Krank durch 3D

Da hat man viel Geld fürs 3D-Ticket bezahlt und muss doch nach einer halben Stunde den Kinosaal verlassen: Viele Kinobesucher haben bereits unschöne Erfahrungen mit 3D gemacht – ihnen wurde schwindelig oder übel. Displayhersteller Samsung warnt im Zusammenhang mit seinen 3D-TVs sogar explizit vor Krämpfen, Übelkeit und Bewusstseinsstörungen. Panikmache oder begründete Sorge? Wir beleuchten die Hintergründe.

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Inhaltsverzeichnis

Die dritte Dimension ist schwer angesagt – erst im Kino, jetzt auch im Wohnzimmer. Doch kaum fangen die Menschen an, sich mit stereoskopischem 3D anzufreunden, werden die ersten Warnungen laut. Menschen in „schlechter körperlicher Verfassung“ sollten besser auf 3D verzichten, heißt es beispielsweise auf einer Samsung-Website [1] , Krämpfe, Übelkeit oder Bewusstseinsstörungen könnten die Folge starken 3D-Konsums sein. Das klingt ein bisschen übertrieben – und könnte auch eine rein rechtliche Absicherung gegenüber drohenden Klagen durch von 3D beeinträchtigten Zuschauer sein. Doch ganz von der Hand zu weisen sind solche Hinweise offenbar nicht.

Das Auge muss auf die Displayoberfläche fokussieren, der Fokuspunkt im Bild liegt hinter dem Schirm.

(Bild: Journal of Vision)

Um das 3D-Fernsehen ohne körperliche Beeinträchtigung zu genießen, müssten die Augen der Zuschauer das räumliche Sehen perfekt beherrschen. In Deutschland haben aber rund vier Millionen Menschen Probleme mit dem dreidimensionalen Sehen, erklärt Augenarzt Dr. Volker Steitz. Wir nehmen mit dem rechten und dem linken Auge Bilder aus unterschiedlichen Blickwinkeln wahr. Aus diesen beiden Bildern entsteht die dreidimensionale Wahrnehmung. Allerdings müssen die Augenbewegungen dafür optimal aufeinander abgestimmt sein, erklärt Dr. Steitz, die Blickachsen beider Augen müssen stets auf denselben Punkt gerichtet sein. Schon kleine Abweichungen der Blickachsen sorgen dafür, dass die Fusion der beiden Bilder misslingt. Dann kommt es zu Kopfschmerzen, Müdigkeit – oder man kann gar nicht räumlich sehen, wie laut Schätzungen bis zu 15 Prozent der Bevölkerung.

Die möglichen Einschränkungen beim Betrachten von 3D-Inhalten werden bereits seit geraumer Zeit untersucht. Weltweit beschäftigen sich Forscher damit herauszufinden, welche Faktoren den Gebrauchskomfort von 3D-Displays mindern können. Die möglichen Ursachen liegen demnach bei den stereoskopischen Displays, den zugehörigen Brillen und ebenso im 3D-Material selbst. Gemeint ist hierbei nicht die inhaltliche Qualität von 3D-Filmen, sondern die Qualität der 3D-Aufnahme: Wenn die beiden zusammengehörenden Stereobilder unterschiedlich hell, kontrastreich oder farbig sind, wenn sie nicht aus demselben Winkel aufgenommen oder andere Regeln der 3D-Aufzeichnung gebrochen wurden, gleicht unser Sehapparat mögliche Unterschiede zwar meist aus. Doch diese unbewusste Denkleistung strengt das Gehirn an und kann über kurz oder lang zu Kopfschmerzen, Müdigkeit oder Übelkeit führen.

Einige der genannten Faktoren lassen sich zugleich auf die 3D-Aufnahme und auf das stereoskopische Display zurückführen. So können Unterschiede zwischen den Stereobildern schon bei der Aufzeichnung entstanden sein oder aber durch eine 3D-Brille ausgelöst werden, die der Zuschauer für den Tiefeneindruck auf der Nase trägt – etwa, weil die beiden Shuttergläser unterschiedlich gut abdunkeln. Eindeutiger auf der Hardware-Seite liegen Übersprecher (Crosstalk), Flimmern oder 3D-Moiré, ebenso eine ungleichmäßige Ausleuchtung, eine zu geringe Auflösung oder starke Unschärfen aufgrund zu lahmer Displayschaltzeiten.

Ein grundsätzliches Problem sehen Forscher im Konflikt zwischen Konvergenz und Akkomodation [3] : Beim Betrachten eines 3D-Bildes am Display müssen die Augen auf die Schirmoberfläche fokussieren, obwohl der eigentliche Fokuspunkt des dreidimensionalen Bildes hinter dem Schirm (in der Tiefe des 3D-Bildes) liegt. Dieser Konflikt zwischen tatsächlichem und im Bild liegenden Fokuspunkt kann den Zuschauer irritieren und ermüden.

