Over the top model

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Ducati ist dafür bekannt, bei ihren Superbikes stets auch eine radikale, legale Variante für den Rennstreckeneinsatz zu bauen. Für alle, die weder auf Komfort wert legen noch auf das Geld gucken, sondern einzig und allein ganz schnell unterwegs sein wollen. Hier ist die 1199 Panigale R!

Italias next Top Model

Wie toppt man ein Top-Modell? Ducati greift dafür zu dem bewährten Rezept: Man nehme ein schon sehr gutes Motorrad, in diesem Fall die 1199 Panigale S, bastele einige Carbonteile dran (spart ein paar Gramm Gewicht), verbaue einen Alutank (noch ein paar Gramm), spendiere dem Motor diverse sündhaft teure Teile (und wieder ein paar Gramm), stimme das Motormapping noch radikaler ab, schraube eine offene Racing-Anlage dran (ganz viele Gramm) und pinsele zu guter letzt noch ein „R“ hinter die Modellbezeichnung (spart kein Gramm, sieht aber cooler aus). Jetzt ganz wichtig: Das Bike wird dann für einen Preis angeboten, bei der die allermeisten Motorradler schockiert nach Luft schnappen – so sichert man dem Edelrenner seine Exklusivität. Fertig ist die Ducati 1199 Panigale R, das ultimative Rennstreckengerät aus Bologna.

Noch nicht einmal verrückt

Es soll Käufer geben, die dieses Motorrad keinen Meter fahren, sondern es sich in eine Glasvitrine ins Wohnzimmer stellen. Man könnte sie noch nicht einmal für verrückt erklären, denn die Panigale gehört definitiv zu den schönsten Motorrädern, die je gebaut wurden. Im Lastenheft der Panigale-Designer stand wahrscheinlich: Macht sie so aggressiv und gleichzeitig so leicht wie möglich! Mission accomplished.

Risiko sofortiger Trennung

Sie wirkt wie zum Sprung geduckt, mit gespannten Muskeln und bösem Blick. Dazu ein Hauch von Nichts als Sitzhöcker. Sucht da etwa jemand nach einem Soziussitz? Der Ignorant hat den Sinn der Panigale R nicht begriffen! Die Basis-Panigale – benannt nach dem Stadtteil von Bologna, wo das Werk steht – hat zwar eine Zwei-Personen-Zulassung, aber der Fahrer riskiert die sofortige Trennung, wenn er seine Frau darauf mitnehmen sollte. Die R-Version besitzt zwar Straßenzulassung, aber erst gar keinen Soziusplatz, schließlich ist sie für Rennstrecke konzipiert worden. Die Blinker, Rückspiegel und der Kennzeichenhalter erfüllen da nur Alibi-Funktion – alles übrigens mit wenigen Handgriffen abmontierbar. Fast schon erstaunlich, dass sie überhaupt Scheinwerfer bekommen hat. Eine hübsche Idee ist es auch, den Tank teilweise unlackiert zu lassen, um das schicke Aluminium zu zeigen.

Unfassbares Leistungsgewicht

In die Panigale R ist das Know-how der erfolgreichen Rennsportabteilung Ducati Corse geflossen. 14 Superbike-WM- und einen MotoGP-WM-Titel kann das Team in Bologna vorweisen. Statt des bei Ducati traditionellen Gitterrohrrahmens, verfügt die Panigale getreu dem Vorbild des MotoGP-Werkbikes über ein Monocoque, an das der L2 verschraubt ist. Ducati legt übrigens Wert auf die Bezeichnung „L2“ und nicht „V2“, weil die Zylinder in genau 90 Grad zueinander stehen. V2 klingt ihnen wahrscheinlich zu sehr nach Chopper.

Das Monocoque spart viel Gewicht an der Panigale und die R soll laut Hersteller trocken, also ohne Benzin, Öl und Kühlflüssigkeit, nur 165 Kilo wiegen. Das wären rund zehn Kilo weniger als die Konkurrenz und sogar noch vier Kilo unter dem bisherigen Klassenprimus BMW HP4. Jetzt kommt aber die eigentliche Ansage: 195 PS. Damit hätte sie ein unfassbares Leistungsgewicht von unter einem Kilo pro PS!

