Rotierende Revolution

Vor 200 Jahren erfand Friedrich Koenig die Schnellpresse - und schuf damit die Grundlage für die Karriere von Büchern und Zeitungen als Massenmedien.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht
Lesezeit: 4 Min.

Vor 200 Jahren erfand Friedrich Koenig die Schnellpresse – und schuf damit die Grundlage für die Karriere von Büchern und Zeitungen als Massenmedien.

In der Nacht vom 28. auf den 29. November 1814 ließ John Walter junior, Verleger der Londoner "Times", seine Drucker die Arbeit unterbrechen. Man warte auf sensationelle Neuigkeiten vom Kontinent, die noch in die aktuelle Ausgabe kommen sollten, hieß es.

Doch das wirklich sensationelle Ereignis dieser Nacht fand nicht weit entfernt in einem Nebengebäude der "Times" statt. Noch während die Drucker auf die vermeintliche Nachricht warteten, produzierten dort zwei bisher geheim gehaltene dampfbetriebene Schnellpressen die gesamte Auflage der "Times". Frei von englischem Understatement meldete das Blatt am nächsten Morgen: "Unsere heutige Zeitung führt dem Publikum das praktische Resultat der größten Verbesserung vor, welche die Buchdruckerkunst seit ihrer Erfindung erfahren hat."

Der Mann dahinter hieß Friedrich Koenig, geboren 1774 in Eisleben. Schon nach seiner Buchdruckerlehre dachte er über effizientere Druckmaschinen nach. Seine erste Idee war es, die Druckerschwärze statt per Hand und Lederballen automatisch mit einer rotierenden Walze aufzutragen. So ließe sich bei jeder Presse einer der beiden Drucker einsparen.

Doch in Deutschland fand Koenig weder Geld noch Maschinenbau-Know-how für sein Vorhaben. Also siedelte er 1806 nach England über. Dort lernte er nicht nur den Stuttgarter Mechaniker Andreas Bauer (1783–1860) kennen, mit dem ihn eine lebenslange Freundschaft und Partnerschaft verbinden sollte, sondern auch verschiedene Finanziers. Am 29. März 1810 – vor genau 200 Jahren – erhielt er sein erstes Patent auf eine "Tiegelpresse", bei der die Farbe automatisch aufgebracht und die als Ganzes von einer Dampfmaschine angetrieben wurde. 1811 folgte das nächste Patent: Den flachen Tiegel, der die Papierbögen auf die Druckvorlage presste, ersetzte eine Walze. Die 1813 patentierten Modelle mit doppeltem Druckwerk, die bei der "Times" eingesetzt wurden, waren bereits 12,8-mal so schnell wie eine Handpresse.

1814 schließlich entwickelten Koenig und Bauer eine Maschine, die gleichzeitig Vor- und Rückseite eines Bogens bedrucken konnte. Damit war die Grundlage für die moderne Rotationspresse gelegt. Deren letzte Evolutionsstufe erfolgte – wiederum bei der "Times", aber ohne Beteiligung von Koenig – in den 1860er-Jahren: Die bisher flachen Druckvorlagen wurden zu Zylindern gekrümmt, die auch Endlospapier von der Rolle bedrucken konnten.

Trotz des Erfolges bei der "Times" wurde Koenig in England nicht glücklich. Sein wichtigster Geldgeber, ein Buchdrucker, wollte die Schnellpresse nicht vermarkten, sondern exklusiv selber nutzen. Außerdem kamen – trotz der Patente – die ersten Plagiate auf. Koenig entschied sich, in der Heimat einen Neuanfang zu wagen. 1817 kaufte er das verlassene Kloster Oberzell bei Würzburg und baute dort gemeinsam mit Bauer eine Druckmaschinenfabrik auf – laut Koenigs Biograf Albrecht Bolza "eine der Geburtsstätten der deutschen Industrie".

Der Start verlief zäh: Da es im vorindustriellen Deutschland kaum Fachkräfte gab, mussten Koenig und Bauer die Landarbeiter der Gegend selbst zu Mechanikern ausbilden. Erst 1823 konnten sie die erste Schnellpresse auf dem Kontinent ausliefern – und zwar an die "Haude- und Spenersche Zeitung" in Berlin. Da aufgebrachte Drucker immer wieder Schnellpressen demolierten, brach die Nachfrage ein, und das junge Unternehmen geriet an den Rand des Bankrotts. Als Koenig 1833 an einem Schlaganfall starb, führten seine Witwe Fanny (1808–1882) und Andreas Bauer die Firma erfolgreich weiter. 1838 wurde die hundertste, 1895 die fünftausendste Maschine ausgeliefert. Heute ist die Koenig & Bauer AG nach eigenen Angaben der drittgrößte Druckmaschinenhersteller der Welt. (bsc)