Gezielte Unschärfe im Bild vermittelt bereits ohne Stereoskopie einen Tiefeneindruck. In 3D-Filmen verwirren solche Stilmittel allerdings den Betrachter, wenn er – vergeblich – versucht, auf eine andere Bildebene scharf zu stellen.

(Bild: Journal of Vision)

Eine allgemeine Forderung lautet deshalb, in Filmen die wichtigsten Details einer Szene in die Displayebene zu verlegen, um den Unterschied zwischen Fokussierentfernung der Augen und Fokussierebene im Bild zu minimieren. Experten wie der 3D-Kameramann Werner Bloos fordern, dass Filmszenen von vorn bis hinten scharf sein sollten. Nur dann könne der Zuschauer selbst wählen, wohin er schaut und welches Objekt er fokussiert. Würden im Film dagegen bewusst 2D-Stilmittel wie Bildunschärfe eingesetzt, versuche das Auge, scharf zu stellen, könne es aber nicht.

Untersuchungen haben ergeben, dass der räumliche Eindruck umso besser wird, je besser Schärfe und Fokus zusammenpassen. Die Fokusabweichungen fallen dabei mit wachsendem Abstand zum Display weniger störend ins Gewicht – der Fokus-Konflikt könnte den Zuschauer im heimischen Wohnzimmer also stärker beeinträchtigen als im großen 3D-Kinosaal.

Der Mensch verwendet zur Raumwahrnehmung allerdings nicht nur die zwei unterschiedlichen, von den Augen wahrgenommenen Bilder (binokulare Disparität), sondern noch diverse andere „Tiefenhinweise“. Bei stereoskopischen 3D-Filmen passen einige der Hinweise nicht zusammen. Beispielsweise stimmt die Schärfe innerhalb des 3D-Bildes nicht mit der Schärfewahrnehmung innerhalb der Realität überein: Diejenigen Objekte, auf die das Auge in der echten (3D-)Welt fokussiert, sind am schärfsten abgebildet, alles weiter Entfernte oder näher Liegende wird unschärfer. Anders beim 3D-Display: Hier ist die Brennweite der Iris fixiert (der Blick ist auf die Displayoberfläche gerichtet). Wenn der Blick in einem realen 3D-Bild herumwandert, werden neuronale Kommandos an das Gehirn geschickt, damit die Augenmuskeln entsprechend akkomodieren und so die jeweilige Unschärfe im Fokuspunkt minimieren. Wandert der Blick dagegen im simulierten 3D-Bild herum, kann das Auge einzelne Bildteile nicht beliebig scharf oder unscharf stellen – was scharf ist, wurde bereits bei der Aufnahme festgelegt. Es fehlt hier der dem Sehapparat bekannte Zusammenhang zwischen Unschärfe/Akkomodation und Entfernung. Die Auflösung dieses Konflikts – das Entkoppeln von Akkomodation und Augenbewegung – kann Unwohlsein und Müdigkeit auslösen.

Einige Kritiker sind sogar der Meinung, dass andauernder 3D-Genuss irreparable Schäden anrichten könnte. Beginnt das Gehirn irgendwann, die Entkopplung von Schärfe und Akkomodation sowie die unterschiedlichen Fokusebenen zu verfestigen, fehlen dem Betrachter die im realen Leben notwendigen Hinweise zum räumlichen Sehen. Normalerweise legt sich diese „binokulare Dysphorie“ nach einigen Minuten – Verfechter einer Theorie [2] schließen aber nicht aus, dass gerade bei Kindern das Risiko einer permanenten räumlichen Fehlwahrnehmung besteht. In der Folge könne es nach häufigem 3D-Genuss beispielsweise zu einem Verlust des räumlichen Sehvermögens kommen.

Diese erschreckende Annahme ist allerdings nicht allgemeiner Konsens. So vermutet die internationale Standardorganisation ISO in einem Report über biomedizinische Effekte von 3D, dass zwar etwa zehn Prozent der Zuschauer unangenehme Nebenwirkungen spüren, wenn sie 3D-Bilder betrachten. Die bislang beobachteten körperlichen Auswirkungen seien aber weniger schwerwiegend und beschränkten sich vornehmlich auf vorübergehendes Unwohlsein, Schwindelgefühl oder Übelkeit.

