Missing Link: KI und Rettungskräfte – wie Künstliche Intelligenz Helfern hilft​

Um Fehler bei der Katastrophenprävention und dem -management wie im Ahrtal zu vermeiden, bauen Einsatzkräfte verstärkt auf KI etwa zur genauen Lageerkennung.​

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Dank der blauen Stunde wirkt dieses Motiv dynamisch und interessant, die gelbliche Straßenbeleuchtung kontrastiert optimal mit dem blauen Nachthimmel. Die Dunkelheit erlaubt eine längere Belichtungszeit von 1/20 Sekunde und damit einen dynamischen Mitzieher. Das Blaulicht blinkt erkennbar, die Fahrzeugscheinwerfer beleuchten die Straße. Das eingeschaltete Licht im Inneren des Fahrerhauses macht den Rettungssanitäter sichtbar. Tagsüber wäre er durch die spiegelnde Frontscheibe nicht zu erkennen.Canon EOS R  29 mm  ISO 3200  f/4.5  1/20 s

(Bild: Knut Gielen)

Lesezeit: 13 Min.
Inhaltsverzeichnis

Die Warnungen vor der potenziellen Flutkatastrophe im Ahrtal im Sommer 2021 und das darauf folgende Krisenmanagement gelten als suboptimal, was dem damaligen rheinland-pfälzischen Innenminister Roger Lewentz (SPD) den Job kostete. So galten etwa Videos einer Polizei-Hubschrauberstaffel vom Abend des 14. Juli 2021 zwischenzeitlich als verschollen, worauf frühzeitig erkennbar war, dass ganze Häuser, Wohnwagen und Personen von den Wassermassen weggespült wurden. Rettungskräfte setzen daher nun verstärkt auf Systeme mit Künstlicher Intelligenz (KI), um gefährliche Lagen mit Wetterereignissen wie Starkregen und Hochwasser oder Brände früher zu erkennen sowie diese bei ihrem Eintreten quasi in Echtzeit zu inspizieren und angemessen darauf zu reagieren.

Für Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS), also die Einsatzkräfte mit Blaulicht, gestaltet sich der Alltag oft hektisch. Die Übersicht zu wahren, kann rasch zur Herausforderung werden. Immer mehr Daten und technische Hilfsmittel wie Computerprogramme und nicht zuletzt KI-Anwendungen sind vorhanden, die den Rettern bei ihren Aufgaben unter die Arme greifen. Einige Lösungen sind bereits am Start, viele sind noch in der Mache. Da als Basis oft sensible personenbezogene Informationen herangezogen werden, drohen aber auch Fallstricke etwa aufgrund der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO). Sind Risiken mit einem Einsatz der Technik verknüpft, ist zudem die neue KI-Verordnung zu beachten.

Bei einer Online-Konferenz zu "KI hilft Helfern" des Behörden-Spiegels waren sich Experten vor Kurzem einig: Das größte Potenzial von Künstlicher Intelligenz im BOS-Bereich besteht in der Lageerkundung. Die Technik sei prädestiniert dafür, "möglichst schnell eine Übersicht über den Einsatzort zu bekommen", erklärte Sirko Straube, stellvertretender Leiter des Robotics Innovation Centers beim Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI). Dafür gelte es etwa, Aufnahmen und Werte aus Drohnenkameras oder aus der Körpersensorik (Wearables) zusammen in der Leitstelle auszuwerten und im Anschluss die richtigen Schlüsse zu ziehen und sich mit anderen Rettungskräften zu vernetzen.

Als Beispiel für Frühwarnsysteme mit KI nennt Katharina Weitz, Projektmanagerin beim Heinrich-Hertz-Institut (HHI) von Fraunhofer in Berlin das von der EU geförderte Projekt Tema (Trusted Extremely Precise Mapping and Prediction for Emergency Management), mit dem das Krisenmanagement bei Naturkatastrophen verbessert werden soll. Das HHI ist dabei hauptsächlich verantwortlich für menschlich interpretierbare Erklärungen KI-generierte Vorhersagen und Empfehlungen. Im Rahmen von Tema sollen heterogene Datenquellen etwa von Drohnen, Sensoren und Satelliten unter Einbezug topographischer Informationen ausgewertet werden. Dazu kommt eine KI-basierte Objekterkennung, die etwa zwischen Fußgänger, Fahrrad oder einem motorisierten Gefährt unterscheiden und Phänomene wie Massenpaniken, Brandherde und Feuer ausmachen können soll.

Anwender müssten dabei wissen, warum das Modell so oder so klassifiziert hat, erläutert Weitz. Das Team setze hier auf Layer-wise Relevance Propagation (LRP). Dabei geht es um die Deutung einzelner Vorhersagen durch die Zuweisung von Werten, die die Bedeutung der einzelnen Eingangsmerkmale für die Vorhersage quantifiziert. Über das implementierte neuronale Netz "schicken wir das Bild wieder rückwärts, um eine visuelle Erklärung zu generieren", verdeutlicht die Informatikerin. Als Resultat würden einzelne relevante Pixel für die Einschätzung farblich hervorgehoben. Dabei handle es sich dann etwa um Anzeichen für Rauch und Feuer. Die KI liefere zudem "gelernte Konzepte mit Beispielen". Dies sei ideal für Frühwarnsysteme.

