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Was war. Was wird. (Reminiszenzen und Statusberichte)

Lernkurven soll man bekanntlich ungebremst durchfahren; das ist nicht nur hilfreich, wenn die Werkzeuge mal wieder weiter sind als die Menschen, die sie nutzen sollen, meint Hal Faber, der 10 Jahre Wochenschau zu verkraften hat.

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Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich. Und nach 10 Jahren sei dieses Mal ein etwas weiterer und möglicherweise auch grundlegenderer Rückblick gestattet.

Was war.

*** Sind wir alles alte Säcke? Menschenskinder, Leute. So vergeht die Zeit. Vor 10 Jahren, am 6.2.2000 startete in der norddeutschen Tiefebene ein Projekt, dazu geeignet, die bescheidenen Zugriffszahlen auf den Newsticker am Wochenende anzuheben, aber auch als gepflegte Sonntagslektüre der Unentwegten. Eine kleine Wochenschau wurde installiert, die Informationsbröckchen zu sammeln, die es nicht zu einer richtigen Nachricht schaffen. 10 Jahre sind schnell rum, die Kinder sind aus dem Haus und müssen nicht mitten im WWWW-Schreiben zu irgendwelchen Fußballäckern gekarrt werden. Aus den Informationsbröckchen ist ein Informationsbröckchenberg geworden, so viele erwähnenswerte Nachrichtenschnippsel sammeln sich Woche für Woche an. Nein, das ist keine Informationsmüllhalde, aber dazu komme ich noch.

*** 10 Jahre und 536 Ausgaben, das ist aber auch sooo lange her. Zum Start der Wochenschau gab es keine Wikipedia, erst recht kein Facebook, das gerade auch Geburtstag feiert. Die deutsche Bloggerszene begann damals nur zögerlich, ein Wasserglas zu füllen: Der Schockwellenreiter, ein Großvater seiner Art, startete im April 2000 und benutzte dafür nicht das iPad, obwohl das doch viel älter ist. Ja, das WWWW begann mit langen Texten und nur wenigen Verlinkungen: Es sollte eben gerade kein Blog werden, wie es Doc Searls bei einer Diskussion im November 1999 vorgeschlagen hatte. Doch schnell wurde deutlich, dass die treuen Wochenschauleser einen besonderen Spaß an verlinkten Sachen hatten – Lernkurven soll man bekanntlich ungebremst durchfahren.

*** Das erste WWWW, die ersten Kommentare, der allererste Korinthenkacker zu einem Schreibfehler beim Namen des Slashdot-Gründers Rob Malda, überhaupt das Aufkommen der Forenkultur von Heise. Die Arbeit am WWWW machte von Anfang einen Riesenspaß. Heute längst vergessen, startete das WWWW auch deshalb hervorragend, weil Spiegel Online seine Foren schloss und Zig-Tausende von Beiträgen einfach gelöscht wurden, weil andere Verlage dazu übergingen, ihre Foren einer straffen Zensur zu unterwerfen. Die Freiheit des anders Lesenden endet an der Löschtaste. Das hat sich nicht verändert, die Medien werden zickiger, so manches frei getippte Wort geht ihnen zu weit und die Einrichtung einer Trollwiese ist ihnen zu aufwendig. Natürlich darf hier der Hinweis auf den Splitter im eigenen Auge nicht fehlen, der zu einem veritablen Balken wuchs, ehe er entfernt werden konnte. Und diese kleine Wochenschau bekam in der norddeutschen Tiefebene die schlechtesten Noten.

*** Das Internet, das ach so freie, befand sich zum Start der Wochenschau auf dem Höhepunkt seiner Kommerzialisierung. Zumindest sah es damals danach aus. Es knisterte bedrohlich und dann knallte es auch ordentlich, als im März 2000 die Dotcom-Blase platzte. Zurück zu kleineren, realistischen aber auch menschengerechteren Verhältnissen, das war ein Wunsch, der zum WWWW führte. Er stand gleich in der ersten Mail, mit der der Ticker-Redaktionsleiter Jürgen Kuri im Spätsommer 1999 begann, mich anzubaggern und abzuwerben. Ich schrieb damals Kolumnen auf toten Bäumen, die die Leser für das Internet begeistern sollte – es war die Zeit, als aus den technischen Hürden geknickte Streichhölzchen wurden und es nur noch schwache Ausreden gab, die Angebote im Netz nicht zu benutzen.

