Zehn Jahre Dotcom-Bust: Als die Blase platzte

An einem Freitag im März war die wilde Börsen-Party auf dem Höhepunkt angekommen, am Montag folgte der große Kater: die heiße Luft entwich aus der Dotcom-Blase.

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Von
  • Detlef Borchers

Nasdaq 5133 Punkte, Nemax 9666 Punkte – an einem Freitag im März heute vor zehn Jahren erreichte die Dotcom-Blase ihre maximale Ausdehnung. Hunderte von Firmen, die auf dem Papier Milliarden "wert" waren, obwohl ihre Inhaber "schwarze Zahlen" nur vom Hörensagen kannten, sonnten sich in der Gunst der Anleger. Jeder wollte mit dem Pürzel in den Talerseen schwimmen wie weiland Dagobert Duck. Die Börsenindizes hatten sich in zwei Jahren verzehnfacht, ein Ende der Rallye wollte niemand sehen. Am Montag nach dem Gipfelsturm entwich die heiße Luft, der große Ausverkauf begann. Was übrig blieb, wer überlebte, backte fortan kleine Brötchen im Web 1.0.

Vor zehn Jahren endete die Kunst, mit großem Blafasel über Geschäftsmodelle im Internet den Anlegern das große Geld für "Startups" aus der Tasche zu ziehen. Eine Woche nach dem Allzeithoch zum Börsenschluss am Freitag, 10. März 2000, befanden sich die Kurse vieler Dotcoms im freien Fall. Noch im Dezember 1999 hatte ein Investor "Business.com" für 8 Millionen US-Dollar gekauft. Der Business-"Plan": den Namen bis Ende März für 30 Millionen zu verscherbeln.

Junge Unternehmen, die das für unermesslich gehaltene wirtschaftliche Potenzial des Internets mit scheinbar soliden Plänen ausschöpfen wollten, konnten sich nicht mehr halten. Nach anderthalb Jahren mussten die britisch/schwedischen Newcomer von Boo.com ihren gar Plan begraben, Mode über das Internet zu verkaufen. In nur sechs Monaten hatte dieser "Nicht-Laden" (so die Eigenwerbung) 188 Millionen US-Dollar verbraten. Etliche der verschwendeten Taler kamen von der Deutschen Post, die das Mode-Versandhaus der Welt werden wollte.

300 Millionen US-Dollar "verschwanden" mit Pets.com, dem Versuch, Tierfutter über das Internet zu verkaufen. Noch zum Super-Bowl des Jahres 2000 gab die Firma 1,2 Millionen US-Dollar für eine wenige Sekunden dauernde Werbung aus und schaffte als letzte der Dotcom-Gründungen den Börsengang im Februar 2000. Im November 2000 dann das Aus, als einem Werbebudget von etwa 12 Millionen US-Dollar Einnahmen von 619.000 US-Dollar gegenüberstanden. Ähnlich erwischte es Webvan beim Versuch, Obst und Gemüse über das Netz zu vertickern. Zu den spektakulären US-Pleiten gehörten noch Govworks mit 160 Millionen Dollar Schmelzkapital und der Absicht, Parkscheine via Internet auszugeben sowie Flooz, das "Internet-Geld".

In Deutschland ist die Dotcom-Blase ganz wesentlich mit der T-Aktie verbunden. Zwar startete der Börsengang der deutschen Telekom mit der "Volksaktie" bereits im Jahre 1996, doch der Verkauf von 200 Millionen T-Aktien im Jahr 2000 stand ganz im Lichte der wilden Dotcom-Phantasien: vor zehn Jahren notierte die T-Aktie mit 100 Euro. Deutsche Anleger glaubten, mit der T-Aktie sehr reich werden zu können und verkauften das aufgeblasene Papier viel zu spät: vom deutschen Dotcom-Boom profitierte der Staat, der anno 2000 an der Börse 13 Milliarden Euro einnahm. Heute notiert das Papier unter zehn Euro.

Insgesamt wechselten über die Startup-Firmen des Nemax 200 Milliarden Euro den Besitzer oder "lösten sich in Luft auf", wie dieser Vorgang von staunenden Wirtschaftsjournalisten gerne beschrieben wird. Die deutschen Dotcom-Pleiten waren vielleicht nicht so spektakulär wie die amerikanischen, dafür erwischte es die deutsche Wirtschaft gründlicher. Zu den Stars unter den Pleitiers gehörten Firmen wie Brokat, Gigabell oder Infomatec – letztere mit einem satten Konkursbetrug, der Rechtsgeschichte schrieb.

Im Vergleich zu den USA wurde die deutsche Dotcom-Blase stark von kriminell agierenden Unternehmern geprägt, wie der Fall Biodata ("Weltmarktführer") zeigte, das zwar einen hauptberuflichen Philosophen für angewandte Lebensführung beschäftigte, aber ganz unethisch Code klaute und ebenfalls die Gerichte beschäftigte, wie auch die Dotcom-Starfirma Comroad. Zur Pflichtlektüre in diesen Zeiten gehörte das legendäre Fuckedcompany.com, das tägliche Wasserstandsmeldungen aus den Sümpfen der US-New-Economy lieferte. Für deutsche Startups leisteten wachsame Sentinels bei der inzwischen umfirmierten Berliner Hausfrauengründung Dotcomtod einfühlsame Sterbebegleitung.

Natürlich gab es auch Firmen, die die turbulente Zeit überlebten, wenn auch selten als eigenständiger Betrieb. Erwähnenswert die Firma Consors, gestartet als "Turnschuh-Banker" aus Nürnberg mit dem Slogan "Die Schnellen schlagen die Langsamen". Ehemalige Dotcom-Stars wie Pixelpark haben sich über die Jahre einigermaßen berappelt, andere wie ID Media ereilte die Insolvenz erst spät. Zu den Überlebenden darf auch Intershop gezählt werden, die Jenaer Firma, die mit einem ständigen Strom von Krisenmeldungen der Liebling von heise online geworden ist. Man gönnt sich ja sonst nix. (vbr)