New Old School

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Valencia, 10. April 2014 – Vorher, im Burger King: Kollege Maik Schwarz und ich lästern darüber, warum es 2014 noch einmal eine VFR 800 gibt, wo doch Sporttourer in Europa praktisch unverkäuflich geworden sind. Denn auf den Bildern sah das Teil erst einmal enttäuschend aus, als habe man es absichtlich so gestaltet, dass die Maschine wie das Vormodell ein gutes Jahrzehnt ohne nennenswerte Änderungen im Programm bleiben kann. Dazu der alte Antriebsstrang. Haben sie davon damals eine Halde produziert, die jetzt in neuen V4-Verpackungen wie Crossrunner oder jetzt VFR-Update abverkauft werden muss? Läster, läster ... Doch genau diese altmodische Auslegung arbeitet jetzt für Honda. Denn unerwarteterweise ist das mal wieder eine echte Honda, eine fürs deutsche, mechanische Ticktack-Herz, eine Wiederkehr vieler Tugenden der alten VFR 750 F.

Die oft gestellte Frage gleich vorab: Nein, es gibt keine über Zahnradkaskaden angetriebene Nockenwellen, die den alten 750ern zu ihren legendären Laufleistungen verhelfen. Stattdessen gibt es den Steuerketten-VTEC-V4-Motor aus dem Honda Crossrunner mit minimalen Feinschliffarbeiten: Geändert sind nur Ventilsteuerzeiten und Software-Details der Einspritzanlage. Dieser Motor ließ Crossrunner-Testfahrer regelmäßig rufen: „Endlich funktioniert der VTEC-Übergang gescheit! Warum nicht gleich so in der VFR?“ Jetzt kommt er quasi nach Hause in die neue VFR, wo er hingehört. Er ist ein Erlebnis.

VTEC: Unnötig, aber schön zu hören

Am Umschaltpunkt von zwei auf vier Ventile bei 6500 U/min ändert sich der Klangteppich von einem leisen „ganz nett“ auf ein heiseres, lautes Nageln, das Blicke auf den Drehzahlmesser fürderhin überflüssig macht. Und wo hohe Drehzahlen bei vielen Vierzylindern auf Dauer nerven, kann ich persönlich mir diesen Motor im fünfstelligen Bereich bei Drosselklappen auf Durchzug den ganzen Tag lang anhören. Der deutliche Knick im Drehmomentverlauf, der früher von diesem Konzert ablenkte, ist so weit reduziert, dass man sich seine Existenz noch einbilden kann, ohne dass er stört. Die Nennleistung von guten 100 PS auf fünf Zentner Lebendgewicht klingt in der Theorie nach etwas wenig. In der Praxis ist es jedoch irgendwie genug, wahrscheinlich, weil man ständig fast alles davon abruft. Genau das macht am Ende des Tages doch ein bisschen zufriedener als ein doppelt so starker Motor, den man ständig nur zur Hälfte nutzt.

Fürs Häkchen setzen: ABS unauffällig, Traktionskontrolle vorhanden. Da es kein E-Gas gibt, regelt die TK über Zündzeitpunkt und Einspritzmenge. Das ist fühlbar weniger elegant als Lösungen für E-Gas, es funktioniert jedoch besser als die meisten solchen Systeme. Es gibt einen sehr hässlichen Abschaltknopf für die TK auf einem eigenen Träger, es gibt nur keine wirklich stichhaltige Erklärung für ihn. Welcher Kunde möchte die Traktionskontrolle abschalten an einem Krad mit nicht abschaltbarem ABS? Vielleicht Regenrennstreckenfahrer mit Drift-Ambitionen? Egal.

Die einzigen Dinge, die nicht direkt aus den Neunzigern kommen, sind die LED-Leuchten sowie ein automatischer Blinkerrücksteller, der einen abgeschlossenen Abbiegevorgang anhand der vom ABS gemessenen Raddrehzahldifferenzen erkennt. Als nützliches Zubehör bietet Honda einen Schaltautomaten (199 Euro) an, eine Lenkererhöhung und ein elegant integriertes Koffersystem (770 Euro plus 302 Euro für die Gepäckbrücke). Wer es nicht lassen kann: Das große Topcase mit 45 Litern Stauraum kostet 289 Euro plus 82 Euro für den Träger.

Aber suhlen wir uns lieber in Hondas Neunziger-Nostalgie: Hauptständer serienmäßig. Einarmschwinge. Heizgriffe. Magnettankrucksacktauglicher Stahltank. Gut erreichbares Hydraulik-Handrad zur Einstellung der Federbasis hinten. Sehr guter Wetterschutz. Sehr gute Ergonomie. Sitzhöhe in zwei Stufen einstellbar. Glatte, schnörkellose Vollverkleidung. Verwirbelungsfreie Verkleidungsscheibe. Sehr stabile Kurvenlage statt heutiger Handlichkeit. Einfarbiges, transflektives LCD-Display mit Tankuhr und Ganganzeige. Und in der Mitte ein großer, analoger Drehzahlmesser. Es war nicht alles schlecht in den Neunzigerjahren des Fahrzeugbaus. Hondas zum Beispiel waren ziemlich gut. Und wer schon lange mal wieder dieses Honda-Gefühl von spürbarer Solidität eines leicht nerdigen Fahrzeugkonzepts spüren wollte, sollte beim Honda-Freundlichen auf der VFR 800 eine Zeitreise zwanzig Jahre zurück buchen. Es gibt ein altmodisches Wort, das wir damals schon zur VFR gesagt hätten: „toll“