasser.

Inwieweit so ein Extremregen-Ereignis durch die Klimaerwärmung häufiger und intensiver geworden ist, lässt sich jedoch nicht so einfach ableiten. Denn Sturzregen ergießt sich nur in relativ eng begrenzten geografischen Gebieten, die meist kleiner sind als die Rechenraster der Klimamodelle. Hinzu kommt, dass die natürliche Variabilität extremer Niederschläge von einem Jahr zum nächsten an einem bestimmten Ort sehr groß ist, wodurch man das Signal des Klimawandels nur schwer erkennen kann. Global gesehen ist allerdings klar, dass mit steigender Erderwärmung auch extreme Niederschlagsereignisse häufiger werden. Denn wärmere Luft speichert mehr Wasser, das schlicht irgendwann runterkommen muss.

Das erklärt auch die Wolkenbrüche an den Küsten der nördlichen Adria. Ein ausgeprägtes Tief über der Region Emilia-Romagna führte feuchte und warme Luft aus dem Balkan heran, die sich über dem Mittelmeer noch einmal zusätzlich mit Wasser aufgeladen hat, das sich dann über mehrere Tage hinweg über dem Land entlud.

"Die gute Nachricht dabei ist, dass für die Hochwasserregion das schlimmste zunächst überstanden zu sein scheint", schreibt Felix Dietzsch vom Deutschen Wetterdienst in einem Schwerpunktartikel. "Die schlechte Nachricht dagegen ist, dass es dafür jetzt in anderen Teilen Italiens heftig regnen wird." Denn auf der windabgewandten Seite des Atlas-Gebirges im Nordwesten Afrikas bilde sich ein neues, kräftiges Mittelmeertief, das in Richtung des Tyrrhenischen Meeres zieht.

Bleibt zu hoffen, dass auch das ausgetrocknete Spanien etwas von dem lang ersehnten Regen abbekommt. Denn das Land ist so trocken wie seit mindestens 1200 Jahren nicht.

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(jle)