Es gebe auch für Rettungskräfte schon Modelle, "die auf erklärbarer KI basieren", weiß Simon Franke, Teamleiter Forschungsprojekte beim Informations- und Technologie-Center (ITC) des Landesverbands Rheinland-Pfalz des Deutschen Roten Kreuzes (DRK). Das Zentrum nutze ein solches bei der Notrufunterstützung. "Man kann das regelbasiert machen", sagt der Praktiker. So ließen sich etwa vom Gesprächspartner genannte Anzeichen zusammenführen, die für einen Herzinfarkt sprechen könnten.

Technik spielt für Einsatzkräfte ohnehin eine große Rolle – zunehmend gewinnt aber auch der Einsatz von Künstlicher Intelligenz an Bedeutung

(Bild: Krempl)

Allgemein ist es auch für Franke die "Traumvorstellung", mithilfe von KI frühzeitig ein einheitliches Lagebild zu bekommen. Das ITC konzentriere sich dabei zunächst auf "integrierte Leitstellen", um den Datenaustausch hinzubekommen, auch mit Partnern in der Industrie wie BASF. Oft fehle aufgrund der Vielzahl der eingesetzten Systeme noch die Basis, KI anzuwenden. Gebot der Stunde sei daher, Insellösungen schon mit standardisierten Ausschreibungen aufzubrechen und Schnittstellen zu schaffen. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) fordere bei Förderungen – ganz in diesem Sinne – inzwischen einen einheitlichen Datenstandard.

Explizite spezielle KI-Produkte für den Katastrophenschutz hält Franke aber nicht für nötig. Bestehende Techniken hälfen bereits etwa bei der Live-Übersetzung, Bilderkennung, Auswertung von Verkehrskameras, mit Blick beispielsweise auf Gefahrengut-Transporte. Es gebe auch schon KI-gestützte Lösungen, um Einsatzspitzen bei Großschadenslagen abzubauen. Vor einem Einsatz stünden aber oft noch rechtliche Bedenken, da etwa "mit Datenschutz viel erschlagen" werde. "Jeder hat ein bisschen Angst vor dem AI Act", berichtet der Plattform-Manager des Projekts Spell für innovative Technik in Rettungsleitstellen. Die neue Verordnung schaffe derzeit "viele Unsicherheiten".

Franke verweist ferner auf technologische Hürden beim Nutzen von KI: "Wir können uns nicht an einen beliebigen Cloud-Anbieter ranhängen." Es sei nötig, Infrastrukturen für die Rechnerwolken selbst zu betreiben. Dies führe zu "ganz anderen Hardware-Anforderungen" als bei privaten Anwendern. Zudem sei es nötig, Mitarbeitende, Behörden und Ministerien zu überzeugen. Viele Beschäftigte fragten sich: "Werde ich von KI abgeschafft oder kontrolliert?" Die Vorteile der Technik sollten daher einleuchten. Sie müsse ferner einfach bedienbar sein und dürfe den Arbeitsablauf insbesondere der Disponenten nicht stören. Vor Ausfällen des Mobilfunknetzes wie im Ahrtal sorgt sich der Networker dagegen nicht sonderlich – Richtfunk und Satellitenkommunikation stünden bereit.

Rettungskräften die Arbeit durch KI zu erleichtern, haben sich auch die Mitstreiter des vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr geförderten Projekts AI in Rescue Chaines (Aircis) zur Aufgabe gemacht. Es gibt bisher keine Instrumente, um die Rettungskette auch unter dem Einfluss von Extremwetterereignissen zu simulieren oder zu planen, lautet hier der Ausgangspunkt. Daher soll das Einsatzaufkommen auf Basis der Realdaten der Leitstelle Cottbus mittels KI prognostiziert und eine Simulation zur Abbildung der gesamten Rettungskette durch einen digitalen Zwilling entwickelt werden. Etwa bei Starkregen oder während Hitzeperioden könnten dann Anfahrtswege leichter anders berechnet werden.

Allein das HHI ist neben Tema unter anderem in die weitere EU-Förderinitiative MedEWsa (gesprochen: Medusa) involviert, mit dem mit KI die Prävention von Naturgefahren von Feuer über Hitzewellen bis zu Vulkanausbrüchen erleichtert werden soll. Eine deutsche Variante dazu ist das bis Ende 2024 laufende Projekt Daki (KI für Katastrophen-Frühwarnsysteme), in dessen Rahmen Weitz zufolge ein Dashboard und Schnittstellen entstehen sollen, um Industrie, Öffentlichkeit und Politik rechtzeitig zu informieren. Daki ist Teil des KI-Innovationswettbewerbs des BMWKs und wird mit rund 12 Millionen Euro bezuschusst. Ein Aspekt solcher Initiativen ist es, Satelliteninformationen der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) zu nutzen, um Waldbrandgefahren genauso vorherzusagen wie Überflutungen.