Microsoft mischt auf

Auf seiner Webentwickler-Konferenz Mix 2010 zeigte Microsoft erste Windows-Phone-Anwendungen, brachte ein fast fertiges Silverlight 4 nebst Entwicklerwerkzeugen unter die Leute und überraschte mit einer frühen Vorabversion von Internet Explorer 9.

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Von
  • Herbert Braun
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Die frohe Botschaft erntete nur vereinzelte Klatscher: Als Dean Hachamovitch, Projektleiter für Internet Explorer, bei der fünften und bisher größten Entwicklerkonferenz Mix (15. bis 17. März) in Las Vegas verkündete, IE8 sei nun der meist verbreitete Browser weltweit, ließ das die etwa 3000 Besucher nahezu kalt. Eine Bemerkung über die kurz zuvor gefeierte „Beerdigung“ von Internet Explorer 6 brachte jedoch den Saal zum Toben. Microsoft und seine Entwicklergemeinde wollen mit der Vergangenheit endlich abschließen, und nachdem der brave IE8 nun endlich die Webstandards der 90er-Jahre zuverlässig unterstützt, wird es Zeit für Neues.

Mitte November hatte Microsoft den Besuchern seiner Entwicklerkonferenz PDC mit einer Demo von Internet Explorer 9 den Mund wässrig gemacht, zur Mix durften sie selbst damit herumspielen. Die IE9-Preview hält einige Überraschungen bereit – die größte ist vielleicht, dass sie schon öffentlich verfügbar ist, denn der Browser befindet sich noch in einem extrem frühen Stadium. Offenbar will Microsoft damit mehr als bei bisherigen Versionen die Webentwickler-Gemeinde ins Boot holen; so sollen auch etwa alle acht Wochen Updates erscheinen. Die erste Vorschau besitzt außer einem Standardfenster mit Menü- und Statusleiste sowie Kontextmenü kein GUI. Das Menü enthält eine aktualisierte Version der Entwicklerwerkzeuge und die Möglichkeit, ältere IE-Versionen zu emulieren.

Dass IE9 in Sachen Geschwindigkeit wieder den Anschluss an die Konkurrenz finden wird, war bereits bei der PDC-Demo klargeworden. Wie inzwischen alle wichtigen Konkurrenten kompiliert er JavaScript vor der Ausführung. Dafür nutzt er auf Multicore-Maschinen einen freien CPU-Kern, sodass die Verarbeitung im Hintergrund stattfinden kann. Bei ersten Geschwindigkeitstests mit dem SunSpider-Benchmark kommt die „Chakra“ getaufte Engine bereits dicht an die Spitze (Opera, Safari, Chrome) heran und zieht knapp an Firefox vorbei. Bis zur Veröffentlichung der finalen Version verspricht Microsoft noch mehr Beschleunigung.

Mit SVG-Unterstützung, massiv verbesserter JavaScript-Engine und Hardware-Beschleunigung sucht Internet Explorer 9 den Anschluss an die Konkurrenz.

Diese Verbesserungen beschränken sich nicht auf die leicht messbare JavaScript-Performance: Für den Seitenaufbau und für das Zoomen greift Internet Explorer 9 über die DirectX-Komponente Direct2D auf den Grafikprozessor zu, was hohe Frameraten ermöglicht. Für das Rendern von Schriften nutzt der Browser DirectWrite, das Buchstaben besonders klar zeichnet.

Den Grafikprozessor können sich auch die Videos zunutze machen, die Internet Explorer 9 mit dem HTML5-Tag <video> einbinden wird. Damit unterstützen bald alle aktuellen Browser dieses Sahnestück des HTML5-Standards – allerdings bleibt die Codec-Situation ungeklärt: Wie Chrome und Safari kennt IE9 die derzeit übliche Kodierung für hochauflösende Videos im Web H.264, während Firefox und Opera allein auf das freie Ogg Theora setzen. An Audioformaten versteht der Browser MP3/AAC. Außerdem wird IE9 die Bildformate Tiff und (als erster Browser) JPEG XR unterstützen; letzteres soll einige der Nachteile von JPEG ausgleichen.

