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Sollte ich als Laternenparker ein E-Auto kaufen?

Klartext: Positiv umgepolt

Klartext Clemens Gleich
Klartext

(Bild: Gleich)

Der Stadtbewohner kann Elektroautos am besten gebrauchen, ist aber auf externe Ladung angewiesen. Daheim laden geht meistens erst im Speckgürtel. Doch große Batterien ändern das langsam. Nur billigen Strom darf man dann nicht einkalkulieren

Um meine typischen Tipps zum Betrieb batterieelektrischer Fahrzeuge richtig einzuordnen, muss man die Situation in Stuttgart verstehen. Deshalb steht sie immer dabei, mindestens am Rande. Topographie. Verkehrsaufkommen. Stuttgart ist überdies eine „Schaufenster“-Region für Elektromobilität, seit langen Jahren. In diesem Schaufenster sieht der Interessierte, wie man es kompliziert und ärgerlich macht. Der bei weitem größte Anbieter für Lade-Infrastruktur ist der Energiekonzern EnBW. Zusammen mit dem Land Baden-Württemberg baut er ein dichtes Netz an Ladestationen auf. Dicht, aber problembehaftet: Zumindest bei mir gibt es in der Mehrzahl der Benutzungen Probleme, häufig gravierende.

Gerade fuhr ich einen Mercedes E 300 de [1]: Dieselmotor mit dickem Elektromotor und 13,6 kWh. Damit kann man in der Stadt ständig rein elektrisch fahren – wenn man zuhause lädt. Wer sich auf die EnBW verlässt, verlässt sich auf „ach, gut, ich hab ja noch für 1000 km Diesel im Tank“. Mein erster Ladeversuch an der mir nächsten Ladesäule: Ladung fängt an. Ich gehe einkaufen. Ich kehre zurück. Die Ladung hat fünf Minuten nach meinem Check abgebrochen. Typisch EnBW. Die betreffende Ladesäule war im Folgenden nicht zur Kooperation zu überreden, sie zeigte ständig eine Art Boot-Bildschirm. Ich las einen Artikel auf Firmenauto.de von 2014 [2], den der Autor auch gestern hätte geschrieben haben können. Ditto mein Rant [3] von einem Jahr später. Es hat sich außer der Preisstruktur nicht viel geändert.

Zehntausend gleiche Einzelfälle

Das wäre als Einzelfall nicht tragisch. Dieselbe Ladestation funktioniert aber seit mindestens 2015 bestenfalls sporadisch. Wer anruft, wird immer behandelt, als melde er den ersten jemals bei der EnBW gemeldeten Defekt – selbst, wenn er zwei Mal desselben Problems wegen anruft, das seit zwei Wochen nicht behoben wird. Es gibt auch Ladestationen, die zuverlässiger funktionieren, aber nur, weil es unzuverlässiger kaum geht. Auch dort immer möglich: Ladeabbrüche. Lädt gar nicht. Muss repariert werden. Karte nicht erkannt. Kabelschloss defekt. Schottschloss defekt. App geht nicht.

Die EnBW-eigene App zeigt an, ob eine Ladestation belegt ist, aber nicht, ob sie überhaupt funktioniert. Das merkt der Kunde dann schon, wenn er doof dasteht. Die EnBW ist mir ein stetes Ärgernis. Vor allem geht es nicht um riesige, kaum überwindbare Schwierigkeiten, sondern um prinzipiell gut behebbare Probleme. Man müsste halt wollen. Eine seit Jahren kaum je funktionierende Ladestation reparieren oder tauschen geht offenbar nicht. Neue aufstellen geht. Das hängt sicher mit den Bedingungen des Landes für die Fördermittel zusammen, aber dann stimmen eben diese Bedingungen nicht. Das Land wollte ja keine Ladestations-Attrappen, sondern Strom-Infrastruktur für Autos.

„Damit verdienen wir kein Geld.“

Als ich vor bald zehn Jahren das erste Mal mit der EnBW über die Ladesäulen sprach, hieß es schon: „Naja, damit verdienen wir kein Geld.“ Jetzt höre ich in im Podcast „Electrify BW“, dass sie das immer noch sagen. Immerhin bepreisen sie den Strom mit einer saftigen Marge. Andere subventionieren den Ladesäulenstrom, um etwa Hausanschluss-Kunden zu gewinnen. Die EnBW plant zumindest, mittelfristig direkt mit dem Stromverkauf Geld zu verdienen. Das finde ich richtig. Der aktuelle Preis (seit 1. März 2019): 39 Cent pro kWh, der Minutenpreis fällt testweise weg.

Damit ist der Strom beim langsam laden pro Kilometer nur minimal günstiger als Diesel [4] und teurer am DC-Schnelllader (49 Cent), stammt aber aus regenerativen Quellen. Laternenparker können daher „geringere Energiekosten“ nicht in ihre TCO [5] einkalkulieren. Ich habe dennoch keine Schmerzen mit dem Preis. Ich habe Schmerzen damit, dass das Laden bei mir zu bis jetzt 70 bis 80 Prozent nicht richtig funktioniert. So eine Versagensrate können andere Branchen nicht einmal als kostenlose Alpha-Versionen zum Test wagen.

