Digitalgipfel: "Gigabit am Gleis" ist Zukunftsmusik

5G soll Bahn-Fahrgäste zwischen Berlin und Hamburg glücklich machen – aber ob und wann das kommt, ist offen. Doch auch an anderen Stellschrauben wird gedreht.​

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Mobilfunkmast des Pilotprojekts "Gigabit Innovation Track" der Bahn

Mobilfunkmast des Pilotprojekts "Gigabit Innovation Track" der Bahn.

(Bild: Deutsche Bahn AG / Oliver Lang)

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Die Bahn und die deutschen Netzbetreiber wollen die Mobilfunkversorgung entlang der Schienenwege deutlich verbessern. Zum Auftakt des Digitalgipfels der Bundesregierung in Frankfurt unterzeichneten sie am Montag eine Absichtserklärung für "Gigabit am Gleis". Die geplante Generalsanierung der Strecke Berlin-Wittenberge-Hamburg wollen Bahn, Telekom, O2/Telefonica, Vodafone und 1&1 nutzen, um dort eine bessere Mobilfunknetzabdeckung mit 5G auszubauen.

Von August 2025 bis voraussichtlich April 2026 saniert die Bahn die Strecke zwischen Berlin und Hamburg. Während dieser Zeit fahren keine Züge auf dieser 278 Kilometer langen Strecke. Im Zuge der Sanierung erneuert die Bahn ihr eigenes Kommunikationssystem und baut die Infrastruktur für das 5G-basierte Future Rail Mobile Communication System (FRMCS) auf, das bis 2035 europaweit den heutigen Bahnfunk GSM-R ersetzen soll.

Auf der Strecke will die Bahn etwa alle zwei Kilometer einen kleinen Mast aufstellen, den die Netzbetreiber mitnutzen können. "Durch den gemeinsamen Bahn- und Mobilfunkausbau realisieren wir Hand in Hand erhebliche Synergien und Kostenersparnisse", sagte Bundesdigitalminister Volker Wissing (FDP). Doch noch ist das nur eine Absichtserklärung – ob und wann sie Realität wird, ist offen.

Die Bahn will den Netzbetreibern die passive Infrastruktur zur Verfügung stellen – Mast, Stromversorgung und Anbindung. Antennen und Mobilfunktechnik müssen die Unternehmen selbst installieren. Allerdings ist der Platz auf den Masten eng begrenzt, sodass nicht, wie sonst bei größeren Antennenmasten üblich, jeder Anbieter eigene Antennen installieren kann. Also müssen sie sich absehbar auch die aktiven Komponenten teilen. In welchem Modus das geschehen soll, ist offen, doch haben die Netzbetreiber ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit signalisiert.

Das 5G-Projekt an der Strecke Hamburg-Berlin ist eine Investition in die Zukunft. Mit FRMCS soll auch die Bahn digital ertüchtigt werden – doch die bislang vorhandene Mobilfunk-Infrastruktur entlang der Bahnstrecken würde für deren Betrieb kaum ausreichen.

Daher geht es bei dem Vorhaben zwischen Berlin und Hamburg auch um die Frage, wie das 5G-basierte FRMCS in Deutschland ganz praktisch aufgebaut werden soll. Erfahrungen haben Bahn und Netzbetreiber bereits mit dem Pilotprojekt "Gigabit Innovation Track" gesammelt. Heute müsse bereits die Infrastruktur geplant werden, die in zehn Jahren zur Verfügung stehe, berichtet Karsten Kemeter, CTO Nachrichtentechnik der Deutschen Bahn.

Das 5G-Netz ermöglicht der Bahn den Einsatz neuer Technologien. Ein Ziel sei der Automatisierungsgrad 2, erklärt Kemeter – ein halbautomatischer Zugbetrieb mit Fahrer. Langfristig sind auch voll automatisierte Züge denkbar. Allerdings dürfte auch das wieder Jahrzehnte dauern: Die durchschnittliche Betriebsdauer von rollendem Material bei der Bahn beträgt 30 Jahre.