Was einige Einträge im IE-Blog durchblicken ließen, ist nun offiziell: Internet Explorer 9 unterstützt SVG 1.1. Damit werden Vektorgrafiken und Animationen ohne Plug-in und ohne Browser-Weiche bald in allen wichtigen Browsern möglich sein. Microsoft will seine Entwickler zum Wechsel von dem bisher favorisierten VML motivieren. Ob auch das oft zusammen mit SVG eingesetzte SMIL Eingang in IE9 finden wird, ist laut Hachamovitch noch offen. Mit der HTML5-Technik Canvas, die Bilder mit Hilfe von Skripten dynamisch in die Webseite zeichnet, ist SVG ein Konkurrent entstanden. Zu diesem Thema hielt sich Hachamovitch auffallend bedeckt – was wohl eher für eine Unterstützung von Canvas spricht.

Internet Explorer 9 wird noch weitere Teile der bislang experimentellen, aber bereits häufig eingesetzten Spezifikationen HTML5 und CSS3 implementieren und Lücken beim Dokument-Objekt-Modell (DOM) Level 2 und 3 schließen; er stellt nun auch endlich mit XHTML/XML-MIME-Typen ausgelieferte Webseiten dar. In Sachen CSS3 beherrscht bereits die Preview-Version runde Ecken, mehrfache Hintergründe und alle Selektoren. Strittige Details von CSS3, SVG 1.1 und DOM will Microsoft mit Hilfe einer beim W3C einzureichenden Testsuite (http://samples.msdn.microsoft.com/ietestcenter) klären – ähnlich, wie es dies beim Internet Explorer 8 für CSS 2.1 getan hat.

Größere Bedeutung als der Internet Explorer dürfte für Microsoft Windows Phone haben. Nachdem der Erfolg des Vorläufers Windows Mobile überschaubar blieb und iPhone und Android sich immer größere Smartphone-Marktanteile unter den Nagel gerissen haben, sehen viele das im Februar angekündigte Windows Phone 7 als Microsofts letzte Chance auf diesem Gebiet.

Microsoft hat dabei vom iPhone nicht nur die Bauform mit großem Touchscreen und wenigen Hardware-Tasten abgeschaut. Auch dass die Anwendungsentwickler verlässliche Anhaltspunkte bei der Hardware brauchen, hat der Konzern von seinem Erzkonkurrenten gelernt und nimmt die Hersteller nun strenger an die Leine. Vorerst wird es Windows-Phones nur mit 480 x 800 Pixeln großen OLED-Displays geben (später kommen noch welche mit 320 x 480 dazu), die mindestens vier kapazitive Multitouch-Punkte besitzen. Die Geräte müssen allesamt über drei Tasten (Start, Suche, Zurück), eine Kamera mit mindestens fünf Megapixeln, GPS, Beschleunigungssensor, Kompass und Helligkeitssensor verfügen. Die Anwendungen werden auf mindestens 8 GByte Flash gespeichert und können sich in 256 MByte RAM austoben.

Solche Geräte bekommen die Entwickler zwar noch lange nicht in die Hand, aber immerhin legt Microsoft einen Emulator vor, der in einer virtuellen Maschine läuft und sich tatsächlich für ein Telefon hält – inklusive Touchscreen, Beschleunigungssensor und Akku-Status. Die Software ist Teil der Windows Phone Developer Tools, die auch eine abgespeckte Version von Visual Studio (Visual Studio 2010 Express for Windows Phone) enthalten. Auch nach der Testphase soll diese IDE kostenlos bleiben.

Erste Anwendungen für das Windows Phone zeigten unter anderem die Presseagentur AP, der Filmdienst Netflix, die US-Fußballliga oder die Online-Dienste Shazam und Foursquare. Bekommen wird man diese Anwendungen ausschließlich über einen runderneuerten Windows Phone Marketplace, der diverse Vertriebsmodelle unterstützen wird (kostenlos, Freemium, Trial, Bezahlung über Kreditkarte oder Mobilfunkanbieter).

Die zugrunde liegende Technik dieser Anwendungen ist Silverlight, das Microsoft gleichermaßen für Online-Dienste, den PC oder Mac, die Spielekonsole Xbox und für Mobilgeräte (neuerdings auch für Symbian) etablieren möchte. So soll es laut dem Chefentwickler Scott Guthrie mit wenig Aufwand möglich sein, Silverlight-Anwendungen für mehrere Plattformen gleichzeitig anzubieten. Windows Phone wird auch das XNA-Framework enthalten, den Werkzeugkasten für die Programmierung von Xbox-Spielen. Auf der Mix zeigte Microsoft unter anderem mit Demos des 3D-Shooters „The Harvest“, welche grafisch aufwendigen Spiele damit auf Windows-Smartphones möglich sind. Native Windows-Phone-Anwendungen soll es dagegen nicht mehr geben.

