Unfertig ausgebrütet

Japans Schneller Brüter Monju hat seinem Namen bisher keine Ehre gemacht. 15 Jahre stand er nach einem kritischen Unfall still. Nun will ihn die Regierung wieder ans Netz bringen. Doch vielleicht kommt Bill Gates ihr zuvor.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 8 Kommentare lesen
Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Martin Kölling

Die Nachricht sorgte für Aufregung in Japans Atomindustrie: Das vom Microsoft-Gründer Bill Gates unterstützte Atom-Start-up TerraPower will mit Toshiba bei der Entwicklung eines neuartigen Schnellen Brüters zusammenarbeiten. Wenn es nach den Partnern geht, könnte die Vermarktung dieses sogenannten Laufwellen-Reaktors (siehe dazu auch hier) bereits im kommenden Jahrzehnt beginnen. Das wäre eine schallende Ohrfeige für Japans Atomindustrie, deren Schneller Brüter seinem Namen bislang keine Ehre gemacht hat. Extrem langsam hat sich der Monju-Reaktor entwickelt, den die Regierung diesen Monat nach vollen 15 Jahren Pause wieder anfahren will. Und ausgebrütet hat er sowieso noch nichts, da 1995 ein großer Unfall den Reaktor kurz nach seiner Inbetriebnahme außer Betrieb setzte (eine kurze Geschichte des japanischen Atomprogramms inklusive der größten Unfälle und Skandale habe ich hier ins Netz gestellt).

Ich weiß nicht, ob ich die Beharrlichkeit, mit der die Regierung trotz Pannen, Kosten und Skandalen an der Brütertechnik festhält, bewundern oder verteufeln soll. Aber sie ist beachtlich. Selbst nach dem Unfall in Tschernobyl, selbst als die USA und später sogar die Atommacht Frankreich ihre Brüterpläne einschläferten, hielt Japan an dem Traum fest, bis 2050 die Technik zu kommerzieller Reife zu entwickeln. Zu groß ist wohl der Reiz, Japans Energieprobleme ein für allemal zu lösen. Schließlich ist Plutonium der einzige potenzielle Energieträger, den Japan zur Genüge selbst besitzt: Rund 47 Tonnen nennt das Land sein eigen, ein gefährliches Nebenprodukt von 40 Jahren Atomenergie, hergestellt in inzwischen 53 Reaktoren. Erdöl, Gas und Kohle muss das Land importieren.

Ob der Monju-Brüter diesmal funktionieren wird, darf mit Blick auf die zähe Entwicklung und die zahlreichen Pannen tunlichst bezweifelt werden. Als das Programm 1956 begann, fabulierten die Visionäre von einem kommerziellen Start der Brütertechnik Anfang der 1980er Jahre. Wir hinken demnach jetzt schon 30 Jahre hinter dem Plan her, weitere 40 Jahren und zig Milliarden Euro an Entwicklungskosten dürften noch folgen. Aber Kostenrechnungen spielen in der Atomindustrie ja keine Rolle, da die Unsummen für die teure Technik sozialisiert werden. So hat Japans Wiederaufbereitungsanlage in Rokkasho allein mit 2200 Milliarden Yen (18 Mrd. Euro) die ursprünglich geplante Bausumme um das Dreifache überschritten.

Nun will ich nicht zu sehr mit dem Finger auf die Vergangenheit zeigen und den Machern zu gute halten, dass der Blick in den Rückspiegel nicht immer ein guter Wegweiser für die Zukunft ist. Ansonsten dürfte ich ja auch Elektroautos keine Chance einräumen, und ich sehe sie – nach rund 100 Jahren enttäuschter Hoffnungen – diesmal wirklich kommen. Die Atomlobby weltweit setzt anscheinend darauf, dass nun auch beim Brüter die Zeit reif ist. Im August 2009 haben Japan, Frankreich und die USA ein Atomabkommen ergänzt, um bei der Entwicklung Natrium-gekühlter Brütertechnik zusammenarbeiten zu können.

Ich mag allerdings nach der Pannengeschichte nicht daran glauben, dass es nun problemfrei läuft. Ich hoffe sogar auf weitere Verzögerungen, denn über die üblichen Einwänden hinaus sprechen noch einige japanische Besonderheiten gegen den Monju-Reaktor. Zum einen steht er wie das größte AKW der Welt Kashiwazaki Kariwa, unter dem 2007 ein Starkbeben stattgefunden hat, auf einer geologisch aktiven Verwerfung, die man beim Bau nicht eingeplant hat. Die Baugenehmigung wurde auf ebenso wackligem Grund erteilt und bereits einmal 2003 von einem Gericht in Nagoya widerrufen und erst zwei Jahre später nur durch eine mager begründete Entscheidung des Obersten Gerichtshofs gerettet. Diverse Fehlalarme der Natrium-Sensoren in den letzten Monaten sind auch nicht dazu angetan, die gefühlte Sicherheit zu erhöhen.

Am meisten lässt mich allerdings zweifeln, dass es im Lande keine Diskussion gibt, obwohl die Atomindustrie mehrfach der Vertuschung überführt wurde. So gut wie nix Kontroverses in der Bevölkerung und den Medien und schon gar nichts in der Politik. Auch in der Atomkraft ist anscheinend das folgende Sprichwort handlungsleitend: "Wenn's stinkt, muss ein Deckel drauf." Erst wenn was passiert, schaut das Land hin und ist verblüfft über den Gestank. Diese Kultur des kollektiven Wegsehens ist für mich die vielleicht größte Gefahr des japanischen Atomprogramms. Eventuell kann ja Bill Gates helfen?

(bsc)