Mailand will Autos aus der Innenstadt verbannen
Die Einwohner Mailands tauschen ihre Autos gegen öffentliche Verkehrsmittel. Ein Grund dafür dürfte die seit Januar 2012 in der Innenstadt geltende City-Maut sein. Ähnlich wie in London müssen Fahrer jedes Mal, wenn sie in die „Area C“ fahren, fünf Euro zahlen
- Martin Franz
In der zweitgrößten Stadt Italiens zeichnet sich eine Revolution im Stadtverkehr ab: Die Einwohner Mailands tauschen ihre Autos gegen öffentliche Verkehrsmittel. Ein Grund dafür dürfte die seit Januar 2012 in der Innenstadt geltende City-Maut sein. Ähnlich wie in London müssen Fahrer jedes Mal, wenn sie in die „Area C“ fahren, fünf Euro zahlen. „Ein Auto zu haben, ist kein Statussymbol mehr so wie früher“, sagt der Mailänder Bürgermeister Giuliano Pisapia der Nachrichtenagentur dpa. „Die jungen Leute haben das bereitwillig angenommen, auch wenn es für älteren Generationen wie meine oder die meiner Eltern schwieriger ist“, sagt der 65-Jährige.
Seit der Einführung von Area C ist die Zahl der Autos in der Innenstadt von täglich rund 130.000 auf 90.000 gesunken. Gleichzeitig stieg die Zahl der Nutzer von Car-sharing-Diensten auf mehr als 180.000. „Mir erzählen immer mehr Leute, wir brauchen kein Auto“, sagt Damiano Di Simine von der Umweltschutz-Organisation Legambiente. „Mailand de-motorisiert sich selbst.“
Fast 80 Prozent der Mailänder sprachen sich in einem Referendum 2011 für die City-Maut aus. Laut Bürgermeister Pisapia, der erst seit drei Jahren im Amt ist, hätten sich auch anfängliche Skeptiker wie er selbst mit der Maut angefreundet. „Die schrecklichen Staus, die man an den Tagen sieht, an denen Area C nicht gilt, haben überzeugt. Ich bin ziemlich sicher, dass keine Regierung nach mir sie abschaffen würde.“ Laut einer Umfrage vom vergangenen Jahr unterstützen 58,5 Prozent der Einwohner die Area C. Auch landesweite Wirtschaftstrends verändern die Autonutzung. Italien erlebt die tiefste Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg. Die Zahl der Autoverkäufe ging seit 2007 um die Hälfte zurück und wurde sogar vom Absatz bei Fahrrädern überholt.
Die Area C ist aber nicht die Lösung aller Probleme. Kritiker meinen, die Zone müsse deutlich erweitert werden, um die Luftverschmutzung zu beseitigen. So sind gerade die an Area C angrenzende Straßen chronisch verstopft – ausgerechnet dort liegen viele Schulen. Die Autoabgase seien ein Risiko für die Gesundheit der Schüler, sagt Anna Gerometta von der Elterninitiative Genitori Antismog. Die Weigerung der Regierung, den Straßenverkehr weiter einzuschränken, sei „verantwortungslos, bösartig und kriminell“, sagt Gerometta. Mithilfe frei zugänglicher Daten der Behörden rechnete ihre Initiative aus, dass mehr als 50 Prozent der Mailänder Schulen weniger als 100 Meter entfernt von Straßen lägen, deren Verkehrsaufkommen auf „Autobahn-Niveau“ liege.
Mit den knapp 30 Millionen Euro, die sie bis Ende 2013 in die Stadtkassen gespült hat, entpuppt sich die City-Maut zwar als Segen für Mailand, dennoch hält Pisapia einen Ausbau aufgrund logistischer Probleme nur langfristig für möglich. In der Zwischenzeit würden weitere Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung greifen, sagt er – etwa die Einführung weiterer Fußgängerzonen, einer Absenkung des Tempolimits und noch mehr Verkehrsmittel zum Teilen, E-Bikes beispielsweise.
Mailand hat vier Metrolinien, an einer fünften wird gebaut. Das mag im internationalen Vergleich nicht viel erscheinen, in Italien aber hat die Stadt diesbezüglich die Nase vorn. In Rom oder Neapel etwa fehlt den Beförderungsunternehmen das Geld, um die Lohn- und Spritkosten für den öffentlichen Verkehr abzudecken.
Mit seinen Bestrebungen geht Mailand einen ähnlichen Weg wie Helsinki und Madrid. Finnlands Hauptstadt will bis zum Jahr 2025 ihr Netz aus öffentlichen und gemeinschaftlich genutzten Verkehrsmitteln so effizient gestalten, dass es für die Einwohner keinen mehr Grund gibt, eigene Autos zu besitzen. Dies sei die Zukunft, sagt Pisapia. Für Italien wäre dieses Ziel wohl schwierig. „Aber in Mailand ist eine starke Reduzierung des privaten Autoverkehrs nicht nur möglich, sondern auch wahrscheinlich.“
(dpa) (mfz)