Mehr Infos

Mögliche Stressfaktoren bei 3D

  • Unterschiede in den Stereobildern bei Helligkeit, Kontrast und Farbe
  • übermäßige binokulare Disparität
  • räumlich oder zeitlich stark wechselnde Disparität
  • Inkonsistenz zwischen den im Bild vorhandenen Tiefenhinweisen
  • Inkonsistenz zwischen Akkomodation und Konvergenz
  • Übersprecher (Crosstalk)

Panik sei nicht angesagt, meint auch Stefan Albertz von der Postproduktions-Firma Pictorion. Weil die Disparation das 3D-Sehen dominiere, könne das Gehirn die Rückreize aufgrund der Augenbewegung zumindest eine Zeit lang unterdrücken. Der 3D-Fachmann sieht vielmehr das schlechte Ausgangsmaterial als Stolperstein für den aktuellen 3D-Boom. So leide die 3D-Qualität enorm, wenn 2D-Material nachträglich auf die Schnelle „dimensionalisiert“ wird wie beispielsweise beim 3D-Kinofilm „Kampf der Titanen“. Viele enttäuschte Zuschauer würden sich über die Mehrausgabe für den Eintritt ärgern und in der Folge keine 3D-Vorstellungen mehr besuchen. Albertz wünscht sich deshalb, dass solche Nachbearbeitungen auf den Plakaten und Blu-ray-Disc-Hüllen kenntlich gemacht werden. Das fordert auch James Cameron: Der Macher von Avatar möchte eine freiwillige Selbstkontrolle der Filmindustrie ins Leben rufen, um den derzeitigen Schwung und die Qualität im 3D-Bereich zu wahren und unsinniges Zeug („stupid stuff“) wie die 3D-Konvertierung von „Kampf der Titanen“ zu verhindern [4] .

Auch im Heimkino ist die 3D-isierung ein umstrittenes Thema. TV-Hersteller wie Sony und Samsung haben eine Konvertierungsautomatik in ihre Geräte eingebaut, mit der beliebiges 2D-Material in Echtzeit in vermeintliches 3D umgewandelt und am Bildschirm stereoskopisch angezeigt wird. Panasonic verweigert sich bislang der 3D-isierung, Toshiba will sie erst ab der kommenden Generation der Cell-TVs mit entsprechender Rechenpower anbieten. Subjektiven Tests hat die Qualität der Wandlung bislang nicht standgehalten – es treten einfach zu viele Fehler auf: Da fliegt der Torwart schon mal durch den Torpfosten oder der Ball mitten durchs Netz, Bäume wechseln beim Heranzoomen plötzlich ihre Positionen und ursprünglich gerade Wände biegen sich nach innen. Anders als die oben genannten Schwächen in echtem stereoskopischen 3D-Material kann unser Gehirn solche Brüche nicht mehr wegrechnen.

Die 3D-Technik befindet sich gerade in einer heißen Phase: Im Kino schien sie bereits etabliert, doch qualitativ minderwertige 2D-zu-3D-Konvertierungen könnten das Publikum auf lange Sicht vergrätzen. Im Wohnzimmer muss sich erst noch zeigen, ob die TV-Käufer tatsächlich mit 3D-Brille auf dem Sofa sitzen wollen. Wenn die 3D-Begeisterten jetzt auch noch Angst um ihre Gesundheit haben müssen, könnte der 3D-Hype schnell wieder vorbei sein.

Fake-3D: Der Actionfilm „Kampf der Titanen“ wurde nachträglich in die dritte Dimension übertragen.

(Bild: Warner Bros. Ent.)

Anders als in den fünfziger Jahren sorgt die Digitaltechnik heute zweifellos für wesentlich weniger Kopfschmerzen. Von den bei einigen Displays auftretenden Geisterbildern und der reduzierten Helligkeit abgesehen reicht die 3D-Wiedergabequalität inzwischen an die herkömmlicher 2D-Bilder heran. Der schwarze Peter liegt in erster Linie auf der Produktionsseite: Schlecht gemachte 3D-Filme sorgen für verknotete Gehirnwindungen und können den 3D-Enthusiasmus der Kundschaft stark dämpfen. „Ach, wenn 3D so schlecht aussieht, brauche ich das nicht“ – wer sich einmal seine Meinung gebildet hat, wird schwer wieder davon abzubringen sein.

3D ist eigentlich „ein offenes Feld voller kreativer Entfaltungsmöglichkeiten“, findet Stefan Albertz. Doch man stehe erst ganz am Anfang, und der Druck der Industrie auf die Filmemacher sei bereits jetzt enorm. Werden dadurch bei der Aufnahme weder Grundregeln beachtet noch die Feinheiten der 3D-Technik berücksichtigt, muss man allerdings Schlimmes befürchten. Wenn schon der enorm aufwendig gemachte 3D-Kassenschlager „Avatar“ bei einigen Zuschauern unruhige Mägen verursacht, könnte es um ihr Wohlbefinden bei hektisch erstellten oder minderqualitativ konvertierten 3D-Filmen schlecht bestellt sein.

[1] Samsung 3D TV Notice: www.samsung.com/au/tv/warning.html

[2] Keep doing that and you’ll go blind: www.abc.net.au/unleashed/stories/s2813511.htm

[3] David M. Hoffman, Ahna R. Girshick, Kurt Akeley, Martin S. Banks: Vergence–accommodation conflicts hinder visual performance and cause visual fatigue, Journal of Vision (2008) 8(3):33, 1–30

[4] Avatar’s Cameron calls for 3-D watchdog: www.thestar.com/entertainment/movies/article/799551–avatar-s-cameron-calls-for-3-d-watchdog (uk)