KI-Szene wächst: Berliner Neugründung nyonic plant generative KI aus Europa

In Berlin ist eine neue Firma entstanden, die Foundation Models anzubieten plant. Die globale Leiterin der KI-Abteilung von SAP Dr. Feiyu Xu wechselt zu nyonic.

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Moleküle

(Bild: Anusorn Nakdee / Shutterstock.com)

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Von
  • Silke Hahn
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Eine Berliner Neugründung plant, eigene KI-Basismodelle anzubieten. Nyonic werde laut Website große Sprachmodelle mit Industrie-Fokus entwickeln, die mehrsprachig sind, um europäischen Anwendungsfällen gerecht zu werden, und deren Entstehungsprozess bis zur Auslieferung den ethischen und rechtlichen Anforderungen in der Europäischen Union entsprechen soll.

Eine CEO-Doppelspitze steht der Neugründung vor: Die Geschäfte für Europa führt Vanessa Cann, die noch bis Ende Juni die geschäftsführende Leitung des KI-Bundesverbands innehat und durch ihre Aktivitäten in Wirtschaft und Politik in Deutschland als einflussreiche KI-Netzwerkerin gilt, das globale Geschäft leitet der KI-Forscher und Serienunternehmer Han Dong. Cann wird ihre Tätigkeit beim KI-Bundesverband aufgeben, um sich ganz nyonic zu widmen. heise online gab sie Einblick in die Hintergründe der Neugründung: Insbesondere die US-amerikanischen Anbieter seien stark auf Endkunden ausgerichtet. Die Modelle, die nyonic zu entwickeln vorhat, sollen hingegen den Bedürfnissen der europäischen Industrie entsprechen.

Zurzeit sei das Team dabei, die Daten aufzubereiten, zu säubern und zusammenzuführen, um zeitnah mit dem Training eines KI-Basismodells zu beginnen. Der Trainingsbeginn ist für das dritte Quartal 2023 geplant, die Veröffentlichung stehe für das erste Quartal 2024 an. Die Firma sitzt am AI Campus in Berlin, eigene Rechencluster betreibe nyonic nicht. Für das Training greife man auf die in Europa verfügbaren Rechenkapazitäten kommerzieller Anbieter zurück. "Gerne würden wir unsere Modelle selbst auf einer solchen Infrastruktur trainieren", erklärte Cann hierzu, "und wir merken bei der Verfügbarkeit von GPUs, wie abhängig man als europäisches Unternehmen von US-amerikanischen Hyperscalern ist." Wenn es in Europa gelingen solle, leistungsfähige Modelle zu entwickeln, sei ein starkes Ökosystem aus Industrieunternehmen, KI-Start-ups, Investoren, Wissenschaft und öffentlicher Hand nötig. Das Start-up nyonic ist Mitglied des KI-Bundesverbands und werde laut Cann daher die Initiative LEAM (Large European A Models) in Zukunft "tatkräftig unterstützen".

Das insgesamt fünfköpfige Gründungsteam von nyonic vereint weitere in der deutschen KI-Szene bekannte Persönlichkeiten: So wurde mit der Gründung bekannt, dass Dr. Feiyu Xu, derzeit noch weltweite Leiterin der KI-Entwicklung von SAP, im Oktober 2023 als Chief Innovation Officer zu nyonic wechselt. Sie verfügt über 20 Jahre KI-Erfahrung, hatte zuletzt die KI-Strategie bei SAP entworfen und gilt als Expertin für geschäftsgetriebene KI-Anwendungen.

Die technische Entwicklung leitet der KI-Forscher Dr. Johannes Otterbach, der die KI-Einheit beim Berliner Unternehmen Merantix Momentum leitet. Otterbach hatte zu Zeiten von GPT-3 bei OpenAI an der API mitgearbeitet und war unter anderem auch für Palantir tätig. Als akademischer Forscher hatte er sich vor allem mit theoretischer Physik und Quantencomputing befasst. Die Verbindung von Quantencomputing und Machine Learning könnte für künftigen Fortschritt in dem Feld richtungsweisend sein und bereits in der nächsten Zeit (ab 2025/ 2028) für die industrielle Anwendung greifbar werden.

Derzeit befindet nyonic sich laut Vanessa Cann in Gesprächen mit potenziellen Investoren. Das Interesse sei groß. Drei der fünf Gründungsmitglieder haben bereits zuvor Start-ups gegründet (Dong, Uszkoreit und Xu). CTO Otterbach war am Aufbau von OpenAI beteiligt und soll über ein umfassendes Verständnis moderner KI-Technologie und der Arbeitsweise des ChatGPT-Anbieters verfügen.

