EU-Rechnungshof: Lücken in der Gasversorgung, CO2-Abscheidung vernachlässigt

Für den EU-Rechnungshof gibt es noch einige Unwägbarkeiten, wenn es um die Versorgungssicherheit mit Erdgas in der EU geht.

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Gelbe Plakette beim Gasanschluss eines Hauses

Eine gelbe Plakette kennzeichnet ein Haus mit Gasanschluss.

(Bild: heise online / anw)

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Die EU habe zwar einiges getan, damit Russland Gaslieferungen nicht als Waffe einsetzen könne, für den EU-Rechnungshof gibt es aber immer noch Herausforderungen für eine sichere Versorgung der EU mit Erdgas. Dazu zählen die Rechnungsprüfer die wachsende Abhängigkeit von importiertem Flüssigerdgas (LNG). Gleichzeitig sei es notwendig, für einen Teil des Gasverbrauchs CO₂-Neutralität zu erreichen. Sie kommen nach einer Sonderprüfung zu dem Schluss, die EU müsse die Rahmenbedingungen für bezahlbares Gas vervollständigen.

Insgesamt habe die EU-Kommission keine offizielle Definition für "Versorgungssicherheit". Dabei habe Gas vor Russlands Invasion in die Ukraine etwa ein Viertel des Bruttoenergieverbrauchs in der EU ausgemacht, heißt es in einem Sonderbericht des EU-Rechnungshofs (PDF). Im selben Jahr seien mehr als 20 Prozent des Stroms in der EU und fast 40 Prozent der Wärme aus Gas erzeugt worden. "Da die EU mehr als drei Viertel ihres Gases importiert, ist eine sichere Versorgung von zentraler Bedeutung, damit die Wirtschaft in Gang und der Wohlstand erhalten bleibt."

Die für das Ziel der CO₂-Neutralität notwendige Technik der Abscheidung, Nutzung und Speicherung von CO₂ (CCUS) werde zu wenig vorangetrieben, meinen die EU-Prüfer. Das könne langfristig die Versorgungssicherheit gefährden. Schließlich werde es angesichts der Klimaziele der EU immer wichtiger, die durch Erdgas verursachten CO₂-Emissionen zu senken. Mit den vier in der EU kommerziell bisher betriebenen CCUS-Projekten könnten jährlich insgesamt 1,5 Millionen Tonnen CO₂ abgeschieden werden. Bis 2050 müssten es aber jährlich 450 Millionen Tonnen sein.

Die EU sei recht schnell von den Importen russischen Erdgases abgekehrt, 2021 hätten die Importe von dort via Pipeline noch 41 Prozent ausgemacht, 2023 seien es 10 Prozent gewesen. Auf der anderen Seite sei der Anteil der LNG-Importe von 22 auf 34 Prozent angewachsen. Dadurch erhöhe sich das Risiko strukturell höherer Preise und erhöhter Volatilität auf einem angespannten Markt. Die EU müsse sich neben der Verfügbarkeit auch mehr um die Bezahlbarkeit kümmern.

Die Abkehr vom russischen Gas habe neben einer Versorgungs- zu einer Bezahlbarkeitskrise geführt, blickt der Rechnungshof zurück. "Im August 2022 erreichten die Großhandelspreise für Gas einen Höchststand von 339 Euro pro Megawattstunde, gegenüber nur 51 Euro im August 2021." Daraufhin subventionierten die EU-Länder die Gas- und Strompreise allein im Jahr 2022 mit rund 390 Milliarden Euro. Bis Ende 2023 sei es der EU gelungen, durch Diversifizierung weniger abhängig von russischem Gas zu werden, die Gaspreise hätten sich stabilisiert und Anfang 2024 das Vorkrisenniveau erreicht.

João Leão, das für die Prüfung zuständige Mitglied des Rechnungshofs, schiebt eine Wolke vor die Sonne: "Angesichts ihrer Abhängigkeit von Gas aus dem Ausland wird die EU nie einfach die Hände in den Schoß legen können, wenn es um die Versorgungssicherheit geht. Auch die Konsumenten haben für den Fall eines künftigen größeren Engpasses keine Garantie, dass die Preise bezahlbar bleiben."

Leão sagte dies vor dem Hintergrund, dass die Gasnachfrage in der EU während der Krise zwar um 15 Prozent gesunken sei. Seine Prüfer hätten aber nicht feststellen können, ob dies allein auf die Eingriffe der EU oder auch auf externe Faktoren wie hohe Gaspreise und einen warmen Winter zurückzuführen war. Die Gasspeicher seien zwar zu mehr als 90 Prozent gefüllt worden, wie es die EU vorschreibt, dies entspreche jedoch lediglich dem üblichen Füllstand der Speicher vor der Krise.

Außerdem konnten die Rechnungsprüfer nicht bewerten, ob die Gaspreisobergrenze wirksam war, da die Preise seit Einführung dieser Grenze deutlich darunter gelegen hätten. Ob die neue Plattform "AggregateEU", die einen alternativen Handelsplatz für den Gashandel bieten sollte, einen Mehrwert hatte, konnten die EU-Prüfer auch nicht feststellen. Die krisenbedingten Unterschiede zwischen den Gaspreisen in den einzelnen EU-Ländern hätten sich bereits erheblich verringert, als AggregateEU in Gang gesetzt wurde.

Die EU-Prüfer kritisieren obendrein, dass viele EU-Länder immer noch zögerten, bilaterale Solidaritätsabkommen für Gasversorgung zu schließen. Einige EU-Länder planten sogar, im Notfall ihre Gaslieferungen an einen Nachbarn zu kappen.

In Deutschland wurde vor fast genau zwei Jahren die Alarmstufe des Notfallplans Gas ausgerufen. Die Bundesnetzagentur ist dafür zuständig, die Versorgungssicherheit zu überwachen, ebenso die Gasspeicherfüllstände. Bis zum 1. Oktober müssen diese 85 Prozent betragen, zuletzt standen sie bei 80 Prozent. Ende Mai dieses Jahres hat die Bundesregierung eine Strategie verabschiedet, nach der CO₂ in Deutschland nicht nur offshore abgespeichert werden darf.

(anw)