*** Wie begann noch mal das erste WWWW? Mit einem Satz zum angeblichen Information Overload, gegen den ad anno Gutenbergensis schon immer der beherzte Gebrauch von Filtern geholfen hat. Und mit einem kleinen Gespött über die alten Medien, die eine Zeitungsente produzierten. Der ganze Absatz, schamlos kopiert, zeigt eine Entwicklung und auch keine Entwicklung: Filtermechanismen, die die Spreu von dem Weizen trennen sollen, die aber auch Nachrichten unterdrücken können, sind hochkomplizierte Kill-Files. Manchmal versagen sie und schon debattiert die Republik über das Fax des Kommandos Helmut Kohl. Die Fälschung vor einigen Tagen mit der Mitteilung, Kohl wolle die Spender doch nennen, schaffte es, von einigen Nachrichtenagenturen verbreitet zu werden, die keine Zeit zur Überprüfung des Faxes hatten. Das Kommando hatte Tatzeit wie Tatort gut gewählt, einen Sonntagnachmittag in unterbesetzten Agenturen. Eine E-Mail mit denselben Behauptungen wäre wohl glatt nach dev null gewandert. Damit sich solche Pannen nicht wiederholen, wollen die Agenturen jetzt Codes an Parteien und Verbände ausgeben, die häufig Pressemeldungen faxen. Fehlt der Code, ist das Fax nicht authentisch. Bei E-Mail, deren Anteil am Nachrichtenaufkommen noch minimal ist, soll das Verfahren nicht eingesetzt werden. Der Enten-Schutz sei hier nicht nötig, weil die Kennung viel schwieriger zu fälschen sei, meint ein dpa-Mann. Eine mutige Aussage im Zeitalter des Spam.

*** Faxe, durch einen Code zertifiziert, sind heute längst Geschichte, weil faxen als Technologie ausstirbt, noch vor dem Zeitungsdruck, den sie eigentlich nach einem Plan von Nikola Tesla beerben sollte. So mancher Müll, den Agenturen heute produzieren, entsteht durch E-Mail ohne Entenschutz, durch einen Tweet ohne jegliche Quellenprüfung. Man kann bei Stefan Niggemeier lesen, dass die Verhältnisse sich nicht gebessert haben. Ganz nebenbei hat auch die Frage, wer denn die Geldspender der CDU waren, nichts an Brisanz verloren: Wir haben einen Finanzminister, den diese Frage mal beschäftigt hat. Und wir haben eine Debatte um Steuersünder-CDs, in der erstaunlich oft das Wort Moral vorkommt und nicht Morast, das die politische Argumentation um den Sport der Happy Few viel besser beschreibt.

*** Datürlich hat sich das WWWW über die Jahre verändert. Genau wie der Newsticker, der mittlerweile auch am Wochenende von Diensthabenden während der Wochenendschichten bestückt wird. Und erst das Internet! Zusammen mit dem digitalen Fortschritt haben wir heute Werkzeuge zur Verfügung, an die im Jahre 2000 nicht zu denken war – mitunter sind die Werkzeuge weiter als die Gesellschaft, die sie benutzen soll. Das führt bei technisch weniger interessierten Menschen zu panischen Reaktionen, während die aufgeschlossenen Geister überlegen, mit welcher Strategie man einen kühlen Kopf bewahren kann. Dass all das Neue auch das Gute ist, das da im rundum guten Internet auf uns zukommt, glauben wohl nur die Internetversteher mit ihrem Unbelehrbarkeitsdefekt.

