Alan Kay erhält den Turing Award 2003

Der Preis gilt als Nobelpreis der Computerwissenschaften; Alan Kay wird für sein Lebenswerk geehrt, unter anderem für die Entwicklung von Smalltalk, das System des objektorientierten Programmierens und das Konzept des Dynabooks.

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Von
  • Detlef Borchers

Der 64-jährige Computerpionier Alan Kay erhält den diesjährigen Turing Award der Association for Computing Machinery (ACM). Der mit 100.000 Dollar dotierte Preis gilt als Nobelpreis der Computerwissenschaften. Mit dieser Auszeichnung wird der Mathematiker und Molekularbiologe Alan Kay für sein Lebenswerk geehrt, insbesondere für die Entwicklung von Smalltalk und das System des objektorientierten Programmierens. Neben diesen Meilensteinen der Computerwissenschaften gilt Alan Kay aber auch als Wissenschaftler, der mit seinen Forschungen und in zahllosen Veröffentlichungen immer wieder die Fachgrenzen ignorierte. In der Musikerzeitschrift Rolling Stone proklamierte der ausgebildete Gitarrist Kay im Jahre 1968 die "Computer-Revolution". Im Jahre 1969 skizzierte er mit seinem Dynabook die heutigen Laptops, nachdem er bei Intel den Prototyp eines LCD gesehen hatte.

"Dass mit Alan Kay einer der Visionäre im Bereich Mensch-Computer-Interaktion, den Turing Award erhält, verdeutlicht, dass das Thema inzwischen von einem Randthema zu einem zentralen Thema der Informatik geworden ist. Alan Kay hat zu einer Zeit bahnbrechende Arbeiten gemacht, als der Großteil der Informatiker noch stark die formal-theoretischen und technischen Aspekte im Vordergrund sah", meint Horst Oberquelle, Professor für Software-Ergonomie an der Universität Hamburg.

Als Kind australisch-amerikanischer Eltern wuchs Alan Kay im Hause des Großvaters heran. Dieser starb, als Kay 1940 geboren wurde, hinterließ aber als bekannter Illustrator, Fotograf und Schriftsteller eine Bibliothek von über 6000 Büchern im Haus, durch die sich der junge Alan fraß, wie er in einem Gespräch mit heise online im Jahre 2002 berichtete. "Als ich in die Schule kam, merkte ich schnell, dass die Lehrer immer nur eine Seite erzählen wollten. Mehrere Gesichtspunkte gab es für sie nicht. Ich hielt die Schule für einen ausgemachten Betrug." Mehrfach musste der aufsässige Schüler die Schule wechseln, zuletzt deswegen, weil er sich Bürgerrechtsprotesten gegen die Diskriminierung von Juden anschloss.

Im Armeedienst lernte Alan Kay das Programmieren auf einer IBM 1401. 1961 war er mit dem Problem beschäftigt, dass eine Reihe von Dateien zwischen verschiedenen Trainingslagern der Air Force ausgetauscht werden sollten, alle in unterschiedlichen Formaten verfasst. Statt aufwändige Konvertierroutinen zu schreiben, verfiel ein Programmierer auf den Trick, die Daten mitsamt den Prozeduren zu verschicken, die die Daten erzeugten. Ohne die genaue Datenstruktur zu kennen, konnte ein Programm an einem anderen Ort die Prozeduren aufnehmen und dann die Daten lesen. "Ich nannte den Trick Vererbung, weil er mich an die Biologie erinnerte." Aus dem Verfahren sollte Alan Kay später die Grundlagen für eine systematische Programmiertechnik entwickeln, die heute als objektorientiertes Programmieren bekannt ist.

Auch heute noch beschäftigt sich Alan Kay mit dem Programmieren, vor allem mit der heute quelloffenen Programmier- und Lernumgebung Squeak, dessen Entwicklung Kay während seiner Zeit bei Apple startete und das teilweise vom Disney-Konzern zur Entwicklung von Inhalten benutzt wurde (siehe zu Squeak auch: Von kleinen und großen Erfindern, c't 7/2004, S. 216). Zusammen mit dem BitBlt-Erfinder Dan Ingalls hat Kay das Viewpoints Research Institute gegründet, das sich darum kümmern soll, dass Kindern wieder "echte Mathematik" und "solide Wissenschaft" beigebracht wird. Viewpoints ist wohl das einzige wissenschaftliche Institut, dass Douglas Adams als Berater im ätherischen Beirat auflistet. Die Arbeit an Squeak ist hier Mittel und Zweck zugleich. Für die Dynabooks und KiddiComps der Zukunft ist Squeak als Programmiersprache wie als Betriebssystem konzipiert. Es gibt Mal- und Musikprogramme, Webbrowser und E-Mail: "Kinder sollten Programmieren lernen, aber nicht in diesem öden Drill, in dem sie heute Algorithmen und Mathematik an den Schulen verhunzen."

In seinen jüngsten Vorträgen ist Alan Kay der Ansicht, dass die Computer-Revolution noch gar nicht stattgefunden hat. Kay vergleicht dabei die heutige Geschichte mit dem Entstehen des Buchdrucks. Rund 50 Jahre nach Gutenberg tauchten die ersten Bücher mit Seitenzahlen auf, noch einmal 20 Jahre brauchte es, bis sich das Zitieren nach Seitenzahlen etabliert hatte und sich Wissenschaftler in einem Raum von Referenzen und Links bewegen konnten. Ähnlich sieht es im Cyberspace aus: Computer und Internet sind zwar da, doch hantieren wir mit ihnen wie in tiefster Keilschrift-Zivilisation. Eine Hand voll Experten beherrschen die Technik im Schlaf, andere schummeln sich durch und für den größten Rest der Menschen erzeugt die Technik einfach nur Stress. "Vielleicht können die Menschen in 50 Jahren mit einem multimodalen Gewebe aus Texten, Videos und Musik so umgehen, wie wir mit einem Buch, vielleicht werden sie die Unterschiede zwischen den Medien, die uns heute als Brüche begegnen, nicht einmal mehr wahrnehmen. Dann wird man vielleicht von einer Computer-Revolution sprechen."

Abseits seiner Vorträge zur Computer-Revolution tritt Alan Kay nur noch selten vor Computerwissenschaftlern auf und arbeitet hauptsächlich als Organist, der auf Bach und Buxtehude spezialisiert ist. Mit dem Film "Tron" hat ihm seine Frau Bonnie McBird ein künstlerisches Denkmal gesetzt, in dem trotz aller Eingriffe durch Disney noch Kays Gedanken spürbar sind. (Detlef Borchers) / (jk)