Warum einer Frau ein lebensveränderndes Hirnimplantat wieder entnommen wurde

Der Australierin Rita Leggett half ein experimentelles Neuro-Implantat im Gehirn, ein besseres Leben zu führen. Doch behalten durfte sie es nicht.

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(Bild: Shutterstock)

Lesezeit: 12 Min.
Von
  • Jessica Hamzelou
Inhaltsverzeichnis

Rita Leggett stammt aus Australien – und sie trug über längere Zeit ein experimentelles Hirnimplantat, das ihr in ihrem Alltag enorm half. Es habe ihr neues Selbstwertgefühl gegeben, sagt sie, und sei "eins mit ihr geworden". Entsprechend war sie am Boden zerstört, als man ihr zwei Jahre später mitteilte, dass das Implantat wieder entfernt werden müsse. Das Unternehmen, das es hergestellt hatte, war pleitegegangen.

Was "nur" ein privates medizinisches Problem darzustellen scheint, könnte jedoch noch deutlich größere Auswirkungen haben. Ethiker glauben, dass es sich bei dem Vorgang um einen Verstoß gegen die Menschenrechte der Patientin handeln könnte, wie es in einem Anfang Mai erschienenen Paper heißt. Das Thema dürfte nur noch dringlicher werden, wenn der Markt für Hirnimplantate in den kommenden Jahren wächst und mehr Menschen ein Gerät wie das von Leggett erhalten.

"Es könnte einige neue Formen von Menschenrechtsverletzungen geben, die wir noch gar nicht verstanden haben", sagt etwa Marcello Ienca von der TU München, selbst Ethiker und einer der Mitautoren der Studie.

"Der Zwang, die Entfernung des Geräts ertragen zu müssen, nahm ihr die neue Person, die sie durch die Technik geworden war", schreiben Ienca und seine Kollegen in durchaus dramatischen Worten. Der Hersteller des Geräts habe diese Person somit geschaffen – und sie der Patientin dann wieder genommen. Leggett erhielt ihr Gerät während einer klinischen Studie für Gehirnimplantate, die Menschen mit Epilepsie helfen sollen. Schon mit drei Jahren war bei ihr eine schwere chronische Epilepsie diagnostiziert worden, die regelmäßig zu heftigen Anfällen führte.

Die Unberechenbarkeit der Anfälle machte es ihr schwer, ein normales Leben zu führen, sagt Frederic Gilbert, einer der Mitautoren des Papers und Ethiker an der Universität von Tasmanien, der sie regelmäßig interviewt. "Sie konnte nicht mehr allein in den Supermarkt gehen und verließ kaum noch das Haus", sagt er. "Es war niederschmetternd."

Leggett wurde für die klinische Studie rekrutiert, als sie 49 Jahre alt war, sagt Gilbert. Ein Forschungsteam in Australien testete die Wirksamkeit eines Geräts, das Menschen mit Epilepsie vor bevorstehenden Anfällen warnen sollte. Den Probanden wurden dazu vier Elektroden implantiert, um ihre Gehirnaktivität zu überwachen. Die Aufzeichnungen wurden an ein Gerät gesendet, das einen Algorithmus trainierte, um Muster zu erkennen, die einem Anfall vorausgehen.

Ein portables Gerät zeigte dann an, wie wahrscheinlich ein Anfall in den nächsten Minuten oder Stunden war – ein rotes Licht symbolisierte einen unmittelbar bevorstehenden Anfall, während ein blaues Licht beispielsweise bedeutete, dass ein Anfall sehr unwahrscheinlich war. Leggett meldete sich bei der Studie an und ließ sich das Gerät im Jahr 2010 implantieren.

Während es bei den anderen Studienteilnehmern zu unterschiedlichen Ergebnissen kam, funktionierte das Gerät bei Leggett hervorragend. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie das Gefühl, eine Kontrolle über ihre Epilepsie zu haben – und über ihr Leben. Denn dank der Vorwarnung durch das Gerät konnte sie Medikamente einnehmen, die das Auftreten von Anfällen letztlich verhinderten.

"Ich hatte das Gefühl, wieder alles tun zu können", sagte sie Gilbert in einem der Interviews, die sie in den folgenden Jahren mit den Forschern führte. "Ich konnte Auto fahren, ich konnte Menschen treffen, ich war wieder eher in der Lage, gute Entscheidungen zu treffen." Leggett selbst, inzwischen 62 Jahre alt, wollte für diesen Text nicht sprechen, da sie sich gerade von einem Schlaganfall erholt. Für sie wurden die Elektroden zu einem Teil ihrer selbst, sagte sie. "Wir wurden chirurgisch miteinander verbunden." Sie sei "eins mit der Technik" geworden.

Gilbert und Ienca beschreiben in ihrem Paper eine symbiotische Beziehung, als ob zwei Wesen voneinander profitieren. In diesem Fall profitierte die Patientin von dem Algorithmus, der ihr half, ihre Anfälle zu erkennen. Der Algorithmus wiederum nutzte die Aufzeichnungen der Gehirnaktivitäten der Frau, um selbst genauer zu werden. Aber das Wunder war nicht von Dauer. Im Jahr 2013 ging NeuroVista, dem Unternehmen, das das Implantat hergestellt hatte, das Geld aus. Man gab den Probanden den Rat, das Implantat entfernen zu lassen. (Mittlerweile existiert NeuroVista gar nicht mehr.)

Leggett war am Boden zerstört. Sie versuchte mit allen Mitteln, das Implantat zu behalten. "[Leggett und ihr Mann] versuchten, mit dem Unternehmen zu verhandeln", sagt Gilbert. "Sie wollten sogar eine Hypothek auf ihr Haus aufnehmen, um es zu kaufen." Am Ende war Leggett die letzte Person in der Studie, der das Implantat entfernt wurde – gegen ihren Willen. "Ich wünschte, ich hätte es behalten können", so Leggett zu den Forschern. "Ich hätte alles getan, um es zu behalten." Jahre später weint sie immer noch, wenn sie über die Entfernung des Implantats spricht, sagt Gilbert. "Das ist eine Art Trauma."