Eine Expertin erklärt die Beliebtheit des Audi Q3

Klartext: Audila Merkel

2012 wurde ausgerechnet der Q3 von Treppenliftfreunden zum "beliebtesten Auto Deutschlands" gewählt. Wer kauft Q3 statt A3 und hat obendrein Zugriff auf die Hintergrunddaten dieser Entscheidung?

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Von
  • Clemens Gleich
Inhaltsverzeichnis

Der Audi Q3 ist "das beliebteste Auto Deutschlands", ergab letztes Jahr die ADAC-Rentnerumfrage. Das hat mich lange beschäftigt. Ausgerechnet der Q3! O Zeiten! O Sitten! O Nichtlatein! Doch Jammern hilft keinem weiter, und Angela Merkel wurde ja auch irgendwie demokratisch gewählt (wahrscheinlich). Der Beliebtheit des Q3 muss also auf den Grund zu gehen sein. Hallo Audi, ja, lasst mich bitte mal mit dem meistverkauften aller Q3 fahren, ich muss das verstehen. Ja. Danke. Eine kurze Fahrt später stellt sich keinerlei Erkenntnis ein. Das Auto fährt genauso bescheuert, wie es aussieht, und alles, was toll daran ist, gibt es für weniger Geld im besseren A3: das exzellente Infotainment-System, die insgesamt gute Bedienung, die ergonomischen Sitze, überhaupt der Innenraum, das DSG. Aber das ist die falsche Herangehensweise. Objektiv betrachtet ist Angela Merkel ja auch ein nagender Schädling an der Eiche Deutschland, aber emotional haben wir Mutti doch kollektiv offenbar lieb genug, ihr das Nagen zu erlauben. Und als Schreiber muss man gar nicht alles selbst verstehen, sondern man muss wissen, wen man am besten fragt. Zufälligerweise kenne ich den perfekten Experten für emotionale Hintergründe der Mainstream-Kultur: meine Schwester.

Vor langer Zeit war sie sehr angetan von der ersten Staffel von "Deutschland sucht den Superstar". Den archaischen Unterhaltungswert dieser Sendung konnte man noch recht einfach herleiten, aber wir hatten zu dieser Zeit ja schon unendlich viel mehr an für mein Dafürhalten besseren Zeitvertreiben. Die Römer mussten am Wochenende noch alle ins Kolosseum gehen. Wir haben Pizzabringdienst, Internet und Motorräder mit besserem Leistungsgewicht als eine F16. Anders als die meisten Zuschauer hatte sie jedoch Zugriff auf die Daten der Nuancen, die so eine Show für Massen an Menschen erfolgreich machen, und genau das soll sie jetzt auch beim Audila MerQ3l tun. Zu dieser informationstechnischen Eignung kommt, dass ich mein Schwesterherz als Audi-Kundin sehe. Premium FTW! Wenn man ihr morgen das Bruttoinlandsprodukt der BRD überwiese, wäre es übermorgen für Neoselbstverständlichkeiten ausgegeben, zum Beispiel für die ergiebige Audi-Aufpreisliste, denn der Q3 findet bei ihr augenblicklich Gefallen.

Fahrverhalten: bedenklich. Wiederverkaufswert: gut.

Das Fahrwerk auf Stöckelschuhen zum Beispiel hat bei mir für tiefsten Verdruss gesorgt. Zwei von zwei Beifahrern wurde schlecht beim Geschaukel, das einsetzt, sobald man Schnarchgeschwindigkeit überschreitet. Ich finde das Fahrverhalten ohne Übertreibung bedenklich. Wieso das jemand einem A3 vorzieht, ist die wichtigste Frage. Antworten: "Hohe Autos sind super. Höher ist besser, weil man mehr Übersicht hat und damit mehr gefühlte Kontrolle über die Straße. Man fühlt sich sicherer." Interessant. Ich fühle mich wesentlich unsicherer jedes Mal, wenn ich auf dem Schaukelpferd das Lenkrad benutzen muss. "Ja, aber stell dir vor, du hast einen Unfall!" Das fällt mir im Q3 nicht schwer, das scheint lediglich eine Frage der Zeit. "Dann sitzt man doch lieber in sowas, was solide wirkt." Hm. Ich bevorzuge ja geringere Unfallwahrscheinlichkeit durch bessere Geometrie statt mehr Unfälle mit besserem Gefühl dabei, aber: gegeben. Es geht ja um die Wunderwelt des Gefühlten. Apropos: "Man fühlt sich machtvoller hier oben, wie der Chef auf der Straße. Man kann gut auf Andere hinuntergucken." Ich sage ja: Sie ist eine geradezu archetypische Audi-Kundin. "Am liebsten würde ich noch höher sitzen. Dieser Laster da versperrt mir die Sicht. Man bräuchte eine aufsteigende Kamera, die einem die Straße vor dem Laster zeigt." Hört ihr das bei Audi? Kameradrohnenschächte in die Aufpreisliste, bitte. Und noch was: "Der Wiederverkaufswert wird gut sein." Ich schlage nach: Ja, der ADAC ist derselben Meinung.

