Weichgespülte Standards für Europa

Das im Rahmen des European Interoperatibility Framework (EIF) zentrale Konzept der offenen IT-Standards soll bis zur Bedeutungslosigkeit aufgeweicht werden. Das zumindest lässt der aktuelle Entwurf des EIF 2 befürchten, der der Free Software Foundation Europe zugespielt wurde.

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Robert Seetzen
  • Dr. Oliver Diedrich

Das international anerkannte EU-Rahmenwerk European Interoperatibility Framework (EIF) zur Nutzung offener Standards verliert im Zuge seiner Überarbeitung zur Version 2 weiter an Gewicht und Kontur. Nach einem ersten, im November 2009 an die Öffentlichkeit gelangten Entwurf ist im März eine weitere, als "Release Candidate" bezeichnete Fassung des EIF 2 bekannt geworden, die der Kritik am ersten Entwurf weiter Nahrung gibt.

In dem 2004 veröffentlichten European Interoperatibility Framework Version 1 beschreibt die EU wichtige Grundvoraussetzungen für eine reibungslose Zusammenarbeit zwischen den IT-Infrastrukturen verschiedener Behörden und Amtsträger. Eine zentrale Rolle nehmen dabei offene Standards ein, etwa für Datenprotokolle oder Dateiformate. Was aber nun als offener Standard gelten darf, ist umstritten: In der bislang gültigen Fassung des EIF ist beispielsweise der unwiderrufliche Verzicht auf etwaige Patentansprüche Voraussetzung für die Anerkennung eines Dateiformats oder Protokolls als offener Standard. In der Version 2 des EIF will nun unter anderem die Business Software Alliance (BSA), die eine Reihe kommerzieller Softwarehersteller vertritt, auch patentgeschützte, nur nach Lizenzzahlungen einsetzbare Standards als offen zugelassen wissen.

Die jetzt der Free Software Foundation Europe (FSFE) zugespielte, neueste Fassung des EIF-2-Dokuments ersetzt die ursprüngliche eindeutige Definitionen von Offenheit durch unverbindliche, vage gehaltene Formulierungen. Eine von der FSFE veröffentlichte, vergleichende Analyse mehrerer Revisionen des Rahmenwerks lässt zudem keine praxisrelevanten Verbesserungen zur massiv kritisierten Vorläufer-Fassung von November 2009 erkennen.

So werden in dem neuen Entwurf zwar homogene Infrastrukturen und EU-weit eingesetzte Monopol-Lösungen nicht mehr als Alternativen zu offenen Standards aufgeführt; aber an die Stelle solcher besonders umstrittenen Konzepte sind jetzt auffällig schwache Aussagen ohne konkrete Handlungsaufforderung getreten. So soll die europäische Verwaltung zwar grundsätzlich Offenheit anstreben, dabei aber stets Faktoren wie die Markt- und Budgetsituation in Betracht ziehen.

Karsten Gerloff, Präsident der FSFE, befürchtet, dass die neue Fassung des EIF überfällige IT-Anpassungen eher ausbremst als beschleunigt. "Die erste Fassung des EIF hat Behörden eine gute Rückendeckung auch für größere Migrationsprojekte gegeben. Die neue Version motiviert eher dazu, alles beim Alten zu belassen". Eine aus Sicht der EU-Bürger durchaus problematische Situation, so Gerloff: "Wer mit einer Behörde kommuniziert und deren Unterlagen öffnen oder selbst amtstaugliche Dokumente verfassen muss, sollte nicht zur Nutzung propietärer Software gezwungen sein".

Nachdem der im November bekannt gewordene Entwurf des EIF offenbar einigen Widerspruch aus den EU-Mitgliedsländern provoziert hat, zeigt sich Gerloff vom Tenor des neuen Dokuments überrascht. Er bewertet die Vorlage einer im Kern nicht verbesserten Überarbeitung als Missachtung der Mitgliedsstaaten durch die Kommission. Deutliche Worte findet er auch zum Ablauf des gesamten Verfahrens: "Der Prozess, in dem dieses Machwerk zustande kam, ist immer noch beklagenswert intransparent. Die Kommission hat keinerlei Anstrengungen unternommen, hier nachzubessern".

Um dem strategisch wichtigen Papier doch noch eine andere Richtung zu geben, setzt Gerloff auch auf den Einsatz engagierter Bürger. "Die neue Fassung des EIF muss noch von den Mitgliedsländern verabschiedet werden. Zuständig ist meist ein 'Chief Information Officer', kurz CIO" – in Deutschland übernimmt diese Aufgabe die IT-Beauftrage der Bundesregierung. Gerloff schlägt Interessierten nun vor, die CIOs ihrer Heimatländer per Mail zur Ablehnung des aktuellen EIF-Entwurfs aufzurufen. "In seiner gegenwärtigen Form ist das Dokument nutzlos. Es wäre besser, den Prozess anzuhalten und auf Basis der ersten Fassung vom Sommer 2008 neu zu beginnen".

Juli 2003: Anstoss zur Formulierung des EIF auf der eGovernment Conference in Como

November 2004: Veröffentlichung des European Interoperability Framework 1.0

August 2006: Start einer Studie zur Vorbereitung einer Neufassung des EIF durch die Gartner Group

Juni 2007: Veröffentlichung der Gartner-Studie auf der IDABC-Website

25. Juni 2008: EIF Info Day in Brüssel

18. Juli 2008: Beginn des Konsultationsprozesses; Basis der Konsultation ist ein EIF2-Draft

22. September 2008: Ende des öffentlichen Konsultationsprozesses, Ergebnis ist eine Liste mit Kommentaren

08. Dezember 2008: Veröffentlichung einer Zusammenfassung der Kommentare

01. November 2009: Veröffentlichung einer Arbeitsversion von EIF2 auf einem niederländischen Blog

November 2009: Gegen die Umdefinition offener Standards in der EU regen sich Proteste

(odi)