next10: Web-Wirtschaft auf der Suche nach "Game Changers"

Nach dem Abklingen der Web-2.0-Euphorie suchen Unternehmer auf der Berliner Konferenz "next 10" nach neuen Wegen, die tradierte Geschäftsmodelle ablösen. Kritiker Andrew Keen stellte die Ideologie des Social Web in Frage.

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Von
  • Herbert Braun

Auf der zweitägigen Konferenz next10, die am Mittwochabend in Berlin zu Ende ging, hat die zahlreich erschienene Online-Prominenz neben den für solche Treffen typischen Reden über das revolutionäre Netz auch einige grundlegenden Fragen angesprochen – zum Beispiel die nach Gatekeepern wie der Musikindustrie, den traditionellen Medien oder den Buchverlagen, die durch das Web in eine Existenzkrise geraten sind. Bei einem Panel über Mobile Publishing zeigte sich, dass Dienstleister wie Neofonie oder textunes durchaus ähnliche Funktionen wie Buchverlage wahrnehmen.

Die 2006 von der Multimedia-Agentur SinnerSchrader erstmals veranstaltete Konferenz, die in ihrer fünften Auflage unter dem Motto "Game Changers" stand, ist in diesem Jahr von Hamburg nach Berlin umgezogen. Zahlreiche Prominente fanden den Weg in die Hauptstadt: Zu den Sprechern zählen unter anderem LinkedIn-Mitgründer Konstantin Guericke, Peter Sunde, der seinerzeit die Pirate Bay und jüngst den Online-Spendendienst flattr aus der Taufe gehoben hat, Microsofts Suchmaschinen-Chef Stefan Weitz, der Wired-Gründer Louis Rossetto sowie der Typo3-Erfinder Kasper Skårhøj. Etwa 1500 Besucher kamen zu der Veranstaltung, die das Web überwiegend aus unternehmerischer Perspektive thematisiert.

Provokant stellte Web-2.0-Kritiker Andrew Keen die Ideologie der Offenheit in Frage. Seiner Auffassung nach sind die Grundregeln gesellschaftlicher Macht immer gleich, nur die Protagonisten ändern sich. Während wir uns einerseits ins Private zurückziehen und nur noch zu wenigen Personen intensive Kontakte unterhalten (wie die Anthropologin Stefana Broadbent mit statistischen Analysen herausfand), sei auf den Marktplätzen wie Facebook und Twitter ein harter Wettkampf um Aufmerksamkeit im Gange, dem die Menschen sich immer weniger entziehen könnten – wobei Keen nicht zu erwähnen vergaß, dass er selbst 13.000 Follower auf Twitter [http://twitter.com/ajkeen] hat. Es gehe nicht um Social Media, sondern um einen gesamtgesellschaftlichen Umbruch, um eine neue Phase des Kapitalismus, die in der Technologie nur ihren Ausdruck fände – und um diesem Umbruch Sinn zu geben, brauche es einen neuen Marx oder Hegel.

Natürlich gab es auch auf der next10 die klassischen Bestandteile von Web-Konferenzen. Zwar vermisste man Probleme mit WLAN, Strom oder Registrierung, aber dafür hatten die Konferenzsäle die Akustik einer Echokammer. Es fehlten ebenso wenig die Vorträge, die mal wieder erklärten, was durch das Social Web alles umgekrempelt werde und was für eine Revolution gerade stattfinde, wie die dazu eifrig mit ihren Laptops und Smartphones herumsurfenden Teilnehmer. Punkte für die soziale Hierarchie ließen sich mit den erstmals in größerer Zahl zu sichtenden iPads sammeln. (vbr)