Kurs Alpha Centauri

Die Rückkehr zum Mond lässt auf sich warten. Zeit, über anderes nachzudenken: Wie lange würde es eigentlich zu unserem nächsten kosmischen Nachbarn dauern?

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Von
  • Niels Boeing

Die Obama-Regierung hat die NASA im wahrsten Sinne des Wortes auf den "Boden" der Tatsachen zurückgeholt. Grounded: Die US-amerikanische Rückkehr zum Mond ist bis auf weiteres verschoben. Der Mond als Ziel ist von manchen Raumfahrtexperten ohnehin als viel zu kleinmütig kritisiert worden. Wenn schon, dann gleich zum Mars.

Aber auch der ist kaum aufregender. Eigentlich zieht es den Menschen zu Exoplaneten, deren Existenz in den goldenen Sechzigern nur eine theoretische Möglichkeit war. Heute wissen wir, dass es da draußen genug von ihnen gibt. Was mich an James Camerons "Avatar" besonders fasziniert hat, war, dass er seine fiktive Welt Pandora in unserer unmittelbaren Nachbarschaft angesiedelt hat: im Alpha-Centauri-System, 4,3 Lichtjahre entfernt. Das klingt kosmisch gesehen wie um die Ecke. Und bis 2154 ist ja noch ein wenig Zeit.

Wie lange würden wir mit verschiedenen Antriebstechnologien dorthin brauchen? 4,3 Lichtjahre sind rund 41 Billionen Kilometer: Mit den herkömmlichen chemischen Raketenantrieben käme man aufgrund des begrenzten Treibstoffvorrats beim Start auf eine Reisegeschwindigkeit in der Größenordnung von 17 Kilometern pro Sekunde. So schnell bewegt sich derzeit die Sonde Voyager 1, die inzwischen am Rande des Sonnensystems ist, in 16,74 Milliarden Kilometern – oder 0,00177 Lichtjahren – Entfernung. Damit bräuchte man knapp 77.000 Jahre ins Alpha-Centauri-System. Einziger Vorteil: Bei dem Schneckentempo gäbe es keine nennenswerten relativistischen Zeiteffekte gegenüber der Erde.

Nuklearantriebe ermöglichen vielleicht 200 Kilometer pro Sekunde. Damit würde sich die Reisezeit auf 6700 Jahre verkürzen. Eine Zeitspanne wie von den ersten Kulturen in Mesopotamien bis heute.

Schneller ginge es schon, wenn man Solarsegel setzen würde, die vom Impuls der von der Sonne kommenden Photonen "gebläht" werden. Nach Berechnung von Pioneer Astronautics wäre damit eine einprozentige Lichtgeschwindigkeit möglich: 3000 Kilometer in der Sekunde. Die Reisezeit wäre dann nur noch 446 Jahre. Allerdings müssten die Solarsegel einen Durchmesser von 100.000 Kilometer haben, wenn man sich nur aufs Sonnenlicht verlässt.

Mit einem gigantischen Laser als Strahlungsquelle ließe sich der Durchmesser nach Abschätzungen des US-Raumfahrtingenieurs Robert Forward (toller Name) auf 1000 Kilometer "verkleinern". Zum Fokussieren wäre eine ebenso breite Linse nötig. Der Aufwand würde sich aber lohnen: Ein Laser-getriebenes Solarsegel würde die Geschwindigkeit nach Forwards Berechnungen auf halbe Lichtgeschwindigkeit hochschrauben – 150.000 Kilometer pro Sekunde. Dann wären wir rechnerisch nach 8,4 Jahren am Ziel (tatsächlich etwa mehr, weil das Beschleunigen und Abbremsen Zeit kosten würden).

Andere theoretische Ansätze für neue Antriebe sind noch verwegener. Eine hübsche Überlegung hat der Physiker Jia Liu von der New York University vor einigen Monaten auf dem arXiv-Server veröffentlicht (eine kurze Zusammenfassung hat der New Scientist). Der Treibstoff seiner Wahl: Dunkle Materie. Nach bisherigen Erkenntnissen gibt es davon reichlich im Universum – knapp sechs Mal so viel wie die "normale" Materie, die wir wahrnehmen. Lius Ansatz baut auf Neutralinos auf, einem von mehreren Kandidaten für die Zusammensetzung Dunkler Materie. Weil Neutralinos gleichzeitig ihre eigenen Antiteilchen sind, würden sich zwei von ihnen annihilieren, also komplett in Energie umwandeln. Was für ein Wirkungsgrad.

Nach Lius Berechnungen würde ein nur 100 Tonnen schweres Raumschiff, das – in Anlehnung an den Bussard-Ramjet – auf einer Fläche von 100 Quadratmetern Dunkle Materie aufsaugt, in wenigen Tagen fast auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigen. Dann wäre man in etwa viereinhalb Jahren am Ziel. Dank der kosmisch geringen Entfernung wäre die Zeitverschiebung zwischen Erde und Raumschiff zu verkraften. Die Besatzung würde bei ihrer Rückkehr nur einen neuen US-Präsidenten vorfinden, könnte aber dem gerade aus dem Amt geschiedenen noch die Hand schütteln. Im chinesischen Politbüro wäre vermutlich sogar noch alles beim Alten.

Abgesehen davon, dass wir eigentlich nicht viel von Dunkler Materie verstehen, ist die Idee nicht übel.

Aber vielleicht kommt, wie so oft in der Geschichte von Wissenschaft und Technik, alles ganz anders, wird doch eine neue kosmologische Theorie gefunden, die Quantenmechanik und Relativitätstheorie vereint und neue Möglichkeiten eröffnet, die wir uns im Moment noch nicht vorstellen können. Zum Beispiel einen kosmischen Tunneleffekt, der sich tunen lässt. Weil die Wahrscheinlichkeitsamplitude von Elektronen jenseits einer Energiebarriere nicht null ist, tauchen diese manchmal just dahinter auf – sie "tunneln" hindurch (dies ist die Grundlage des Rastertunnelmikroskops). Vielleicht könnte man mit der neuen Theorie die Gesamtwahrscheinlichkeitsamplitude eines Raumvehikels für eine Umlaufbahn um Alpha Centauri berechnen und das System so manipulieren, dass genau dieser Fall eintritt: Das Vehikel taucht verzugslos im fernen Orbit auf, tunnelt sich dorthin.

Ob Dunkle Materie oder Grand Unified Theory: Die Obama-Regierung wäre möglicherweise gut beraten, ein paar Milliarden in die Kosmologie zu stecken. Vielleicht wird das dann doch noch was mit dem Aufbruch zu den Sternen. (nbo)