Verriss des Monats: Jäger des verlorenen Schlafs

Wer nicht gut schläft, kann sich das jetzt mit Hightech-Pomp dokumentieren lassen: Der "Personal Sleep Coach" Zeo möchte dein Nie-mehr-groggy-Trainer sein.

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Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Peter Glaser

Die Kunst des gepflegten Verreißens zweifelhafter Produkte ist ein wenig aus der Mode gekommen. An dieser Stelle präsentiert unser Kolumnist Peter Glaser einmal im Monat deshalb eine Rezension der etwas anderen Art: Den Verriss des Monats. Vorschläge für besonders zu würdigende Produkte werden gerne per Mail entgegengenommen.

Das Ding heißt Zeo und erinnert vage an diese Schönheitsapparate aus dem frühen 20. Jahrhundert, bei denen sich Menschen unter bizarre Blechhauben begeben oder in sonderbare mechanische Einrichtungen einspannen lassen mussten. Zeo ist die zeitgemäße, digitale und miniaturisierte Form dieser Vorrichtungen. Es handelt sich um einen Wecker – aber nicht einfach nur einen, der weckt. Zeo führt, so der Hersteller, “zu einem Upgrade Ihrer Schlafqualität”. Der Techno-Speak weist die Richtung: “For the first time, you can visualize your sleep”, wird uns verheißen, die wir uns bisher in der Dunkelheit des ungesehenen Schlafs aufgehalten haben. Klar, wer einen Wecker für 249 Dollar verkaufen möchte, muss schon mehr bieten als bloß nervendes Gepiepse.

Ohne den nötigen Schlaf, so erfahren wir nun also, lassen die kognitiven Funktionen rapide nach. Angeblich gibt es sogar Zusammenhänge zwischen Schlafentzug und Diabetes beziehungsweise Arterienverkalkung. Diese “gravierenden Folgen” von flatterhaftem Schlaf sollte man nicht auf die leichte Schulter nehmen: “Der Zeo-Wecker zielt darauf, die Gesundheit der Menschen zu bewahren, indem er einen täglichen Bericht liefert, wie gut der Nutzer geschlafen hat. “The more you know, the better you sleep”, so das Motto zur Nachtruhe im Informationszeitalter.

Der Apparat misst, wie viel Zeit der Weggeratzte in den unterschiedlichen Phasen des Schlafrhythmus verbringt. Morgens werden die Schlafdaten auf dem Weckerdisplay angezeigt, dazu ein “sleep score”, der eine Art Güte-Wert für die persönlichen Schlaf-Charts darstellt – der “ZQ Breakdown”. Um das Zackengebirge aus Traumschlaf- und Tiefschlafperioden einigermaßen sinnvoll lesen zu können, empfiehlt es sich allerdings, zuvor bereits ein paar Trainingsrunden durch den aktuellen Stand der Schlafforschung gedreht zu haben. Dabei zeigt sich dann, dass vieles am Schlaf und seinen möglichen Funktionen noch ungeklärt ist. Seine eigene Schlafrhythmus-Kurve zu interpretieren wird entweder zu ziemlich banalen Einsichten (04:22 aufgewacht, weil zu spät noch Kaffee getrunken) oder zu Kaffeesatzleserei wie beispielsweise mit den Biorhythmus-Kurven führen, die in den achtziger Jahren mit dem Aufkommen der programmierbaren Taschenrechner und Mikrocomputer populär wurden.

In einem “Online Sleep Journal” kann man verzeichnen, was einem täglich den Schlaf raubt. Man kann sowas übrigens auch ohne 249-Dollar-Wecker machen. Das Ganze erinnert an die Mind Machines aus den frühen neunziger Jahren, mit denen durch pulsende Lämpchen und synthetisches Meeresrauschen auf den Gehirnwellensalat des Zeitgenossen einzuwirken versucht worden war, bis sich herausstellte, dass der mit den Geräten teuer erkaufte Entspannungseffekt daher kommt, dass man sich ein Weilchen ruhig hinlegt, und nicht daher, dass man sich dabei ein sonderbares Gerät umbindet.

Um den Zeo mit dem nötigen Schlafdateninput zu versorgen, muss man sich die Nacht über mit einem elastischen Band eine Meßsonde an die Stirn binden. Auf der Zeo-Website begrüßt den Besucher das Foto einer Frau, die sich messbereit zur Ruhe begibt. Das Stirnband ist geschickt größtenteils durch einen Info-Bildstreifen überdeckt und das Foto so arrangiert, dass die Frau eher nach Pocahontas meets Personal Computer aussieht als nach einer Campingversion von Intensivmedizin.

Die kleine Unbquemlichkeit bei der Daten-Erhebung ist aber noch nicht alles: Nicht nur Blogger kennen den Effekt von Tracking-Software wie Google Analytics oder Feedburner. Auch Fernsehprogrammacher wissen von ihren Nielsen Ratings oder den hierzulande von der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) gemessenen Einschaltquoten, dass sich diese Art von Datenauswurf gern zu jener spezifischen Mischung aus Stress und Ehrgeiz entwickelt, die man Quotendruck nennt. Schon herkömmliche Digitaluhren mit ihren großen Leuchtziffern sind, gegenüber ihren analogen Artgenossinnen, mit einer beunruhigenden Form von Genauigkeit ausgestattet. Mitten in der Nacht aufzuwachen und zu sehen: es ist exakt 06:21 Uhr, erzeugt ein unnötig jagendes Gefühl - die genaue Uhrzeit, die notwendig ist, um nicht den Bus oder das Flugzeug zu versäumen, zeigt eine hintergrundbeleuchtete Uhr mit Zeigern deutlich entspannter an.

Und jetzt also die Analyse sekundengenauen Schlafdaten: Diese Daten lassen sich mit Hilfe einer Speicherkarte auf einen Rechner hochladen und von dort auf die “sleep coaching”-Website von Zeo. Für 100 Dollar mehr kann man sich dort seinen Schlaf persönlich coachen und sich von einem “Cause & Effect Tool” personalisierte Informationen über die Auswirkungen seiner verschiedenen Aktivitäten, seiner Ernährung und seiner Schlafbedingungen auf eventuelle Schlafstörungen zukommen lassen. Und wenn es dort auch noch eine Zeo-Online Community geben würde, könnte man, ja: zum ersten Mal auch online miteinander schlafen. (bsc)