Überwachungsdossier im EU-Rat: Wieder keine Einigung bei der Chatkontrolle

Die Ratspräsidentschaft sah sich erneut gezwungen, den Plan zur Messenger-Überwachung von der Tagesordnung zu streichen. Gegner sprechen von einem toten Pferd.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 14 Kommentare lesen
Die Symbole verschiedener Chat-Anwendungen auf dem Bildschirm eines Smartphones.

Die EU-Kommission ist erneut an einer Ausweitung der Überwachungsmöglichkeiten von Messenger-Chats gescheitert: Wieder ließ sich keine Mehrheit im entsprechenden Ausschuss gewinnen.

(Bild: Michele Ursi/Shutterstock.com)

Lesezeit: 3 Min.
Inhaltsverzeichnis

Dem ungarischen EU-Ratsvorsitz ergeht es im Streit über die Chatkontrolle nicht anders als seinen Vorgängern. Die derzeitige Präsidentschaft sah sich am Mittwochmorgen gezwungen, die geplante Abstimmung über den Kurs der Mitgliedsstaaten rund um den heftig umkämpften Entwurf der EU-Kommission für eine Verordnung zur Online-Überwachung unter dem Aufhänger des Kampfs gegen sexuellen Kindesmissbrauch von der Tagesordnung des Ausschusses der Ständigen Vertreter der EU-Länder (Coreper) zu nehmen. Denn es zeichnete sich ab, dass es in dem Gremium wieder keine qualifizierte Mehrheit für eine gemeinsame Position des Rats in der Sache geben würde.

Den Ausschlag gaben diesmal die Niederlande. Sie erklärten am Dienstag, sich nicht in der Lage zu sehen, für den aktuellen Vorschlag der Ungarn zu stimmen oder sich zu enthalten. Damit zeichnete sich erneut eine Sperrminorität ab, da unter anderem auch Deutschland, Schweden und Österreich die vorgezeichnete Linie nicht mittragen wollen.

Ihre Bedenken lauten im Kern: Auch die aktuelle Ratspräsidentschaft hat die Bedenken zum Schutz von Grundrechten wie auf Privatsphäre sowie zur Sicherheit des digitalen Raums nicht ausräumen können. Mit der Chatkontrolle drohe Ende-zu-Ende-Verschlüsselung untergraben zu werden.

Ungarn schlug zuvor vor, die umstrittenen Aufdeckungsanordnungen auf bekannte Missbrauchsdarstellungen zu beschränken. Die Suche nach neuen einschlägigen Bildern oder Videos sowie nach Hinweisen auf das Heranpirschen an Kinder übers Internet (Grooming) sollten außen vor bleiben.

Eine Chatkontrolle habe "in einem Rechtsstaat nichts zu suchen", betonte Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) am Dienstag vor der Coreper-Sitzung. Den neuen Vorschlag der ungarischen Ratspräsidentschaft lehne er ab: "Massenhaftes und anlassloses Scannen privater Kommunikation ist ein massiver und ungerechtfertigter Eingriff in die Privatsphäre."

Der EU-Abgeordnete Moritz Körner (FDP) riet am Mittwoch der Kommission und den Mitgliedsstaaten, sie müssten "endlich erkennen: wenn man ein totes Pferd reitet, sollte man absteigen". Die Ratsspitze will zwar weiter versuchen, eine Einigung zu erzielen, und dafür weiterhin aktiv Gespräche mit den EU-Ländern führen. Doch auch der liberale Bundestagsabgeordnete Maximilian Funke-Kaiser versicherte: Der Kampf dagegen werde weitergehen.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier ein externer Inhalt geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Aus Zivilgesellschaft, Wissenschaft und von Verbänden hagelt es parallel weiter prinzipielle Kritik an der geplanten Überwachung auch verschlüsselter Messenger-Dienste wie WhatsApp, Signal oder Threema. So warnen etwa der Arbeitskreis Datenschutz und IT-Sicherheit der Gesellschaft für Informatik (GI) und ihre Dachorganisation Council of European Informatics Societies eindringlich vor einer Aushöhlung grundlegender Freiheitsrechte.

Ferner führe "die vorgesehene Korrumpierung vertraulicher digitaler Infrastruktur auch zu hohen Risiken für Betriebsgeheimnisse". Statt allgemeiner Überwachungsmaßnahmen seien "gezielte, rechtlich klar definierte Lösungen" gefragt, "die auf bestehenden Gesetzen basieren". Der Nutzen der Chatkontrolle wäre auch zweifelhaft, "denn die zu erwartende Flut fälschlicherweise als illegal eingestufter Inhalte wird Kapazitäten binden, die für die Verfolgung echter Straftaten fehlen".

(nen)