In der Mitte des Gesprächs finden sich doch einige Übereinstimmungen: Die Sitze sind sehr gut, Alcantara als Bezug ist im Winter oder in Kurven angenehmer als Leder. Die aufgeschwemmte Karosserie ist scheußlich unübersichtlich in allen Geschwindigkeitsbereichen. Das Fahrgeräusch ist leise, die Dämmung sehr gut. Die Außenspiegel sind gut. Der Innenspiegel ist schlecht. Die Heckscheibe ist zu klein, die Sicht nach hinten so schlimm wie in einem Astra. Die Freisprechanlage ist sehr gut. Die typisch gelungene Audi-Gestaltung altert mit Würde. Das DSG möchte man haben. Der Klang der Bose-Anlage ist großartig, wobei man in Kauf nehmen muss, dass der Subwoofer den Raum des Reserverads einnimmt. Was ist der Kundschaft wichtiger? Wahrscheinlich der Subwoofer. Es gibt auch die Variante, den Wagen nur mit Notflickset zu bestellen, dann hat man mehr Platz für Gepäck. Mit Reserverad oder Subwoofer plus Abdeckung: Der Kofferraum ist zu klein für eine Familie, aber die erhöhte Ladefläche hinten ist angenehm beim Beladen. Ohne muss alles aus diesem Brunnenschacht gehoben werden. Das Bedienkonzept ist das wohl beste in seiner Klasse. Selbst komplizierte Assistentenabschaltungen oder Internetfunktionen finden mehrere Testpersonen auf Anhieb ohne Handbuch. Und schließlich stehen beim Q3 200 kg mehr Anhängelast im Datenblatt als beim A3 (2000 kg statt 1800 bei 8 % Steigung). Das kann für Wohnwagenzieher den Unterschied ausmachen, und Wohnwagenziehern ist ein bedenkliches Fahrverhalten ohnehin egal, sonst würden sie eine Ferienwohnung mieten.

Mutti ist alternativlos.

Eben dieses Fahrverhalten lässt mich nicht los. Wiegt das normalere Fahrverhalten eines A3 zusammen mit seiner besseren Wirtschaftlichkeit nicht die ganzen gefühlten Modegründe auf? Was sagt denn die Schwester dazu, wie ihr Ingolstädter Freund durch die Kurven eiert? "Naja, es schaukelt schon ein bisschen", muss sie zugeben, "aber es ist doch gar nicht soo schlecht." Oh-oh. Das Merkel-Totschlagargument: "Sie/er macht das doch gar nicht so schlecht / besser als erwartet." Wenn man nichts erwartet, ist fast nichts halt schon ein Übertreffen der Erwartungen. Weil Wahl ist, möchte ich dazu aufrufen, in jeder Hinsicht ein bisschen mehr zu erwarten als nichts. Man muss nicht eine bedenklich eiernde Q3-Mutti wählen, nur weil es sie gibt. Sie ist nicht alternativlos. Selbst die konservative Kundschaft wird ihren A3 finden, ein Auto, das alles besser kann außer die Versorgung mit einem vage-warmen Muttipanzergefühl. Der Muttipanzer bringt allen für viel rausgeschmissenes Geld praktisch nur Nachteile. Die Zeit seiner modischen Erwünschtheit sollte am besten bald vorbei sein. Es gibt ja Hoffnung: Dieses Jahr ist die A-Klasse das "beliebteste Auto" geworden. Soweit zum Wünschen. In der Realität rechne ich fest damit, dass meine Schwester als nächsten Wagen einen Audi Q1 einplant, der zeitgeistdiktiert kommen wird.