Wie eine Cruise-Missile mit Lenker

Wie fährt sich so ein Geschoss? Wie eine Cruise-Missile mit Lenkerstummeln. Mit offener Termignoni-Auspuffanlage stürzt sich die Panigale R brüllend auf den Asphalt der Rennstrecke. Durch das neue Motor-Mapping verfügt sie im Vergleich zur S über mehr Druck besonders in der Drehzahlmitte. Vor überschäumender Kraft hebt sie gerne auch mal im zweiten Gang das Vorderrad. Irgendwie kein gutes Gefühl, wenn sich die Tachonadel dabei schon jenseits der 100-km/h-Linie befindet. Der Motor dreht bis sagenhafte 12.000 U/min – das ist Rekord für Serien-Zweizylinder! Dafür mussten aber teure Titan-Pleuel das Gewicht der oszillierenden Massen um 630 Gramm drücken, am Schwungrad wurden 700 Gramm abgefeilt und die Kipphebel mit DLC (Diamond like carbon) beschichtet. So langsam begreift man, warum die R-Version so teuer ist.

Technisch an der Spitze

Technisch ist sie wirklich state-of-the-art. Wenn man die Ausstattungsliste liest, könnte man den Eindruck gewinnen, sie würde rein elektronisch fahren: achtstufige Traktionskontrolle, dreistufiges ABS, drei Motormappings, einstellbare Motorbremse, Schaltautomat, GPS-unterstütztes Data-Recording und selbst die Öhlins-Federelemente sind per Daumendruck elektronisch einstellbar. Alles, was das Fahren auf der Piste erleichtert, ist an Bord. Zwar nicht elektronisch, aber dennoch einstellbar präsentiert sich auch die massive Einarmschwinge. Sie lässt sich über einen Exzenter in Schritten von zwei Millimetern vertikal verstellen, insgesamt um eine Distanz von sechs Millimeter. Klingt wenig, zeigt aber erstaunliche Wirkung: Bei hohen Geschwindigkeiten verhält sie sich in der Standardeinstellung ein wenig zappelig, mit ganz nach unten verstellter Schwinge hingegen so ruhig wie ein ICE.

Obwohl sie gleich zwei Zähne mehr am Kettenrad besitzt, also kürzer übersetzt ist als die S-Version, erreicht sie den gleichen Topspeed von 300 km/h, weil der Motor auch um 500 Umdrehungen höher drehen kann. Da ist man froh, dass die R über eine höhere Scheibe verfügt, die mehr Schutz vor dem anbrausenden Sturm bietet. Die Beschleunigung erledigt sie ebenfalls entsprechend flotter. Gas wird per ride-by-wire, also auch elektronisch, gegeben und das Ansprechverhalten zeigt noch direkter als bei der S.

Nichts für Untrainierte

Zugegeben: Bis man die optimale Einstellung für sich und die Strecke gefunden hat, kann es etwas dauern, aber dann verwöhnt die Panigale R ihren Piloten mit einem Fahrerlebnis der Extraklasse. Aber sie fordert auch und zwar nicht zu knapp. Trotz aller elektronischen Hilfe wollen 195 PS gebändigt werden. Besonders das sogar in der Kurve manchmal aufstrebende Vorderrad sorgt für Schweißausbrüche. Der Fahrer sollte mit der Panigale auch ein Jahresabo im Fitness-Center kaufen. Allein die brutal zupackenden Brembo-Bremsen erfordern muskulöse Unterarme. Nein, die R ist definitiv nichts für den gemütlichen Sonntagnachmittags-Ausflug.

Es gibt keine Ausflüchte mehr

Normalerweise sind die an einem Motorrad verbauten Auspuffanlagen TÜV-konform. Bei der R ist es genau umgekehrt – sie wird mit einer Termignoni-Racing-Anlage ausgeliefert und der Käufer bekommt eine legale Anlage dazu gepackt. Wie ernst es Ducati mit den Rennstreckenambitionen der R meint, zeigt das Data-Recording: Vollautomatisch zeichnet es über ein GPS die Rundenzeiten auf. Wer das für eine übertriebene Spielerei hält, hat noch nie Renntrainingsteilnehmer an der Strecke erlebt. Da wird über Zehntelsekunden diskutiert und viel Geld in Data-Recording-Systeme aus dem Zubehör investiert. Die Panigale R bietet das Feature serienmäßig.

Der Nachteil: Es gibt keine Ausflüchte mehr, wenn die Zeiten langsamer sind als die der Konkurrenz. Am Motorrad kann es nämlich nicht liegen, denn das ist so ziemlich das Beste, was man zurzeit bekommen kann.

Sehr gut und sehr teuer

Wer also zu der verschwindend kleinen Schnittmenge gehört, die 31690 Euro ausgeben UND 195 PS im Renntrimm beherrschen kann, findet in der 1199 Panigale R das ideale Arbeitsgerät. Alle anderen müssen zur 7000 Euro billigeren Panigale S greifen oder sogar für 19690 Euro die schnöde Basis-Panigale erwerben. Wobei schon Letztere ein unglaublich gutes Motorrad ist.