Causa Schönbohm: Auftakt zur Aufarbeitung

Vor dem Landgericht München wird über die Vorwürfe gegen das ZDF und Jan Böhmermann verhandelt, während politisch ein noch brisanterer Prozess läuft.

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Ex-BSI-Präsident Arne Schönbohm

Die Gesichter einer Affäre: Nancy Faeser, Jan Böhmermann, Arne Schönbohm.

(Bild: dpa/ZDF/Montage: heise online)

Lesezeit: 8 Min.
Inhaltsverzeichnis

Das Verfahren vor der Pressekammer des Landgerichts München zieht den Fall des Ex-BSI-Präsidenten Schönbohm wieder ins Rampenlicht. Dabei geht es auf der einen Seite um die Frage, ob das ZDF und Jan Böhmermann sauber gearbeitet haben. Doch politisch ist ein zweiter Prozess viel heikler.

Zwei Fragen stehen seit zwei Jahren im Zentrum: Hat Jan Böhmermann dem damaligen BSI-Präsidenten zu Unrecht eine zu große Nähe zu russischen Akteuren nachgesagt und ihn als Sicherheitsrisiko bezeichnet? Und: Hat die Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) ihn aufgrund dieser Satiresendung erst die Führung der Amtsgeschäfte untersagt und anschließend an die Bundesakademie für die Öffentliche Verwaltung strafversetzt? Beide Fragen werden gerichtlich geklärt.

Arne Schönbohms Ernennung unter dem damaligen Bundesinnenminister Thomas de Maizière war ein Politikum. Der damalige Chef des Cybersicherheitsrat Deutschland (CSRD), eines Lobbyverbands, galt in Teilen der Fachwelt als Fehlbesetzung. Die damalige CCC-Sprecherin Constanze Kurz nannte ihn einen „Cyberclown“. Ein Begriff, den Jan Böhmermann im ZDF Magazin Royal am 7. Oktober 2022 aufgriff. In seiner Sendung ging es um den CSRD, dessen aktuellen Präsidenten, ein russisches Mitgliedsunternehmen und das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik.

Skandalisiert wurde unter anderem, dass Schönbohm zur Jubiläumsfeier des CSRD ging und dort ein Grußwort hielt – obschon eigentlich der Verein seit Jahren gemieden werden sollte, so eine Dienstanweisung. Schönbohm beantragte eine Ausnahmegenehmigung bei Staatssekretär Markus Richter, doch davon erfuhren die Zuschauer nichts. Auf Basis zusammengetragener Berichterstattung Dritter über fast die gesamte Amtszeit Schönbohms kam Böhmermann zu dem Schluss: Dieser sei eine "Gefahr für die Cybersicherheit Deutschlands".

So weit, so unspektakulär, dachten zu diesem Zeitpunkt viele Fachleute. Dass Schönbohm vom CSRD und einer Unternehmensberatung kam, seine Qualifikation anfangs infrage gestellt wurde, auch aufgrund der CDU-Nähe und der Eigenschaft als Sohn des bekannten früheren brandenburgischen Innenministers Jörg Schönbohm: alles längst bekannt und dokumentiert. Dass der Chef des BSI bei Veranstaltungen auch auf mutmaßliche Mitarbeiter ausländischer Nachrichtendienste trifft: Eine Selbstverständlichkeit. Und kein Hindernis für die höchste Sicherheitsfreigabe, die es in der NATO gibt: Cosmic – die Schönbohm während seiner Amtszeit im BSI hatte.

Dass es fachlich sogar bessere BSI-Präsidentinnen und -Präsidenten geben könnte: Womöglich zutreffend, aber Angelegenheit der zuständigen Bundesminister. Die Leitung einer Behörde muss nicht zwingend selbst versierter Quantenkryptologe sein, so wie Minister auch keine Spezialqualifikation benötigen.

In der betreffenden Ausgabe von "ZDF Magazin Royale" gingen einige Informationen zur deutschen Tochter der russischen Firma Infoteks unter. Umbenannt in Protelion, deren Deutschlandbüro in Berlin einen Häuserblock vom Auswärtigem Amt residierte, hatte diese beim BSI eine Zertifizierung für VPN-Produkte beantragt – diese aber nie erhalten. Doch das erfuhren die Zuschauer nicht.

In der öffentlichen Debatte spielten solche Details keine Rolle. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) stellte in den Folgetagen eine Prüfung der von Böhmermann erhobenen Vorwürfe in den Raum. Dem BSI wurde ein Maulkorb verpasst, wogegen dessen Vizepräsident Gerhard Schabhüser per Brief formal protestierte. Das BSI und Schönbohm durften sich selbst öffentlich nicht gegen die Vorwürfe verteidigen – die Zuständigkeit dafür lag nun allein beim Innenministerium.

Am 18. Oktober 2022, eineinhalb Wochen nach der Sendung, wurde Arne Schönbohm die Führung der Dienstgeschäfte untersagt. Wesentlicher Teil der Begründung durch den damaligen Abteilungsleiter Zentrale Dienste: Durch die Böhmermann-Berichterstattung und anschließende Berichterstattung wäre "der Öffentlichkeit das Vertrauen in die Amtsführung nachhaltig beschädigt". Hinzu käme "eine Vielzahl von Vorkommnissen in Zusammenhang mit der fachlichen sowie der personellen Führung des Amtes, die auch das Vertrauen von Frau Ministerin in Ihre Amtsführung irreparabel gestört haben."

