Herzschlag in der Petrischale

Der Firma Cellular Dynamics International ist womöglich ein medizinischer Durchbruch gelungen: Sie kann aus körpereigenen Zellen erstmals in größeren Mengen funktionstüchtige Herzzellen für Medikamententests und Grundlagenforschung produzieren.

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Von
  • David Ewing Duncan

Der Firma Cellular Dynamics International ist womöglich ein medizinischer Durchbruch gelungen: Sie kann aus körpereigenen Zellen erstmals in größeren Mengen funktionstüchtige Herzzellen für Medikamententests und Grundlagenforschung produzieren.

Eine neue Anwendung für Stammzellen hat die US-Firma Cellular Dynamics International (CDI) entwickelt: Herzzellen, die aus körpereigenen Stammzellen gewonnen werden. Für Forscher eröffnen sie eine Fülle von Möglichkeiten: Mit Hilfe der Zellen könnten sie künftig neue oder existierende Medikamente auf toxische Wirkungen sowie die Elektrodynamik gesunder und abgestorbener Herzzellen untersuchen.

Die „iCell Cardiomyocytes“ (iCC) gewinnen die Wissenschaftler, indem sie Zellen aus Blut oder Gewebe chemisch in den sogenannten pluripotenten Zustand zurückversetzen. Aus dem kann sich eine Zelle zu verschiedenen Körperzelltypen entwickeln, wenn sie entsprechend umprogrammiert wird.

Die Technik basiert auf Forschungen des CDI-Mitgründers James Thomson, einem Pionier der Stammzellforschung an der Universität von Wisconsin. In einer Studie, die von seiner Mitarbeiterin Junying Yu geleitet wurde, konnte Thomsons Gruppe 2007 zeigen, dass nahezu alle menschlichen Zellarten in „induzierte pluripotente Stammzellen“ (iPS) verwandelt werden können. Dies war zeitgleich auch dem japanischen Genetiker Shinya Yamanaka gelungen.

„Einer der größten Vorteile dieser Zellen ist, dass wir sie in größeren Mengen und auf Bestellung produzieren können“, sagt Robert Paley, Geschäftsführer von CDI. „Zuvor konnte man Herzzellen nur aus Leichen gewinnen, was die Verfügbarkeit einschränkte.“

Ein Kunde, der die neuen Herzzellen bei CDI bestellt, bekommt sie in einer kleinen Ampulle geliefert. Die enthält 1,5 bis 5 Millionen Herzzellen verschiedener Typen. Einige von ihnen können in einer Petrischale zum Pulsieren gebracht werden.

Anhand der Zellen will CDI Medizinern ermöglichen, die Reaktion des Herzgewebes auf bestimmte Medikamente zu testen. Auch sollen sie der Untersuchung genetischer Unterschiede zwischen zwischen verschiedenen – auch ethnischen – Bevölkerungsgruppen dienen. Denn bei manchen genetischen Gruppen wirken Medikamente mitunter nicht oder haben bedenklichere Nebenwirkungen als bei anderen. Für Personen, die aufgrund bestimmter Gene ein statistisch erhöhtes Risiko für bestimmte Nebenwirkungen haben, ließe sich dieses mit Hilfe der Zellen genau überprüfen. Einige Wissenschaftler wiederum wollen anhand der CDI-Zellen herausfinden, wie Wirkstoffe auf verschiedene Herzkrankheiten anschlagen.

„Das ist eine ziemlich vielversprechende neue Technologie“, lobt der Genetiker Leroy Hood vom Institut für Systembiologie in Seattle den Ansatz, weil damit Medikamente hinsichtlich der individuellen genetischen Veranlagung getestet werden können. „Aber wir müssen abwarten, wie vielversprechend.“

Die Grundlagenforschung könnte ebenfalls davon profitieren, dass nun größere Mengen von Herzzellen fürs Labor hergestellt werden können. Billig sind sie allerdings nicht: Laut Paley kostet eine Ampulle 1000 Dollar – 200 Dollar mehr als aus Leichen gewonnene Herzzellen. Die lassen sich in der Petrischale allerdings nicht mehr zum Schlagen anregen – weshalb sie sich für Untersuchungen der Elektrodynamik des Herzens nur bedingt eignen.

„Bisher konnte man solche Zellen nur in kleinen Mengen bekommen. Das genügte aber nicht für Hochdurchsatz-Tests“, sagt Sandra Engle, Stammzellforscherin beim Pharmakonzern Pfizer. Mit Hochdurchsatz-Tests („High Throughput Screening“) lassen sich im Labor Tausende potenzieller Wirkstoffe auf einmal untersuchen. Ein weiterer Vorteil: Aus dem von CDI erstellten Stammzellreservoir einer Person lassen sich auch später Herzzellen gewinnen, wenn bestimmte Medikamente weiterentwickelt worden sind. „Das war vorher nicht möglich“, fügt Engle hinzu.

Weil iPS körpereigene Stammzellen sind, vertragen sich aus ihnen abgeleitete Zellen mit dem eigenen Immunsystem. Das macht die CDI-Zellen auch zu Kandidaten für künftige Gewebetransplantationen am Herzen. „Derartige Therapien sind aber noch weit weg“, schränkt CDI-Chef Paley ein. „Wir wissen noch nicht, wie man iPS-abgeleitete Zellen im Gewebe zum Wachsen bringt.“

Pfizer-Forscherin Sandra Engle ist aber schon jetzt vom Wert der Zelltechnologie überzeugt: „Das ist ein Meilenstein. Die Technologie wird Biologie und Medikamentenentwicklung drastisch verändern.“ (nbo)