KI-Gesichtserkennung und Co.: Schlimmste Überwachungsnovelle aller Zeiten​ droht

Das Internet kann man nicht downloaden: Warum das KI-Überwachungspaket der Bundesregierung jetzt gestoppt werden muss​. Ein Kommentar von Dennis-Kenji Kipker.

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Wird Deutschland zum Überwachungsstaat?

(Bild: heise online / mack)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Prof. Dennis-Kenji Kipker
Inhaltsverzeichnis

Ambitionierte Ziele verfolgt der jüngst durch die Bundesregierung vorgelegte Gesetzentwurf zur "Verbesserung der Terrorismusbekämpfung", denn er soll nichts anderes schaffen als "moderne und sachgerechte polizeiliche Befugnisse" in einer zunehmend digitalen Welt.

Auf den ersten Blick wirkt es, als ob die Polizeibehörden bislang keinerlei digitale Ermittlungsbefugnisse hätten und nun durch dringend notwendige gesetzliche Änderungen endlich in die Lage versetzt würden, zeitgemäße Polizeiarbeit im 21. Jahrhundert zu betreiben. Nüchtern betrachtet handelt es sich jedoch lediglich um eine weitere Aufstockung digitaler Späh- und Überwachungsbefugnisse, die auf einem bereits seit dem 11. September 2001 und noch länger bestehenden Sediment rechtlicher Möglichkeiten zur digitalen Polizeiarbeit aufbaut.

Ein Kommentar von Dennis-Kenji Kipker

Dennis-Kenji Kipker ist wissenschaftlicher Direktor des cyberintelligence.institute in Frankfurt am Main und Professor für IT-Sicherheitsrecht.

Doch der jüngste Regierungsvorstoß (PDF) ist anders: Es geht nicht nur darum, die x-te sicherheitsbehördliche Datenbank zu schaffen, darüber zu sinnieren, ob man statt Quick Freeze nicht besser auch eine Vorratsdatenspeicherung machen sollte oder ob die Einsatzhürden für den Staatstrojaner zu hoch sind. Es geht stattdessen um die Einführung der bürgerrechtlich schlimmsten Überwachungsnovelle, über die wir in der Bundesrepublik je debattiert haben.

Der Gesetzentwurf ist lang und die Befugnisse kompliziert umschrieben, daher nur so viel: Was der Bundesregierung vorschwebt, ist die Schaffung einer umfassenden Befugnis für den biometrischen Abgleich von öffentlich zugänglichen Daten aus dem Internet mittels automatisierter technischer Verfahren wie KI-basierter Systeme. Wie das im Einzelnen genau funktionieren soll, darüber schweigt sich der Gesetzentwurf aus – klar jedenfalls aber ist, dass hier in einem einzelnen Überwachungsgesetz erstmals Vorfelderhebung, Massendatenauswertung, Datenbankzusammenführung und künstliche Intelligenz miteinander kombiniert werden – sprichwörtlich der sicherheitsbehördliche Daten-Supergau.

Wo wir beim Volkszählungsurteil und auch in der Europäischen Grundrechtecharta davon sprechen, dass die Erhebung von personenbezogenen Daten rechtfertigungsbedürftig ist und auf den konkreten Einzelfall beschränkt sein muss, wird dieser Grundsatz mit dem Gesetzesvorstoß in das genaue Gegenteil verkehrt.

Grundsätzlich sind erst einmal alle Bürger:innen, zu denen Gesichter und Stimmdaten im Internet verfügbar sind, der sicherheitsbehördliche Beifang – abgeglichen und aussortiert wird dann anlassbezogen. Und selbst bei dieser Anlassbezogenheit räumt man sich Befugnisse ein, die weit über Kapitaldelikte hinausgehen, indem Maßnahmen der prädiktiven Massenüberwachung auch zur Verfolgung von Wohnungseinbruchdiebstahl, Hehlerei, Sportwettbetrug, Urkundenfälschung und Bestechung herangezogen werden können.

Gegen einen solchen politischen Vorstoß nimmt sich selbst die Vorratsdatenspeicherung, über die wir seit nunmehr fast 20 Jahren streiten, wie ein Spaziergang aus. Man mag sich im direkten Vergleich sogar fragen, worüber man sich da echauffiert hat, wenn nun nicht nur anlassbezogen bloße Verkehrsdaten eines einzelnen Telekommunikationsanbieters ausgewertet werden dürfen, sondern unsere hochsensiblen biometrischen Daten massenhaft und anlasslos erhoben und ausgewertet werden dürfen.

Und das allergrößte Problem dabei vielleicht: Die Schwere der Beeinträchtigung unserer digitalen Grundrechte ist umso größer, je weiter die technische Entwicklung voranschreitet. Vielfach sind wir allein schon im gesellschaftlichen, beruflichen und wirtschaftlichen Leben dazu gezwungen, unsere persönlichen Daten in Social Media und im Internet mit anderen zu teilen. Eine Form der Überwachung also, der wir uns immer schwerer bis gar nicht mehr entziehen können.

Wenn wir also vom viel zitierten "gläsernen Bürger" sprechen, dann sicherlich mit diesem neuen Gesetzespaket. Die Bundesregierung weiß fatalerweise noch nicht einmal selbst, was sie mit den Maßnahmen genau bezwecken will. Im Entwurf wird scheinbar beliebig mit algorithmenbasierten KI-Worthülsen um sich geworfen, ohne überhaupt eine Technologie- oder Risikofolgenabschätzung vorzunehmen und neben Datenschutz und Datensicherheit auch ganz zentrale Fragen zu KI-Manipulation und Diskriminierung zu berücksichtigen.

Doch trotz all dieser Hiobsbotschaften für unsere digitalen Grundrechte gibt es zumindest noch eine gute Nachricht, denn das Gesetzespaket zur Terrorabwehr, das diese Maßnahmen umsetzt, wurde zumindest aktuell noch nicht verabschiedet. Mehr als genügend Grund also, jetzt zu informieren und zivilgesellschaftlich zu mobilisieren, damit es nicht so weit kommt – denn sollten diese Befugnisse zur biometriegestützten Internet-Massenüberwachung erst einmal umgesetzt sein, ist der Kampf um unsere digitale Privatsphäre für lange Zeit verloren.

Hinweis: Prof. Dennis-Kenji Kipker hat eine Analyse (PDF) zum "Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Terrorismussbekämpfung" verfasst.

(mack)