Die Macht des Blogs: Theobald Tiger ärgert Rüttgers

Wie nie zuvor nimmt ein Weblog Einfluss auf die politische Meinungsbildung im Bundesland Nordrhein-Westfalen. Zu leiden hat darunter vor allem Jürgen Rüttgers' CDU.

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Von
  • Bettina Grönewald
  • dpa

Theobald Tiger, Peter Panter und Kaspar Hauser mischen im nordrhein-westfälischen Landtagswahlkampf kräftig mit. Wie nie zuvor nimmt ein Weblog Einfluss auf die politische Meinungsbildung im Land. Unter den harmlos klingenden Pseudonymen des legendären Journalisten Kurt Tucholsky (1890–1935) veröffentlichen sechs Autoren im Blog "wir-in-nrw" seit Dezember 2009 brisante Enthüllungen. Zu leiden hat darunter vor allem Jürgen Rüttgers' CDU.

Das Blog veröffentlichte Dokumente zur "Rent-a-Rüttgers-Affäre" um Angebote für bezahlte Gespräche mit dem Ministerpräsidenten. Peinlichkeiten aus dem E-Mail-Verkehr zwischen der Düsseldorfer Staatskanzlei und der CDU-Zentrale fanden ebenso ihren Weg in das Blog wie die laxe Zahlungsmoral von Landtagspräsidentin Regina van Dinther (CDU) bei ihren Parteibeiträgen. Auch die jüngste Affäre um eine CDU-Wählerinitiative im Wahlkampf 2005 hatten die Blogger ins Rollen gebracht.

Inzwischen verzeichnet das Blog bis zu 80.000 Zugriffe pro Woche – vor allem, wenn wieder eine Affäre die Zeilen füllt. Zeitungen und elektronische Medien kommen kaum noch an der Beobachtung des Blogs vorbei und greifen die Geschichten häufig auf.

Dass die Enthüllungen von "wir-in-nrw" zur Landtagswahl in NRW am kommenden Sonntag die Sargnägel für Schwarz-Gelb werden könnten, weist der Kopf des Blogs, Alfons Pieper, aber weit von sich. "Das wäre eine völlige Überbetonung unserer Arbeit", wehrt der 69-Jährige ab. "Wir wollten eine kritische Berichterstattung erreichen", erklärt er seine Beweggründe, ein solches Forum zu starten.

Als einziger der sechs Schreiber steht Pieper mit seinem eigenen Namen und Gesicht für das Angebot. "Wir versuchen, die Dinge zurechtzurücken." In den traditionellen Medien macht der pensionierte ehemalige Vizechefredakteur der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ) "teilweise eine zu starke Hofberichterstattung zugunsten von Jürgen Rüttgers" aus. Die Opposition sei in der nordrhein-westfälischen Medienlandschaft bisweilen geradezu ausgegrenzt worden.

Die CDU sieht sich dagegen im Zentrum einer "Schmutz-Kampagne". Für den Generalsekretär der NRW-CDU, Andreas Krautscheid, steht fest: "Wir-in-nrw dient anonymen Autoren als digitale Abschussrampe für einseitige Angriffe auf die CDU und bezieht seine Aufmerksamkeit vor allem aus der Veröffentlichung von Dokumenten und E-Mails, die zum Teil vor mehreren Jahren der CDU illegal entwendet oder ausgespäht worden sind." Die Dokumente hätten sich "teilweise als gefälscht, teilweise als absichtsvoll verkürzt entpuppt", sagt Krautscheid der dpa. Vor allem in der Schlussphase des Wahlkampfes sei "die aggressiv-einseitige Ausrichtung und Zielsetzung des linken Blogs offensichtlich geworden".

Dass es frustrierte oder verprellte "Maulwürfe" im Partei- und Regierungsapparat gibt, die das Blog mit internen Papieren munitionieren, weiß die CDU-Spitze. Wer heimlich E-Mails und Briefe abgefangen hat, weiß sie indes nicht. "Unsere Informationen kommen aus dem 'inner circle'", versichert Pieper. Für Krautscheid ist die Arbeit der Blogger "Kampagne unter einem journalistischen Deckmäntelchen".

Pieper findet den Vorwurf, der SPD gezielte Wahlkampfhilfe zu leisten absurd. "Es ist doch völlig normal, dass Journalisten vor allem die Regierung kritisch beobachten – ohne die Kritik an der Opposition zu vergessen", unterstreicht er. "Wenn Hannelore Kraft (SPD) an die Regierung kommt, werden wir unser Augenmerk verstärkt auf sie richten."

Hacker-Angriffe auf das Blog habe es schon gegeben, erzählt Pieper. "Und Versuche, uns hinter den Kulissen zu kriminalisieren, indem man uns Datenklau vorwirft." Aber: "Das lässt mich kalt. Ich bin völlig unabhängig." Ein Staatsanwalt sei noch nie in seinem Büro aufgetaucht.

Kritik an der Anonymität seiner Autoren hält Pieper für ungerechtfertigt. "Das ist eine reine Schutzfunktion. Die Kollegen arbeiten in anderen Medien, die das nicht goutieren würden."

Der Münsteraner Kommunikationswissenschaftler Professor Bernd Blöbaum mahnt jedoch zum sorgfältigen Umgang mit Blogs. "Solche Inhalte sind schließlich nicht durch Quellenangaben gesichert und man muss genau überlegen, inwieweit anonyme Quellen gute Quellen sind." Andererseits empfiehlt der Journalismusforscher der Politik, nicht mit Kanonen auf Spatzen zu schießen und die Rechtmäßigkeit von Blog-Informationen nicht allgemein infrage zu stellen. "Das kann nach hinten losgehen."

Politiker müssten sich bewusst sein, dass ihr Handeln nicht nur von der Presse beobachtet werde, sondern zunehmend auch von einer breiten sachkundigen Öffentlichkeit im Internet. Bei Negativ-Schlagzeilen müsse sich daher auch jeder an die eigene Nase fassen. "Der beste Schutz vor schlechten Nachrichten ist große Transparenz." (anw)