"Der Herr der Ringe – Gollum": Daedalic entschuldigt sich für Debakel – zu spät

Daedalic hat "Gollum" in unbrauchbarem Zustand auf den Markt geworfen. Dafür bitten die Hamburger nun um Entschuldigung – als hätte man es nicht vorher gewusst.

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(Bild: Daedalic)

Lesezeit: 4 Min.

Es bereitet mir als Daedalic-Fan keine Freude, das zu schreiben: "Der Herr der Ringe: Gollum" ist eine Blamage für das Hamburger Entwicklerstudio und eine Peinlichkeit für die deutsche Spielebranche. "Gollum" sollte mit Entwicklungskosten von mindestens 5 Millionen Euro der große Wurf sein, stattdessen wurde es zum Spott des Internets. Jetzt bittet Daedalic in einem glattgebügelten PR-Post auf Twitter um Entschuldigung für den inakzeptablen Zustand des Spiels. Doch das bringt auch nicht mehr viel. "Gollum" hätte so niemals veröffentlicht werden dürfen.

Ich habe "Gollum" zum ersten Mal im Mai 2022 bei einer Pressevorführung von Daedalic in Bewegung gesehen. Ich erinnere mich daran, wie schockiert ich von den offensichtlichen technischen Mängeln war. Überrascht haben mich aber auch die Gesichter der Entwickler, die durch die Demo führten. Es waren freudlose Gesichter, die dort niedergeschlagen die Fragen der Journalisten beantworteten. Für mich stand ab dieser Demo fest: "Gollum" hat massive Probleme, wenn nicht einmal die Entwickler an ihr eigenes Spiel glauben.

Ein Kommentar von Daniel Herbig

Daniel Herbig berichtet auf heise online über Videospiele, Unterhaltungselektronik und andere Gadgets.

Die Baustellen von "Gollum" waren selbst für Außenstehende offensichtlich: Animationen, Mimik, Charaktermodelle und Zwischensequenzen ließen schon damals einen Software-Unfall vermuten. Und trotzdem wurde brav das typische Marketing-Programm abgespult. Mehrfach wurde das Spiel verschoben, und dann: Hurra, wir haben Gold-Status erreicht! Kauft bitte nicht nur die 50 (!) Euro teure Standard-Edition, sondern am besten gleich die Precious-Edition für 60 Euro. Darin sprechen die Elben Sindarin. Wie sich die Entwickler, die um die Schwächen des Spiels wussten, wohl dabei gefühlt haben?

Wer die 60 Euro teure "Precious Edition" von "Gollum" kauft, bekommt Elben, die Sindarin sprechen. Sprachausgabe hinter einer zusätzlichen Paywall – das ist selbst in der zynischen Spielebranche unerhört.

(Bild: Daedalic)

Als eines der "meistbeachteten Spiele, das jemals in Deutschland entwickelt wurde" beschrieb die PR "Gollum" schließlich zum Release. Zumindest dieser Teil stimmt. Gameswirtschaft-Chefredakteurin Petra Fröhlich bringt es auf den Punkt: "Man muss weit in den Annalen zurückblättern, um ein Spiel zu finden, bei dem ein deutsches Studio an und mit solchen Lizenzen arbeiten durfte. Noch weiter muss zurückblättern, wer auf ein Produkt stoßen will, das von Presse und Publikum derart heftig verprügelt wurde."

Und jetzt also, zwei Tage nach dem Release, dieser Twitter-Post. "Wir bedauern zutiefst, dass das Spiel unsere eigenen Erwartungen und die Erwartungen der Community nicht erfüllt", schreibt Daedalic da. Zwei Tage, nachdem das Spiel unter Begleitung der üblichen Werbefanfaren zum Quasi-Vollpreis von 50 (!!) Euro veröffentlicht wurde. Als hätte man es nicht kommen sehen.

Daedalic hätte vor Release handeln sollen, anstatt jetzt, wo die Vorbesteller und Day-1-Käufer das Schlamassel schon am eigenen Leib erfahren mussten, ein fadenscheiniges "Sorry!" abzusetzen. Konsequenzen entstehen durch den Post übrigens nicht: In Spiele-Stores wie Steam wird "Gollum" munter weiterverkauft. Für 50 (!!!) Euro. Keine Warnung, kein Hinweis, nichts – abgesehen von den ohrenbetäubenden Alarmsirenen, die vernichtende 34 Prozent Steam-Nutzerempfehlungen in die Welt posaunen.

Der Schritt zu einem 3D-Adventure ist für ein Studio, das in diesem anspruchsvollen Genre bislang keinerlei Erfahrung gesammelt hat, sicher eine Herausforderung. Es kann passieren, dass das nach hinten losgeht. Dann muss man eben die Reißleine ziehen. Oder den Preis senken. Oder allermindestens nicht die eigentliche Vollversion des Spiels hinter einer noch teureren "Precious-Edition" verstecken. Das ist das wirklich Schlimme: Daedalic muss sich neben der verkorksten Entwicklung auch noch eklige Geschäftspraktiken vorwerfen lassen.

Es mag sein, dass man manche der "Gollum"-Fehltritte der neuen Daedalic-Mutterfirma Nacon in die Schuhe schieben kann. Wer viele Daedalic-Spiele so liebgewonnen hat wie ich, findet das sicher verlockend. So oder so muss Daedalic für dieses Debakel aber mit seinem eigenen Namen herhalten. Und mit einem kurzen Entschuldigungsbrief auf Twitter ist dieses traurige Kapitel noch lange nicht abgeschlossen. Seinen guten Ruf muss sich Daedalic nun zurückkämpfen – hoffentlich gelingt das.

(dahe)