Eine McCarthy-Ära des Urheberrechts?

Wenn 12-Jährige wegen Musik-Downloads verurteilt werden, akzeptierten sie letztlich keine Regel mehr und erlebten den Staat als Unterdrücker, meint Larry Lessig, Stanford-Jurist und Vordenker eines neuen Umgangs mit Urheberrechten.

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Von
  • Monika Ermert

Wenn 12-Jährige wegen der Downloads von Musikstücken im Internet verurteilt werden, führt dies vor allem dazu, dass sie keinerlei Regel mehr akzeptieren und den Staat als Unterdrücker erleben, meinte Larry Lessig, Stanford-Jurist und Vordenker eines neuen Umgangs mit geistigen Eigentum, in einem Gastvortrag anlässlich der Eröffnung des Forschungsschwerpunktes "E-Organisation" an der Universität Karlsruhe. Lessig warnte vor einer Art "IP-McCarthyism" und erntete mit dieser Charakterisierung der Haltung eines Großteils von Industrie und Politik gegenüber Intellectual Property (IP) Standing Ovations von einem Teil der rund 600 Gäste im Karlsruher Audimax.

Der "Free Culture"-Vordenker nimmt in dieser Woche auch an der offiziellen Einführung der Creative- Commons-Lizenzen für Deutschland teil. Die Initiative Creative Commons möchte Kreative ermutigen, der Allgemeinheit so viele Nutzungsrechte wie möglich zur Verfügung zu stellen. Dafür bieten die Creative-Commons-Lizenzen Musikern, Autoren, Fotografen und Filmemachern die Möglichkeit, sich für ihre Werke eigene Nutzungslizenzen zusammenzustellen. Lessig warnte nun davor, dass die "Obsession mit der Piraterie" der nachwachsenden Generation jede Möglichkeit verwehrt, kreativ die Möglichkeiten der neuen Technologie zu nutzen. Dabei können, demonstrierte Lessig an einem den Kriegspartnern Bush und Blair in den Mund gelegten Duett, wesentlich politischere Botschaften entstehen als durch einfache Texte.

"Wir befinden uns mitten in einem Krieg", sagte Lessig mit Blick auf die Verschärfung der Urheberrechtsgesetzgebung in den USA und die Kampagnen der Unterhaltungsindustrie. Noch nie hätten weniger Leute mehr Macht über die Produktion von Kultur ausgeübt. Eine kleine, starke Lobby drohe auf diese Weise genau die positiven Effekte zu pervertieren, die das Internet geschaffen habe, nämlich die Beseitigung der technologischen Barrieren für Fortschritt und Verbreitung von Wissen und Kultur. Freie Kultur -- Titel des neuen Lessig-Buches -- bedeute dabei nicht eine Abschaffung eines ausbalancierten Urheberrechtes, ebenso wenig wie freie Märkte bedeuten, dass es dort keine Regeln gebe und kein Geld verdient werde.

Dass der US-Gesetzgeber den Argumenten der Lobbyisten schon so weit gefolgt ist und das Patentamt auf Druck Microsofts kürzlich sogar ein Veto gegen eine Veranstaltung der World Intellectual Property Organisation (WIPO) zum Thema Open Source eingelegt hat, macht Lessig pessimistisch für die Zukunft. Im nächsten Schritt würden das rigide Rechtemanagement nun in der Technologie eingebaut, dann könne noch nicht einmal mehr ein Richter Auswüchse des Rechtemonopolismus stoppen.

Ganz so düster sieht Lessigs Kollege Hal Varian, Wirtschaftswissenschaftler an der Universität von San Francisco in Berkeley und New-York-Times-Kolumnist, die Situation nicht. Doch auch das von Varian vorgestellte Innovationsmodell stößt mit zunehmend rigidem Rechte- und mehr noch Patentmanagement an Grenzen. Innovationen vom Fließband Henry Fords bis zum Internet entstehen, beschrieb Varian, aus Clustern von Einzelkomponenten, bevor sie wieder in ihre Bestandteile zerlegt ihrerseits als Komponenten der nächsten Innovationswelle dienen können. Wenn Komponenten über Patente proprietär gemacht werden, stehen sie den Entwicklern nicht mehr zur Verfügung. "In manchen Fällen ist der Punkt bereits erreicht," sagte Varian, "zum Beispiel bei kopiergeschützten CDs, die nicht mehr von Nutzern nach eigenen Vorstellungen zusammengefügt werden können."

Wer am Ende darüber entscheidet, wie die Zukunft des Internet aussieht? MIT-Informatikprofessor David Clark war sich da noch nicht sicher. "Haben wir Techniker spezielle Rechte? Nein. Wir haben eine besondere Macht, einfach dadurch, dass wir den Code schreiben."

Neben all der Diskussion um die Zukunft des geistigen Eigentums und des Urheberrechts kündigten die E-Organisation-Initiatoren aus Informatik, Wirtschafts- und Rechtswissenschaft zwei Projekte an, die sich mit der Erforschung des Einsatzes virtueller, selbst organisierender Agenten zur Unterstützung komplexer Entscheidungen etwa im Verkehr widmen wollen. Der mit den drei US-Gurus gestartete Forschungsschwerpunkt ist nach Vorstellung von Christof Weinhardt, Leiter des Lehrstuhls für Informationsbetriebswirtschaftslehre an der Universtität Karlsruhe und Sprecher des Graduiertenkollegs "Informationswirtschaft und Market Engineering", ein erster Schritt zu einem möglichen Exzellenzzentrum. Wie andere Universitäten rüstet man sich offensichtlich auch hier mit Blick auf "Elite"-Mittel des Bundes. Heribert Knorr vom Ministerium für Wissenschaft und Kunst in Baden-Württemberg sicherte der Universität Karlsruhe volle Unterstützung bei der Bewerbung um die Ansiedlung eines Max-Planck-Instituts für Softwareentwicklung zu. (Monika Ermert) / (jk)