Ich möchte aber das Thema Laternenladen nicht negativ schließen, nur weil die EnBW nervt. Es hat Fortschritte gegeben in den vergangenen Jahren, die für Interessenten von Elektroautos [6] Erleichterungen bringen. Mein Rat für Stuttgart bisher war immer: „Wenn du nicht daheim oder auf Arbeit laden kannst, kauf dir kein Elektroauto.“ Dieser Rat hängt damit zusammen, dass Pendler in frühen Generationen von Leaf, i3, C-Zero und wie sie alle heißen, jeden Tag auf zuverlässige, regelmäßige Stromversorgung angewiesen sind und niemand jeden Tag über die EnBW fluchen will. Jetzt gibt es aber die Modelle mit großen Batterien, auf die wir zwar bis zu zwölf Monate - wie im Fall des Kia e-Niro [7] - warten müssen aufgrund der Produktionsengpässe bei Batterien, mit denen das Thema E-Auto aber endlich auch für uns städtische Laternenparker interessant wird.

Missverständnis Reichweitenangst

Denn wer sich über „Reichweitenangst“ lustig machte mit dem Hinweis, wie wenige Kilometer man doch täglich fahre, der hat sich nie die Situation des Städters verdeutlicht, sondern nur die Statistik betrachtet, in der die Wahrheit verschmiert verschwindet. Mit 60 km Pendelverkehr am Tag will ein früher Leaf mindestens alle zwei Tage voll geladen werden. Mehr, wenn der Fahrer außer zur Arbeit auch noch anderswo hin will – zum Einkaufen etwa oder ins Kino. Wenn es daheim keinen zuverlässigen Strom gab, stand man da bisher zu oft blöd da. Eine größere Batterie [8] lädt nicht nur schneller, sie gibt Autofahrern außerdem Spielraum.

Mit 40 oder gar über 60 kWh in neueren Modellen [9] laden Städter nämlich entspannt etwa einmal die Woche. Sie können ihren Spielraum nutzen, die EnBW-Unzuverlässigkeiten auszugleichen. Ladestation am Restaurant geht nicht? Dann lade ich eben heute Abend beim Sport. Im Speckgürtel hat Aldi Süd Ladestationen aufgestellt, an denen Einkäufer bis zu eine Stunde kostenlos laden können. So bringen sie zwei Dinge unter einen Hut. Deshalb stehen auch bei vielen Ikea-Filialen kostenlose Lader für Kunden, genauso wie bei vielen kleineren Geschäften oder Ketten. Niemand will auf Technik warten. Niemand will sich auf einem Ladeplatz ewig die Beine in den Bauch stehen. Man kann mittlerweile als Laternenparker ein E-Auto betreiben, ohne dass das Ding ein geliebtes Hobby sein muss.

I got Soul

Deshalb werden wir ab Ende April drei Monate lang im Kessel Stuttgart ausprobieren, wie es sich mit einer 64-kWh-Batterie ohne eigene Stromversorgung am Stellplatz lebt. Kia leiht uns für dieses Experiment freundlicherweise einen 2019er-e-Soul. Der Antrieb ist der gleiche wie im e-Niro. Die WLTP-Reichweiten von E-Autos [10] unterscheiden sich minimal, weil der kastenförmige Soul überland oder auf der Autobahn ein Fitzelchen mehr Strom verbraucht. Im Betrieb Stadt-wenig-Land-viel-Fluss werden die Verbräuche fast gleich hoch liegen. Die Batterie speichert also mehr als genug Energie. Ich freue mich auf mein Experiment und ich glaube tatsächlich, dass sich in der aktuellen Generation der Rat „nur für Daheimlader“ ändert.

Mehr noch: Ich glaube, jetzt ist ein idealer Zeitpunkt, ein E-Auto zu kaufen, wenn man eins kriegt und es sich leisten kann. Die Lader werden nicht ewig so leer dastehen. Die Strom-Subventionen werden versiegen. „Ach, ich kann ja kostenlos am Lader parken“ wird Geschichte. Besser als jetzt wird es nimmer. Dennoch bin ich nicht traurig, dass wir nach diesem Test umziehen und ich das deprimierende Schaufenster von EnBW und Landesregierung nur noch von außen sehen muss statt von innen als Teil des Exponats.


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[1] https://www.heise.de/autos/artikel/Test-Mercedes-E-300-de-4339545.html
[2] https://www.firmenauto.de/ladestationen-in-stuttgart-das-leid-beim-laden-eines-elektroautos-6534972.html
[3] https://www.heise.de/autos/artikel/Klartext-Das-Alibi-der-EnBW-2764325.html
[4] https://www.heise.de/autos/artikel/Geladene-vs-getankte-Kilowattstunden-4016584.html
[5] https://www.heise.de/hintergrund/Was-ein-Elektroauto-wirklich-kostet-4303822.html
[6] https://www.heise.de/autos/thema/Elektroautos
[7] https://www.heise.de/autos/artikel/Fahrbericht-Kia-e-Niro-4242632.html
[8] https://www.heise.de/autos/artikel/Neue-Batterien-in-Entwicklung-4316157.html
[9] https://www.heise.de/autos/artikel/Neue-Elektroautos-2019-4252674.html
[10] https://www.heise.de/autos/artikel/BEV-Reichweitenermittlung-nach-WLTP-3891502.html