Verfassungsgericht kippt ständige Handy-Ortung durch Verfassungsschutz in Hessen

Das hessische Verfassungsschutzgesetz ist in weiten Teilen verfassungswidrig, hat das Bundesverfassungsgericht entschieden. Schwarz-Rot muss stark nachbessern.

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Zwei Hände halten Smartphone, im Vordergrund Linien als Symbol für soziale Verbindungen

(Bild: issaro prakalung/Shutterstock.com)

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Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass mehrere im Hessischen Verfassungsschutzgesetz (HVSG) geregelte Datenerhebungs- und Übermittlungsbefugnisse des Landesamts für Verfassungsschutz mit dem Grundgesetz unvereinbar sind. Laut dem am Dienstag veröffentlichten Urteil vom 17. Juli ist unter anderem die Kompetenz der Agenten zur Ortung von Mobilfunkendgeräten verfassungswidrig, weil sie "eine engmaschige lang andauernde Überwachung der Bewegungen im Raum erlaubt". Die entsprechende Norm ermögliche "intensive Grundrechtseingriffe", monieren die Karlsruher Richter. Diese seien nicht gerechtfertigt. Der Gesetzgeber habe dafür auch keine hinreichenden Schwellen vorgesehen.

Laut dem Verfassungsschutzgesetz, das die damalige schwarz-grüne Koalition 2023 zuletzt nach einer weitgehenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Bayerischen Verfassungsschutzgesetz überarbeitete, dürfen die Staatsschützer im Einzelfall technische Mittel wie IMSI-Catcher zur Ermittlung des Standorts eines aktiv geschalteten Handys einsetzen, soweit dies zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich ist. Der Erste Senat hält dies in seinem Beschluss (Az.: 1 BvR 2133/22) für zu weitgehend, da der Inlandsgeheimdienst damit Nutzer von Mobiltelefonen über einen längeren Zeitraum hinweg räumlich nachverfolgen und so Bewegungsprofile erstellen könnte. Die Vorschrift kann dem Urteil zufolge zwar prinzipiell noch bis Ende 2025 gelten. Es gilt dann aber die Einschränkung, dass die Bewegungen des Handys einer beobachteten Person "nur punktuell und nicht längerfristig nachverfolgt werden".

Übermittlungen von Daten der Verfassungsschützer, die diese mit nachrichtendienstlichen Mitteln erhoben haben, an Strafverfolgungsbehörden sind laut dem Urteil ebenfalls nicht mit dem Grundgesetz vereinbar, soweit sie nicht an besonders gewichtige Straftaten anknüpfen. Eine solch weitgehende Befugnis komme nur zum Schutz eines herausragenden öffentlichen Interesses und daher nur zur Verfolgung besonders schwerer Straftaten in Betracht. Zudem müssten "konkrete und in gewissem Umfang verdichtete Umstände als Tatsachenbasis für den Verdacht vorliegen". Diese Klausel erklärte das Gericht komplett für nichtig.

Auch Informationstransfers an sonstige inländische öffentliche Stellen stuften die Richter als verfassungswidrig ein, da die entsprechende Norm auch eine Weitergabe an inländische öffentliche Stellen mit operativen Anschlussbefugnissen erlaubt und keine dafür hinreichende Übermittlungsschwelle vorsehe. Die Vorgabe für Auskunftsersuchen bei Verkehrsunternehmen und über Flüge erklärten sie ebenfalls für unvereinbar mit dem Grundgesetz, da diese "Eingriffe mit erhöhtem Gewicht" in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung erlaube "und dafür keine hinreichende Eingriffsschwelle vorsieht". So könnten sämtliche zum Zeitpunkt der Anordnung noch gespeicherten sowie alle künftigen im möglichen Anordnungszeitraum liegenden oder auch nur gebuchten Reisebewegungen abgefragt werden. Zudem erklärte das Gericht den Paragrafen zum Einsatz verdeckter Mitarbeiter für verfassungswidrig.

Die Verfassungsbeschwerde erhob die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) gemeinsam mit der Humanistischen Union (HU), den Datenschützern Rhein Main und dem Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FifF). Unter den Beschwerdeführer waren der HU-Regionalvorsitzende Franz Josef Hanke, die wiederholt von Hetzern bedrohte Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz sowie Silvia Gingold, die aufgrund ihres antifaschistischen Engagements seit ihrer Jugend unter Beobachtung des Verfassungsschutzes steht. "Die hessische Landesregierung muss nachsitzen, weil sie schlampig mit elementaren Bürgerrechten umgegangen ist", erklärte Hanke nach der Urteilsbekanntgabe. Das sei nicht das erste Mal. Die neue schwarz-rote Koalition hat sich eigentlich vorgenommen, die Überwachung auszubauen. Mit einer Beschwerde gegen den Hessentrojaner war die Piratenpartei 2022 gescheitert.

(olb)