*** Auffällig ist jedenfalls, dass über die Jahre hinweg sich die Missverständnisse nicht geändert haben. Im Jahre 1997 formulierte der Physiker Michael Goldhaber die Grundzüge seiner Theorie von der Aufmerksamkeitsökonomie, die eine neue Wirtschaftsgröße im Internet ins Spiel bringt, weil wir alle beachtet werden wollen. "The Internet is primarily a system for individuals to obtain attention for themselves." Jeder ist sein eigener Sascha Lobo. Der Mensch will Aufmerksamkeit auf sich ziehen, war die These, die heute huschhusch an die Geräte, wahlweise an die Medien weitergereicht ist, die von dieser Aufmerksamkeitsökonomie profitieren wollen. Die richtige Antwort auf diese Quirlerei war der sportliche Firstpost-Wettbewerb im Newsticker, bei Weitem mehr als ein schlichtes, schnelles "Erster".

*** Jaja, Erster. Die erste neue Theorie, die sich nach dem Start des WWWW entwickelte, war die von den Smart Mobs, den Schwärmen intelligenter Anwender, die sich gezielt zusammenfinden. Howard Rheingold schrieb schnell ein ganzes Buch darüber, ehe ein Schwarm auf den Gedanken kam. Das heißt heutzutage Book Sprint und produzierte gerade auf der Transmediale ein Buch, das – hier hat Jaron Lanier wohl recht – nur Suchmaschinen und andere e-Vehikel lesen werden. Aus der nämlichen schwärmerischen Ecke entwickelte sich nach den Smart Jobs die Idee des Crowdsourcing, für das die aktuelle Pressemeldung der CeBIT zu ihrer schwarz abgedunkelten Webciety eine hübsche Definition enthält: "Crowdsourcing bezeichnet die gezielte Auslagerung einer üblicherweise von Erwerbstätigen erbrachten Leistung auf freiberufliche Tüftler im Internet." Natürlich werden diese Tüftler entlohnt, mit Aufmerksamkeit.

*** Seit der Gründung von alt.journalism.newspapers im Usenet der 80er wissen wir, dass der Journalismus keine Zukunft mehr hat. Wer ihn dennoch verteidigte, bekam ehrenwerte Titel verpasst wie "Dümmster anzunehmender Journalist". Als das WWWW startete, gab eine Organisation den Geist auf, die Computer Press Association. Sie scheiterte an ihren eigenen "Code of Ethics", der Journalisten die "lebenslange" Annahme von Testgeräten untersagte. Solch bestechende Geschenke waren nach dem Jahr 2000 allgemein akzeptiert und sind heute populärer denn je, seit der allgemeine Gadget-Wahn die Szene nuttigt. Heute ist all das kein Thema mehr. Ein Sprücheklopfer wie Jeff Jarvis wird herumgereicht und darf allen Ernstes erzählen, dass die Zukunft des Journalismus unternehmerisch ist. Jeder freie Journalist wird über diese Binse müde lächeln. Wenn dann großartig gespuckte Entrüstung sich breit macht, dann darf man herzlich lachen. Hey, Daniel, das war schon OK so. Bereits im letzten WWWW vor dem Jubiläum schrieb ich von den verärgerten Kollegen, die ein Geschenk erwarteten.

Was wird.

Natürlich geht es weiter. Zum Beispiel mit dem Superbowl heute abend. Das war schon vor 10 Jahren so und noch viel früher, als Apple eine epochale Anzeige schaltete. Vor 10 Jahren gaben 17 Internet-Firmen insgesamt 42 Millionen US-Dollar aus, um prospektive Kunden zu erreichen. Mein Favorit damals im ersten WWWW war OurBeginnings.com, die heute bei einem Domaingrapscher zum Verkauf stehen: "Es hat uns 4 Millionen US-Dollar gekostet, Ihnen diese Adresse zu zeigen".

Heute abend startet aber auch @halfaber auf Twitter. Stilecht, auch als Reminiszenz an die aktuelle Debatte, mit einem Tweed pro Tag. Um um es genauso stilecht wie Jonny Schwartz mit einem Haiku zu sagen, beginne ich mit dem Meister Kobayashi Yataro und seiner Schnecke am Fujiyama:

Ja, Schnecke,
besteige den Fuji, aber
langsam, langsam!

(jk)