Systemkampf im Prosumer-Segment

Rund anderthalb Jahre nach ihrer Einführung haben sich Wechselobjektivkameras ohne Spiegel als Konkurrenz zu Spiegelreflexkameras etabliert. Canon und Nikon werden von Panasonic, Olympus und Neueinsteigern wie Samsung bedrängt.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 1 Kommentar lesen
Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Martin Kölling

Als ich vor etwa 19 Monaten darüber philosophierte, dass das Micro FourThirds-System von Panasonic und Olympus der Anfang vom Ende der Spiegelreflex-Ära sein könnte, wurde mir noch entgegen gehalten, dass ich nichts von Fotografie verstünde. Nun denn, am Dienstag bei Panasonics Präsentation seiner vierten "EVIL"-Kamera (Electronic Viewfinder, Interchangeable Lens), der Lumix G2, bekam ich bei meinem Gespräch mit Panasonics Digitalkamera-Chef Ichiro Kitao zu hören, dass Panasonic und Olympus mit ihrem neuen Kameratyp im Februar in Japan einen Marktanteil von 17 Prozent im bisher von Spiegelreflexkameras beherrschten Segment der Wechselobjektivkameras erobert haben. Bis März 2011 wollen die beiden Hersteller, wenn ich ihre Ziele addiere, den Anteil auf mindestens 30 Prozent erhöhen.

Dazu kommen noch Newcomer mit eigenen Systemen: Kein geringerer als der koreanische Konzern Samsung hat im Januar seine NX10 vorgestellt und will den Markt für spiegellose Kameras nun "besitzen". Auch Sony tüftelt dem Vernehmen nach an einem Produkt, das wie das der Konkurrenz durch den Wegfall des schweren Spiegelsystems kleiner und leichter als bisherige Prosumer-Kameras ausfallen soll. Ein Beispiel: die G2, die erste spiegelreflexähnliche Kamera mit einer Touchscreen-Bedienung (inklusive Fokussieren und Auslösen) wiegt inklusive dem mitgelieferten Zoom nur etwa so viel wie Apples iPad (hier einige Bilder).

Mir geht es hier und heute nicht darum, mich gut zu fühlen, weil ich nicht völlig daneben lag. Vielmehr will ich in einer Art erster Bestandsaufnahme ein wenig schauen, wer diesen neuen Kameratypus verwendet, wie die Dinger das Knipsen verändern und was aus den anderen Systemen werden könnte. Die erste Feststellung: Die Verbreitung findet regional ungleichmäßig statt. Neben Japan sei der Typus auch in anderen asiatischen Ländern erfolgreich, nur in Europa und den USA ginge es langsamer voran, sagte mir Panasonic-Manager Kitao.

Aber das war ja auch zu erwarten. Denn erstens stehen die Menschen im Abendland und der Neuen Welt frischer Technik anfangs oft konservativer gegenüber als asiatische Erdenbürger. Zweitens haben sich Spiegelreflexkameras in den alten Industrienationen tief im Bewusstsein der Gesellschaft als heiliger Gral der Fotografie verankert, weil viele Fotofreunde seit Jahrzehnten mit ihnen fotografieren (und damit oft auch massives Geld in Objektive investiert haben). Dagegen sind viele Menschen in den erst jüngst reicher gewordenen asiatischen Ländern kürzlich durch Handys und Digitalknipsen zum Fotografieren gekommen. Zudem besitzen nur wenige Menschen Spiegelreflexkameras. Daher werden die Geräte hier meines Erachtens nüchterner gesehen.

Nun zu den Zielgruppen: Panasonic und Olympus zielen in der Werbung vor allem auf Frauen und Upgrader von Kompaktknipsen, denen die Spiegelreflexkameras zu groß, zu schwer und zu kompliziert erscheinen. Die Realität sieht nun so aus, dass der Frauenanteil mit 28 Prozent in der Tat höher ist als bei der Konkurrenz. Im Umkehrschluss bedeutet das immer noch, dass das fotografische Highend eine Männerdomäne ist. Ansonsten gibt es Kitao zufolge Unterschiede zwischen den einzelnen Modellen. Rund die Hälfte der Kunden des erstens Modells, der G1 (die noch keine Video-Funktion hatte), waren Besitzer von Spiegelreflexkameras, die in dem Teil eine Zweitkamera sahen.

Das erste Videomodell GH1 mit FullHD wiederum erfreut sich großer Beliebtheit bei halb- oder vollprofessionellen Videografen. Sie wird für Videos, Werbung und Film eingesetzt, weil sie für eine Videokamera klein und billig ist, aber sehr gute Bilder liefert und durch preiswerte Wechselobjektive neue filmische Möglichkeiten eröffnet. Beim sucherlosen "Fashionmodell" GF1 wiederum kommt die Mehrheit der Kunden wie geplant aus dem Kompaktsegment. Bei der neuen G2 (Video, aber nicht Full HD) und der funktionsmäßig und preislich abgespeckten G10 erwartet Panasonic eine Fortsetzung des GF1-Trends. Das Urteil der Kunden steht natürlich noch aus.

