Arbeitsmarkt:​ Ältere Angestellte werden zu schnell abgeschrieben​

Immer mehr Menschen kommen ins Rentenalter und immer mehr Beschäftigte arbeiten länger. Allerdings klappt die Qualifikation Älterer in der IT wohl nicht gut.​

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(Bild: StockLite/Shutterstock.com)

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Von
  • Peter Ilg
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Die Generation 50 plus will es beruflich noch einmal wissen. Das ist ein Ergebnis einer Arbeitsmarktstudie der Personalberatung Königsteiner Gruppe. Die hat rund 3.000 Beschäftigte zwischen 50 und 65 Jahren zu ihren beruflichen Plänen befragen lassen, mit überraschenden Erkenntnissen: Für 40 Prozent der Teilnehmenden ist in diesem oder im nächsten Jahr ein Jobwechsel vorstellbar. Der Grund für die Veränderungsbereitschaft der älteren Generation liegt am erhöhten Interesse an ihrer Arbeitskraft. Die nimmt jeder Zweite durch den allgegenwärtigen Personalmangel wahr.

Was die eigene Leistungsfähigkeit betrifft, sieht sich der Großteil der wechselbereiten Älteren bereit für neue Aufgaben und auf dem Zenit der beruflichen Laufbahn. Zwei Drittel der Befragten sind überzeugt, heute produktiver oder genauso produktiv zu sein, wie im Alter zwischen 20 und 29 Jahren. Wohl deshalb sind fast alle von ihnen an einer beruflichen Weiterbildung interessiert.

"Arbeitgeber sollten gezielt Menschen der Generation 50 plus in ihre Recruitingstrategie einbeziehen. Zu oft werden Ältere abgeschrieben, während man der Generation Z – zwischen den Jahren 1995 und 2010 geboren – ein erstaunliches Anspruchsdenken inklusive bisweilen geringer Belastbarkeit fast beiläufig verzeiht", sagt Nils Wagener, Geschäftsführer der Königsteiner Gruppe. Damit lassen die Unternehmen das große Kandidatenpotential 50 plus links liegen.

Denn nur jeder Vierte wechselbereite Arbeitnehmer zwischen 50 und 65 Jahren ist im vergangenen Jahr von Arbeitgebern auf einen Jobwechsel angesprochen worden. "Das ist vor allem deswegen so fahrlässig, weil gerade ältere Beschäftigte einen profunden Erfahrungsschatz, hohe Belastbarkeit sowie eine ausgeprägte Leistungsbereitschaft einbringen", sagt Wagener. Darauf verzichten könne bei der großen Personalnot eigentlich kein Arbeitgeber.

Die Gründe, weshalb ältere Beschäftigte einer beruflichen Veränderung positiv gegenüberstehen, sind vielfältig. 45 Prozent der wechselbereiten Studienteilnehmenden suchen neue inhaltliche Aufgaben, 41 Prozent sind seit Längerem unzufrieden mit ihrem aktuellen Arbeitgeber und 32 Prozent treten nach eigenen Angaben derzeit beruflich auf der Stelle. Mehr als im früheren Arbeitsleben legen sie heute größeren Wert auf Arbeitsatmosphäre, Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben, flexible Arbeitszeiten und die Nähe zum Wohnort. Prioritäten verschieben sich im Laufe eines Lebens.

Zur Bewältigung des Fachkräftemangels wird darüber diskutiert, ältere Menschen noch stärker ins Erwerbsleben einzubinden. In Deutschland ist die Erwerbstätigenquote der 55- bis 64-Jährigen binnen zehn Jahren deutlich gestiegen: von 62 Prozent im Jahr 2012 auf knapp 72 Prozent im Jahr 2021. Im selben Zeitraum gab es in der Europäischen Union einen Anstieg in dieser Altersgruppe von 47 auf 60 Prozent. Damit ist diese Gruppe in Deutschland deutlich häufiger erwerbstätig als im EU-Durchschnitt.

