Der Mitmach-Staat

Über Internet-Foren will die US-Regierung ihre Bürger immer stärker an Entscheidungsprozessen beteiligen. Doch wer die Weisheit der Vielen anzapfen möchte, braucht ein gutes Anreizsystem - und die Bereitschaft, Macht zu teilen.

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Von
  • Ralf Grötker
Inhaltsverzeichnis

Über Internet-Foren will die US-Regierung ihre Bürger immer stärker an Entscheidungsprozessen beteiligen. Doch wer die Weisheit der Vielen anzapfen möchte, braucht ein gutes Anreizsystem – und die Bereitschaft, Macht zu teilen.

Zehn rote Luftballons ließ die US-Militärforschungsagentur Darpa im vergangenen Dezember steigen, an verschiedenen, geheim gehaltenen Orten in den Vereinigten Staaten. Wem es gelingen würde, alle zehn Ballons zu finden, sollte 40000 Dollar erhalten.

Zwei Tage vor dem Start der Ballonaktion entschied ein Forscherteam am Massachusetts Institute of Technology (MIT), sich an dem Rennen zu beteiligen. Eine Webseite wurde aufgesetzt, eine Runde E-Mails an Freunde und Kollegen verschickt. Die Botschaft: Jeder, der einen Ballon findet und ihn auf der Webseite meldet, erhält 2000 Dollar; weitere 2000 Dollar werden als gemeinnützige Spende abgeführt. Wenn jemand einen Bekannten hat, der einen Ballon findet, und diesen Bekannten auf die Webseite aufmerksam macht, bekommt er 1000 Dollar und der Bekannte 2000; die restlichen 1000 werden gespendet. Findet der Freund des Bekannten den Ballon, erhält dieser 2000 Dollar, der Bekannte 1000 – und man selbst als erste Person in der Kette 500 Dollar; 500 Dollar werden wiederum als Spende abgezweigt.

Was dann geschah, beschreibt Riley Crane, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Human Dynamics Group am MIT, in einer etwas verallgemeinerten Form so: "Alice meldete sich auf der MIT-Webseite an und berichtete darüber ihrem Freund Bob in einer E-Mail. Bob gab die Nachricht über Facebook weiter. Seine Freundin Carol wurde darauf aufmerksam und setzt eine Twitter-Nachricht in die Welt." Auf diese Weise verbreitete sich die Botschaft des MIT-Teams wie ein Lauffeuer – und der fünfköpfigen Mannschaft gelang es, sich gegen 4300 Wettbewerbsteilnehmer durchzusetzen: In weniger als neun Stunden hatte sie die zehn Ballons lokalisiert.

Die Aktion ist ein Lehrstück, auch in Sachen Wissensmanagement: Wer an Informationen herankommen will, über die ein paar Dutzend unbekannte Menschen verfügen, die noch dazu über eine Landesfläche von knapp zehn Millionen Quadratkilometern verteilt sind – so groß sind die USA –, braucht nicht nur Web-2.0-Technologien der neueren Generation, sondern vor allem ein gutes System von Anreizen, damit die Informationen ihren Zielort erreichen. Erst wenn beides ineinander greift, werden Erfolge wie das Auffinden der zehn roten Ballons möglich.

Auf gleiche Weise wie nach Luftballons könnte man nach vermissten Kindern suchen oder in einem Notfall Hilfe organisieren. Eine andere Möglichkeit: Die Ketten-Belohnung ließe sich für Werbeaktionen verwenden. Einen Dollar für den, der seinem Freund ein Amazon-Buch empfiehlt. Einen halben dazu, wenn jener wiederum seine Schwester dazu ermutigt, ebenfalls das Buch zu bestellen – und so weiter.

Unter der Patentanmeldung Nr. 20090157497 lag ein solches Verfahren im vergangenen Jahr der US-Patentbehörde zur Begutachtung vor: "Systems and methods for generating revenue from social interaction", "Systeme und Methoden, um Einnahmen aus gesellschaftlicher Interaktion zu erzeugen". Kann man so etwas patentieren? Einer der Menschen, die sich mit dieser Frage beschäftigt haben, ist der New Yorker Student Jason DeVeau Rosen. Er ist registrierter Bürger-Experte bei "Peer to Patent", einem vor ungefähr drei Jahren ins Leben gerufenen Online-Dienst, der die amerikanischen Patentbeamten bei ihrer Arbeit unterstützen soll. In dem Webforum, das sich mit dem Antrag Nr. 20090157497 befasst, weist DeVeau Rosen darauf hin, dass es bereits ein ähnliches Patent gebe. Dieses Patent habe "Vertrauensnetzwerke" zum Gegenstand: Netzwerke, in denen Nutzer deshalb als "vertrauenswürdig" eingestuft werden, weil andere Nutzer für sie bürgen – Nutzer, die selbst wiederum von anderen empfohlen wurden.