Sternabwehr

9. Dezember 1959: BMWs zweite Stunde Null

Die Aktionärsversammlung am 9. Dezember 1959 hätte fast das Ende von BMW bedeutet. Doch es kam anders, wenngleich sich den Weg dorthin am Morgen dieses trüben Tages noch keiner vorstellen konnte. Chronik einer spannenden Firmenrettung

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 8 Kommentare lesen
BMW 700 16 Bilder

(Bild: BMW)

Lesezeit: 21 Min.
Von
  • Christian Lorenz
Inhaltsverzeichnis

Die BMW Group ist heute ein Weltunternehmen mit drei Marken und einer der wichtigsten Konkurrenten des Daimler-Konzerns. Unglaublich erscheint es da, dass vor 60 Jahren das Ende von BMW bereits besiegelt erschien. Die Übernahme des Münchner Automobilherstellers durch Daimler-Benz war nur noch eine Formsache. Die Mehrheitsverhältnisse auf der Aktienhauptversammlung am 9. Dezember 1959 waren eindeutig. BMW würde untergehen und Milbertshofen ein reiner Mercedes-Zulieferbetrieb werden.

Als die BMW-Aktionäre am Morgen des 9. Dezember auf dem Weg zur Messehalle auf der Münchner Theresienhöhe waren, lag das Übernahmeangebot von Daimler-Benz bereits knapp eine Woche vor. Es war auf den heutigen Tag um 24 Uhr befristet. Vorstand und insbesondere Aufsichtsrat hatten es bereits als einzige Möglichkeit erklärt, den Konkurs der BMW AG abzuwenden. Doch es sollte alles anders kommen, und keiner ahnte an diesem Morgen, dass der Tag zur zweiten Stunde Null von BMW werden würde.

Fehlentscheidung Barockengel

Tatsächlich hatte sich dieses stolze, bayerische Vorzeigeunternehmen nach dem Krieg immer mehr in Richtung Abgrund manövriert. Begonnen hatte das mit der grandiosen Fehlentscheidung, 1951 den „Barockengel“ 501 auf den Markt zu bringen. Der Konstrukteur Alfred Böning und die Vorstände Kurt Donath und Fritz Fiedler hatten sich in eine teure, mit einem anfälligen, schwachen Vorkriegssechszylinder aus dem BMW 326 und der altbackenen Rahmenbauweise gehandicapten Limousine verrannt. Die Vorstellung mit ihr und der Motorradproduktion das Geld für die Massenfertigung eines „Mittelwagens“ zu verdienen, verschloss die Augen vor der Marktsituation.

Die Leute wollten finanziell erreichbare Autos, keine Motorräder mehr. Für Luxus gab es in den frühen 50ern kaum einen Markt. Die Herren von BMW waren aber nicht gewohnt, den Markt zu befragen. Vor dem Krieg fand alles reißenden Absatz, wo BMW draufstand. Beim ersten Motorrad R32 war es so gewesen. Obwohl teurer als andere, war es 1923 vom Stand weg ein Riesenerfolg geworden. Beim ersten Auto 3/15 hatte es sich wiederholt. Erst nach der Überarbeitung unter BMW wurde der Dixi-Nachbau des Austin Seven 1929 zum Riesenerfolg. BMW legte ein Debüt als Autohersteller hin, das es so bisher nicht gegeben hatte. Das führte zu einer Arroganz, die sich in den 50er-Jahren als beinahe tödlich erwies.

Verlustgeschäft

Zwar hatte man dem „Barockengel“ seine Kinderkrankheiten schnell ausgetrieben und mit dem 502 den ersten deutschen V8 der Nachkriegszeit vorgestellt. Seine Fahreigenschaften waren zudem sehr überzeugend. Aber die V8-Modelle waren zeitlebens ein riesiges Verlustgeschäft für BMW. Je nach Modell machte das Werk pro Fahrzeug bis zu 5000 Mark Minus. Zur groben Orientierung: Damals verdiente ein mittlerer Angestellter 350 DM im Monat. Die Sturheit, am V8 festzuhalten, grenzte an Wahnsinn.

Iso-Lizenz

Die Isetta konnte die Verluste kurzzeitig mindern. Das Kleinstgefährt war für Iso in Italien zum Flop geworden. Die Italiener sahen darin eine Missgeburt. In Deutschland, mit dem BMW-Faktor und entscheidenden Verbesserungen der Milbertshofener Ingenieure, wurde das „Motocoupé“ für ein paar Jahre zum Erfolg. Bis die Leute im Wirtschaftswunder mehr verdienten. Sie wollten nun auch „richtige“ Autos haben. BMW hatte da nichts anzubieten. Der skurrile 600 war eine Totgeburt. Einen Mikrobus auf Isetta-Basis wollte trotz technischer Avantgarde wie der ersten Längslenker-Hinterachse niemand haben.