Zugleich versuchen die Netzbetreiber, die Erwartungen zu dämpfen. Sie wollen mit der Bahn "ein technisch und wirtschaftlich tragfähiges Mobilfunknetz- und Vertragskonzept für die Ausrüstung der Strecke mit aktiver Mobilfunktechnik" entwickeln, heißt es in der Mitteilung vom Montag. "Wir stehen bereit, unser Know-how in den Aufbau eines Testbetriebs einzubringen", betont Klaus Werner, Geschäftskundenchef der Telekom, den experimentellen Charakter des Vorhabens.

Die Netzbetreiber wollen zunächst testen, wie die bahneigene Infrastruktur zur besseren Mobilfunkversorgung im Zug genutzt werden kann. Grundsätzlich kommen dafür Technologien wie Multi Operator Core Network (MOCN) und das Multi-Operator Radio Access Network (MORAN) infrage. Zugleich soll erprobt werden, wie Mobilfunkversorgung und FRMCS störungsfrei parallel laufen können.

Die mögliche Störung des aktuellen Bahnfunks GSM-R durch den Mobilfunk ist einer der Gründe, warum der Handyempfang in der Bahn bisher eher mau ist. Weil die GSM-R-Frequenzen direkt neben den LTE-Frequenzen im 900-MHz-Band liegen, dürfen die Netzbetreiber in einem acht Kilometer breiten Korridor um die Bahnstrecke kein LTE auf dieser Frequenz ausbauen. Deshalb kommen in diesem Korridor höhere Frequenzen zum Einsatz, die aber eine schlechtere Reichweite und Durchdringung bieten.

Eine zusätzliche Hürde für den Mobilfunk ist auch die Metallbeschichtung der Fenster, die Passagiere vor der Sonne und den Zug vor Überhitzung schützen soll: Sie reflektiert auch Funkwellen. Derzeit bearbeitet die Bahn die Metallbeschichtung der Fenster ihrer ICE-Züge mit einem Laser, sodass sie durchlässiger für Mobilfunkfrequenzen werden.

Um den Effekt der Fenster abzumildern, hat die Bahn in den Zügen Repeater installiert, die das Mobilfunksignal von einer Außenantenne im Abteil verteilen. Allerdings sind nicht alle Waggons mit Repeatern ausgestattet. Auch kann der Empfang nur so gut sein wie die Netzabdeckung an der Strecke. Die Repeater können zudem kein 5G, eine Aufrüstung plant die Bahn nicht.

Nun soll im Dezember 2024 endlich die Schonfrist für die störungsanfälligen GSM-R-Geräte der Bahn enden. Dann dürfen die Netzbetreiber an den Strecken auch LTE auf der Flächenfrequenz 900 MHz einsetzen und damit die Repeater der Bahn füttern. Für die Bahnkunden dürfte das ein spürbarer Fortschritt sein – zumindest bis sich das 5G-Experiment an der Strecke Berlin-Hamburg auch für den Einsatz an anderen Strecken empfiehlt.

Eigentlich sollte die Bahn ihre Flotte bis zum Fahrplanwechsel 2022 mit sogenannten gehärteten GSM-Funkgeräten ausgestattet haben, die für Störungen durch das benachbarte LTE nicht anfällig sind. Weil Ende 2022 aber noch zu viele Züge mit alter Hardware unterwegs waren, gab es von der Bundesnetzagentur einen Aufschub bis zum Fahrplanwechsel 2024, der am 14. Dezember vollzogen werden soll.

Damit sind allerdings noch nicht alle Hürden für den Ausbau an den Gleisen abgeräumt. Viele Bahnstrecken führen durch Naturschutzgebiete. Abgesehen von den logistischen Herausforderungen, die sich beim Aufbau einer Mobilfunkanlage in Naturschutzgebieten stellen – Strom- und Netzzuführung müssen oft über lange Strecken realisiert werden – zeigt sich der deutsche Amtsschimmel hier besonders stur – sodass Netzbetreiber schon aufgegeben haben, überhaupt zu fragen.

(vbr)