Gleich groß wie in Deutschland ist die Quote in Dänemark, mit 77 Prozent ist sie in Schweden am höchsten. Diese Zahlen stammen vom Statistischen Bundesamt. "Eine höhere Erwerbsbeteiligung älterer Menschen wird jedoch künftig kaum kompensieren können, dass die jüngere Bevölkerung abnimmt und es dadurch deutlich weniger Erwerbspersonen in diesen Altersklassen gibt", sagt Frank Schüller, Arbeitsmarktexperte im Statistischen Bundesamt.

Auch jenseits der 64 Jahre hat sich der Anteil der Erwerbstätigen in Deutschland in kurzer Zeit deutlich erhöht. Während 2012 von den 65- bis 69-Jährigen noch 11 Prozent arbeiteten, lag der Anteil 2021 bei 17 Prozent – und damit ebenfalls über dem EU-Durchschnitt von 13 Prozent. 2012 sind es EU-weit 10 Prozent gewesen. Ein Grund für den Anstieg älterer Beschäftigter in Deutschland ist die stufenweise Anhebung des Renteneintrittsalters. Seit 2012 wird es von 65 auf 67 Lebensjahre angehoben.

In Deutschland hat sich in vielen Bereichen, in denen Fachkräfte fehlen, die Altersstruktur in den vergangenen Jahren durch den fortschreitenden demografischen Wandel deutlich verändert. So war beispielsweise von den Erwerbstätigen in naturwissenschaftlich-technischen Berufen 2021 fast ein Viertel 55 Jahre und älter. 2012 waren es noch 17 Prozent. Es nähern sich immer mehr ältere Beschäftigte dem Rentenalter und immer mehr ältere Menschen arbeiten länger.

Für Alexander Burstedde, Arbeitsmarktforscher am Institut der deutschen Wirtschaft, sind deshalb ältere Arbeitnehmende "Ursache und Lösung für den Fachkräftemangel zugleich". Aktuell leben viele Menschen um die 60 Jahre, die sogenannten Babyboomer, die früher oder später in Rente gehen. "Später ist für den Arbeitsmarkt gut", sagt Burstedde. Dazu müssten die Unternehmen aber auf die Menschen zugehen und ihnen frühzeitig attraktive Angebote für eine Weiterbeschäftigung machen. Mehr Geld, andere Aufgaben und Teilzeit sind Möglichkeiten.

"Wenn die Beschäftigten ein, zwei Jahre länger arbeiten, hilft das schon viel", sagt der Forscher und hat ein Zahlenbeispiel als Begründung für seine Aussage: "Jährlich gehen um die 300.000 Beschäftigte mehr in Rente, als Arbeitskräfte nachrücken. Wenn es uns noch schneller als bisher gelänge, Ältere für eine längere Lebensarbeitszeit zu gewinnen, könnte von dieser Lücke ein großer Teil geschlossen werden." Länger zu arbeiten sei möglich durch den medizinischen Fortschritt. Dadurch werden Menschen älter, sie sind länger gesund und damit auch länger arbeitsfähig.

Neben der Gesundheit ist Weiterbildung ein wichtiges Kriterium für die Beschäftigung älterer Menschen. "Empirisch betrachtet sinkt aber mit zunehmendem Alter die Weiterbildung", sagt Burstedde. Das scheint bei IT-Beschäftigten besonders ausgeprägt zu sein. Denn grundsätzlich sind immer weniger qualifizierte Arbeitskräfte arbeitslos. Gegen diesen Trend steigt jedoch die Zahl der hochqualifizierten Arbeitslosen in IT-Berufen. "Dies könnte ein Indiz dafür sein, dass in diesen Berufen zu wenig Weiterbildung stattfindet", sagt Burstedde. Arbeitgeber sollten auch älteren Angestellten Weiterbildungsangebote machen – und diese sollten die Angebote auch bis ins hohe Alter wahrnehmen.

(axk)