Microsofts Anti-Flash wird langsam erwachsen: Silverlight nähert sich mit einem Release-Kandidaten für Windows und Mac der Fertigstellung von Version 4. Auf Basis von Silverlight sind nun Out-of-Browser-Anwendungen möglich, die wie native Software auf die COM-Plattform, aufs Dateisystem und aufs Netzwerk zugreifen dürfen. Das Plug-in kann nun drucken, den Zwischenspeicher auslesen, auf Mausrad oder rechte Maustaste hören, Kamera und Mikrofon ansprechen und Inhalte per Drag & Drop entgegennehmen. Als neue Komponente enthält Silverlight 4 einen fertigen Rich-Text-Editor. Es verbessert die Darstellung von Texten und den Umgang mit Formularen. Rechtemanagement steht auch für Offline-Inhalte zur Verfügung. Google Chrome wird nun von Silverlight offiziell unterstützt, ebenso der von allen aktuellen Browsern angebotene Privatmodus, bei dem keine lokalen Datenspuren zurückbleiben sollen.

Die experimentelle Bing-Maps-Version integriert mittels Silverlight elegant Fotos in Landkarten.

Diese neuen Funktionen in Silverlight 4 und die Aussicht auf Windows Phone überzeugten offenbar eBay und Seesmic, die einen verbreiteten Desktop-Client für soziale Netzwerke herstellen. Das dürfte bei Adobe für Unmut sorgen, denn für ihre Desktop-Anwendungen setzten beide Firmen bisher auf das Flash-Derivat AIR. Welche Anwendungen bereits mit dem aktuellen Silverlight 3 möglich sind, zeigt Microsoft selbst bei seinen neuen Bing Maps: Außer geschmeidigem Zoom, schräger Vogelperspektive und (soweit vorhanden) Straßenansicht glänzt der Online-Atlas auch durch die Integration von Fotos per Photosynth.net.

Passend zum Silverlight-Release-Kandidaten brachte Microsoft auch eine Beta von Expression Blend 4 heraus. Die grafische Entwicklungsumgebung wird mit Hilfe der zusätzlich zu installierenden Phone-Entwicklertools auch den Entwurf von Anwendungen für die künftigen Windows-Mobilgeräte ermöglichen. Aufgebessert wurden das in Blend 3 eingeführte Werkzeug SketchFlow für Anwendungsskizzen sowie die Überblendungseffekte und Fluid Layout für weiche Übergänge. Mit dem PathListBox-Control lassen sich Elemente entlang gezeichneter Kurven ausrichten. Besitzer von Blend 3 werden ihre Software kostenlos aktualisieren können.

Zu den interessanteren Ankündigungen aus der zweiten Reihe zählt das Projekt der Entwickler von Mono, der von Microsoft unterstützten Portierung von .NET auf Linux, ihr Framework auch auf Android-Smartphones zu portieren. Für die Geräte der iPhone-Familie ist Mono bereits unter dem Namen „MonoTouch“ verfügbar.

Mit jQuery bringt sich Microsoft in ein weiteres Open-Source-Projekt ein. Das quelloffene jQuery gilt als verbreitetstes JavaScript-Framework. Microsoft will zunächst vor allem zu den Templates beitragen, mit denen sich das Aussehen von Komponenten rasch ändern lässt, und beim Testen helfen. Das Framework ist Bestandteil von VisualStudio 2010 und ASP.NET MVC.

Für Webentwickler könnte das Open Data Protocol (kurz: OData) interessant werden. Dieses Protokoll basiert auf dem HTTP-Aufsatz AtomPub und ist von der REST-Architektur inspiriert; es erlaubt Datenbankabfragen mit den Mitteln von HTTP, sodass jeder Browser oder Feedreader dazu in der Lage ist. Anbieter können ihre Inhalte über OData publizieren, indem sie in Microsofts Cloud-Datenbank SQL Azure ein Häkchen setzen. Unter dem Codenamen „Dallas“ hat Microsoft einen Marktplatz für solche Datendienste eingerichtet; Anbieter können dort die Konditionen für die Nutzung festlegen.

www.ct.de/1008018 (heb)