Gegen diese Untersagung ging Schönbohm gerichtlich vor. Doch mit einer Umsetzung des Beamten auf einen anderen Posten, für den der Bundestag extra die Besoldung anpassen musste, konnte das BMI einer gerichtlichen Entscheidung vorerst entgehen. Er durfte ja wieder Amtsgeschäfte führen – nur woanders. Schönbohm beantragte ein Disziplinarverfahren gegen sich, damit er von allen Vorwürfen reingewaschen werden könne. Dieses fand nie statt – obwohl fast ein halbes Jahr lang im Ministerium nachgeforscht wurde, ob Schönbohm nicht doch etwas getan hätte, was ihm zur Last gelegt werden könne. Bis hin zur Abfrage beim Verfassungsschutz, ob dort etwas gegen ihn vorliege.

Der ehemalige BSI-Präsident verklagte das ZDF, weil bei Böhmermanns Sendung seiner Auffassung nach die redaktionellen Sorgfaltspflichten verletzt wurden und Schönbohm unzulässig herabgewürdigt. Ob das ZDF seine Sorgfaltspflichten im Fall der "Cyberclown"-Sendung tatsächlich verletzt hat, entscheidet nach dem gestrigen Verhandlungstag die Pressekammer des Landgerichts München voraussichtlich Ende November.

Laut Berichten von der Verhandlung äußerte der Vorsitzende Richter der Pressekammer am Landgericht München deutliche Zweifel an der Sorgfalt der redaktionellen Arbeit: In allen fünf Punkten, in denen Schönbohm vom ZDF Schadenersatz in Höhe von 100.000 Euro verlangt, schien er den Argumenten des Klägers mehr Glauben zu schenken als den Darlegungen der anwaltlichen Vertretung des Mainzer Senders. Dabei ging es unter anderem um die Frage, ob die Darstellungen in der Sendung auf belastbaren Quellen beruhten. Sprich: Ob die redaktionelle Sorgfalt durch das ZDF sichergestellt wurde.

"Das Gericht war in seiner Einschätzung sehr eindeutig", sagt Arne Schönbohm im Gespräch mit heise online. "Es wird deutlich: man kann nicht einfach jemanden wie im Mittelalter an den Pranger stellen und medial hinrichten." Natürlich gelte es jetzt, das Urteil, das am 28. November verkündet werden soll, abzuwarten. Nach der Verhandlung sei er zuversichtlich: "Ich rechne mit einem Erfolg." Eine außergerichtliche Einigung hatte das ZDF vor einem Jahr abgelehnt. Sollte das ZDF die Klage verlieren, dürfte es aufgrund der grundsätzlichen Bedeutung in Revision gehen.

Gleiches gilt für Schönbohm. Daran anschließen könnte sich zudem eine Klage des ehemaligen BSI-Präsidenten gegen Jan Böhmermann und seine Produktionsfirma.

Doch auch mit dem Urteil aus München wäre die Aufarbeitung der Ereignisse noch nicht zu den Akten gelegt. Denn die Frage, was das Bundesinnenministerium aufgrund der Böhmermann-Sendung unternahm, ist davon getrennt zu behandeln. "Was das Bundesinnenministerium macht, ist nicht unser Bier", hatte der Moderator im September 2023 auf Mastodon dazu geschrieben.

Dass das Innenministerium in eigener Verantwortung handelt, sieht auch Arne Schönbohm so. Und führt deshalb ein weiteres, für ihn wohl noch wichtigeres Verfahren, das auf den Erkenntnissen aus dem Münchner Verfahren aufbauen dürfte: Seit fast einem Jahr ist seine Klage beim Verwaltungsgericht Köln gegen seinen Dienstherrn, das Bundesministerium des Innern, anhängig. Der Vorwurf: Das Innenministerium unter Nancy Faeser habe seine Fürsorgepflicht verletzt. Das BMI hätte, so die Auffassung des Klägers, seinen Beamten nicht vor unzutreffenden Behauptungen in Schutz genommen.

Formell geht es in diesem Verfahren um 5.000 Euro. Doch bei einer Verhandlung würde das gesamte Verhalten des Bundesinnenministeriums thematisiert und alle Beteiligten der umstrittenen Vorgänge als Zeugen gehört werden. Damit könnten jene Vorgänge vollumfänglich aufgearbeitet werden. Zentral dabei: Warum wurde Schönbohm von Nancy Faeser und dem Bundesinnenministerium nicht vor unzutreffenden Vorwürfen geschützt, sondern fallengelassen? Das Verwaltungsgericht Köln ließ eine Anfrage von heise online zum Verfahrensstand am Freitag unbeantwortet.

Auch diese Klage Schönbohms scheint derzeit keineswegs ohne Aussicht auf Erfolg. Aber das wäre dann nicht Jan Böhmermanns Bier, sondern Faesers. Arne Schönbohm hat viel zu gewinnen.

(nen)