Nun zum Verändern des Fotografierens: Ok, die spiegellosen Systeme sind kleiner und leichter. Das habe ich bei meinen bisherigen Tests sehr genossen. Ich habe bei einem Ausflug die GH1 inklusive einem Weitwinkel- bis Telezoom über nahezu sechs Stunden in der Hand durch die Stadt getragen, ohne das ich das als mühsam empfunden hätte. Ähnliche Touren mit meiner Spiegelreflexkamera und reinem Weitwinkelzoom (Canon mit L 17-40-Zoom) waren ermüdend. Aber was das neue System wirklich vom alten abhebt, sind die neuen Funktionen: Durch den elektronischen Sucher lassen sich alle möglichen Daten einblenden und Fotofunktionen verändern, ohne das der Fotograf die Kamera absetzen müsste. Die Videofunktion ist wie gesagt gut genug, um für Filmemacher interessant zu sein.

Nun addiert Panasonic auch noch den Touchscreen. Und der ist nach meinem kurzen Hands-on-Test eine hübsche Sache: So stellt die Kamera automatisch das Motiv scharf, das der Fotograf auf dem Bildschirm anklickt. Man kann daher nicht nur den Fokus schnell und intuitiv ändern, ohne den Bildausschnitt zu verändern. Der Fokuspunkt fixiert sogar das Motiv und verfolgt es, wenn es sich bewegt oder sich die Kamera bewegt (nett für Movies).

Eine richtige Offenbarung war für mich die Möglichkeit, die Kamera durch einen Fingerdruck auf das Motiv auszulösen (Tipp-Autofokus-Klick). Ehrlich gesagt hatte ich daran noch gar nicht gedacht (wohl aus einem Mangel an Kreativität). Und besonders begeistert werden all die Generationen sein, die im Gegensatz zu mir mit Touchscreens groß geworden sind. Ich bin jetzt schon mal gespannt, mit welchen (hoffentlich nützlichen) elektronischen Gimmicks uns die anderen Hersteller überraschen werden.

Und zuletzt zur Zukunft: Vorweg gesagt, für mich sind Kameras Werkzeuge, daher gibt es ja auch so viele verschiedene. Für meine beruflichen Zwecke und einen Teil meines Hobbybedarfs nutze ich daher bisher eine digitale Spiegelreflex. Zum Wohle der Transparenz: Es ist eine Canon 10D mit Profi-Objektiven und einem Blitzsystem inklusive Fernauslösung. Zusätzlich habe ich mir, als ich mit der Bildqualität zufrieden war, eine Kompaktknipse zugelegt (Lumix LX3, wegen Weitwinkel und manuellen Funktionen), die ich immer mit mir herumtrage (man weiß ja nie, wann das große Erdbeben kommt) und die mir auch beruflich hin und wieder gelegen kam (bei Makroaufnahmen beispielsweise).

Mit einem Blick auf die neuen Modelle von Panasonic, Olympus und Samsung bin ich mehr denn je davon überzeugt, dass die EVILs den Spiegelreflexkameras besonders im Massenmarkt (APS-C-Sensoren) Marktanteile abnehmen werden. Sprich, mittelfristig werden sie den Markt für Einsteiger, einen Großteil der Amateure, Zweitkameras von Highend-Kamera-Besitzern und einen kleinen Teil von Profifotografen übernehmen sowie im Videosegment wildern. Spiegelreflexkameras wird es – vorerst – weiter geben, weil die EVILs für einige Anwendungen nicht gut genug sind. Erstens haben elektronische im Gegensatz zu optischen Suchern immer noch eine kleine, aber bemerkbare Zeitverzögerung, was sie für Sport- und Wildlife-Fotografen ungeeignet macht. Zweitens verfügen EVILs wegen kleinerer Sensoren über eine höhere Schärfentiefe als beispielsweise die Full-Frame-Monster und bieten damit Fotografen weniger Gestaltungsmöglichkeiten. Und drittens spielen die gehobenen Modelle der Spiegelreflexkameras in Sachen Serienaufnahmen, Lichtempfindlichkeit, Auflösung, Bildqualität und Robustheit noch immer in einer anderen Liga. Das wird auch noch eine Zeit lang so bleiben, weil die EVIL-Protagonisten sich vorerst auf den Massenmarkt konzentrieren werden, wo die neue Technik ihre Stärken Gewicht und Größe ausspielen kann. Erst dann werden die Hersteller den Profimarkt ins Visier nehmen. (bsc)