Da das Gründungsteam teils beim KI-Bundesverband aktiv und das Unternehmen selbst dort Mitglied ist, war es naheliegend, nach LEAM zu fragen, der vom Verband angestoßenen Initiative für Kooperationen zu großen KI-Modellen in Europa, deren Ziel unter anderem dezidierte KI-Recheninfrastruktur in Europa ist (ein ähnliches Anliegen verfolgt etwa auch das in Hamburg ansässige Open-Source-Netzwerk LAION mit Vorschlägen für internationale Superrechenzentren, allerdings eher für quelloffene und forschungsnahe große KI-Modelle).

Thomas Saueressig, Mitglied des Vorstands bei SAP, äußerte in einer öffentlichen Stellungnahme Bedauern über den Verlust Feiyu Xus für Walldorf und betonte zugleich die Bedeutung einer lebendigen Start-up-Szene und branchenübergreifender Zusammenarbeit. SAP hatte Ende Mai bei der jährlichen Hauskonferenz SAPPHIRE in Orlando angekündigt, neben Microsoft mit einer Reihe weiterer Anbieter von Foundation-Modellen zu kooperieren. Namentlich genannt wurden unter anderem Databricks und das deutsche KI-Unternehmen Aleph Alpha. Bei SAP seien rund 80 Projekte zu Foundation Models in Gange, war vergangene Woche bei einem Pressebriefing zu vernehmen, mit unterschiedlichen Partnern und Use Cases.

Nyonic hat laut Vanessa Cann "viele neue Schwerpunkte", die das Start-up von anderen Unternehmen unterscheide. Gleichzeitig gebe es Berührungspunkte mit anderen Projekten. Da Foundation-Modelle fast alle Bereiche der Gesellschaft und Wirtschaft transformieren werden, seien jedoch "auch fünf oder zehn Unternehmen in diesem Feld immer noch zu wenig".

Europäische Souveränität sei das übergeordnete gemeinsame Anliegen, man werde daher zu möglicher Zusammenarbeit "mit Playern des europäischen Ökosystems offen in Gespräche gehen". Was die vorhandenen Anbieter eint, sei das gemeinsame Ziel, Europa aus der wachsenden Abhängigkeit von wenigen US-amerikanischen Anbietern zu lösen. In Europa gilt es, die europäische Rechtsprechung, das Urheberrecht und den Datenschutz zu berücksichtigen, was Unternehmen vor besondere Herausforderungen stellt. Industriemodelle zu entwickeln, sei daher der Schwerpunkt. Neben den üblichen großen Datensätzen, die bei allen Anbietern aus ähnlichen Quellen stammen, werde nyonic "zusätzlich weitere und andere Daten inkludieren", um in Canns Worten der multikulturellen und mehrsprachigen europäischen Gesellschaft und Industrie gerecht zu werden

Die wissenschaftliche Leitung bei nyonic übernimmt als fünfter Mitgründer Professor Hans Uszkoreit vom Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI), der als Computerlinguist über mehr als dreißig Jahre Erfahrung mit KI verfügt. Für das Berliner Büro des DFKI ist er laut nyonic-Website weiterhin in Teilzeit beratend tätig. Uszkoreit ist Mitglied der Europäischen Akademie der Wissenschaften und mahnt schon seit Langem, dass Europa bei generativer KI und insbesondere der Grundlagentechnik der Foundation Models ins Handeln kommen müsse, wie er im Mai bei der Rise-of-AI-Konferenz in Berlin geäußert hatte.

In seinem Vortrag hatte Uszkoreit auf die drohende Abhängigkeit von chinesischen oder US-amerikanischen Foundation Models hingewiesen und für Deutschland als derzeit einzigen Anbieter von KI-Basistechnologie Aleph Alpha ausgemacht, für Europa insgesamt wenige vereinzelte Angebote wie das französische Modell BLOOM der BigScience-Initiative (die wiederum kein rein europäisches Projekt ist). Den Worten folgen nun offensichtlich Taten in Form einer Unternehmensgründung, die mit Blick auf die bevorstehende Regulierung von vornehmlich generativer KI in Europa durch den AI Act als mutig bezeichnet werden darf. Jörg Bienert, Vorstand des KI-Bundesverbands, begrüßt das neue Unternehmen als Beitrag zur digitalen Souveränität in Europa.

Ob im Falle von nyonic aufgrund der engen Verflechtung von Verbandstätigkeiten und wirtschaftlicher Aktivität der Gründungsmitglieder Interessenkonflikte bestehen, kam aus dem Open-Source-Umfeld in Internetkommentaren als Frage auf. Hierzu ist der Redaktion zum jetzigen Zeitpunkt nichts bekannt. Weiterführende Informationen, das Mission Statement sowie ausführliche Hinweise zum beruflichen und wissenschaftlichen Hintergrund des Gründungsteams sowie zu ehrenamtlichen Tätigkeiten lassen sich der nyonic-Website entnehmen.

Update

Vanessa Cann, CEO Europe von nyonic, gibt ihre Tätigkeit beim KI-Bundesverband Ende Juni auf: In der ersten Version der Meldung stand irrtümlich, sie werde den Verband parallel weiterführen.

(sih)