Millionenverluste

So wies die Bilanz von 1956 einen Verlust 6,5 Millionen DM aus. Obwohl BMW von den amerikanischen Streitkräften Mieteinnahmen für den Standort Allach erhielt, wo sie Garagen und Werkstätten für ihre Lastwagenflotte unterhielten. Hinzu kamen Teilverkäufe aus dem Vermögen des Allacher Werkes. Insgesamt waren der BMW AG damit Einnahmen von 4,8 Millionen DM zugeflossen. Damit summierte sich der reale Verlust im Jahre 1956 auf 11,3 Millionen DM. Bei 30 Millionen DM Gesamtaktienkapital war das ein mehr als nur alarmierendes Ergebnis.

Doch in Wahrheit war die Lage noch viel schlimmer. Seit dem Ende des Krieges hatte BMW bis 1956 60 Millionen DM Verlust aus dem Automobilbau angesammelt. Das waren 38 Prozent des Automobilgesamtumsatzes. 21,5 Millionen DM Einnahmen aus dem Teilverkauf von Allach an die MAN und 14 Millionen DM Mieteinnahmen durch die US Army hatten sich schon in einem Fass ohne Boden verflüchtigt.

In einer gänzlich anderen Situation war im Jahr 1959 Daimler-Benz. Die modernen Ponton-Modelle 180 und 190 fanden so reißenden Absatz, dass sich Kunden auf bis zu 18 Monate Wartezeit einstellen mussten. Da erschien die BMW-Übernahme dem Daimler-Benz-Vorstandsvorsitzenden Fritz Koenecke und insbesondere Friedrich Flick, dem schillernden Hauptaktionär von Daimler-Benz als geniale Lösung. Über 5500 Facharbeiter von BMW stellten einen Wert dar. Hinzu kam, dass sich die Übernahme günstig einfädeln ließ. Der stellvertretende BMW-Aufsichtsratsvorsitzende Hans Feith war gleichzeitig Vorstandsmitglied der Deutschen Bank, welche wiederum Großaktionär sowohl bei BMW als auch bei Daimler-Benz war. Er leitete den Aufsichtsrat, da die Stelle des Vorsitzenden unbesetzt blieb.

Enteignung der Altaktionäre

Das auf den Tag der Aktionärsversammlung am 9. Dezember 1959 befristete Übernahmeangebot von Daimler-Benz sah einen Aktienschnitt vor. Der Buchwert des bestehenden Aktienkapitals sollte halbiert werden. Nominell wäre also jede 100-DM-Aktie nur noch 50 Mark wert. Dafür sollte zu gleichen Teilen neue Aktien ausgeschüttet werden, von deren Bezugsrecht allerdings die Altaktionäre ausgeschlossen wären. Diese neuen Aktien sollten ausschließlich ein Bankenkonsortium zusammen mit Daimler-Benz übernehmen dürfen. Faktisch kam das einer Enteignung der treuen Altaktionäre gleich.

Die treuen Kleinaktionäre fühlten sich aber nicht nur finanziell betrogen. Ihnen dürfte auch klar gewesen sein, dass sie das Ende der Marke BMW besiegeln sollten. Denn Zuschnitt und Situation von Mercedes ließen es als ziemlich unglaubwürdig erscheinen, dass es nach der Mercedes-Übernahme noch Fahrzeuge mit dem weiß-blauen Emblem geben würde. Schließlich konnte Mercedes gerade seinen eigenen, lukrativen Ponton-Modelle nicht in ausreichender Stückzahl herstellen. Einen erfolgreichen Typ von BMW gab es aber nicht.

Ausweg 700

Dabei wurde vollkommen ignoriert, dass BMW erst im September 1959 mit einem überwältigenden Echo und unterschriebenen Kaufverträgen für die gesamte Jahresproduktion eines neuen Modells von der IAA in Frankfurt zurückgekommen war. Der BMW 700 begeisterte die Fachpresse und das Publikum gleichermaßen. Er war ein formschöner Kleinwagen mit italienischen Michelotti-Formen, der herausragenden Fahrwerkstechnik des 600 und selbsttragender Karosserie. Klar ist, dass die Herren von Daimler und der Deutschen Bank den zu erwartenden Erfolg des 700 ignorierten. Schließlich gefährdete er die Übernahme.