Smartphone-Diskriminierung

Die große Zahl von Anwendungen ist ein Grund, sich ein modernes Smartphone zu kaufen. Doch die Besitzer vieler Android-Geräte bekommen im Online-Markt von Google nur eine eingeschränkte Programmauswahl angeboten – oder können gar nicht auf ihn zugreifen. Eine Lösung stellt Google nicht in Aussicht; die Netzgemeinde hilft sich notdürftig selbst.

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Gleich drei Bedingungen müssen erfüllt sein, damit der Android-Nutzer in Googles Download-Shop Market alle Anwendungen sieht: Das Gerät muss gewisse Voraussetzungen erfüllen, damit Google dem Hersteller überhaupt die Installation der Market-App erlaubt; die Geräte-ID muss Google bekannt sein, damit der Market kopiergeschützte Anwendungen herausrückt und schließlich müssen die Hardwareanforderungen der Anwendung erfüllt sein. Besonders ärgerlich an Punkt zwei und drei ist, dass der Anwender bei den gesperrten Programmen keinen entsprechenden Hinweis bekommt, sondern sie gar nicht erst findet.

Entwicklergeräte (Android Developer Phones) bekommen keine kopiergeschützten Anwendungen zum Download angeboten, weil Google so Raubkopien verhindern will, schließlich haben die Benutzer den vollen Zugriff auf das Handy. Allerdings hält der Market einige Android-Telefone fälschlicherweise für Entwicklergeräte, im vergangenen Sommer beispielsweise das HTC Dream, das in Deutschland als T-Mobile G1 verkauft wird. Nach einem Firmware-Update konnten die Nutzer keine kopiergeschützten Anwendungen installieren, ja sogar einige schon gekaufte Apps nicht mehr aufrufen. Den Fehler konnte Google nach wenigen Stunden beseitigen.

Für einige Besitzer des Motorola Milestone war die Lösung nicht so einfach: Wer sein Milestone nicht bei den offiziellen Vertreibern O2, Vodafone oder The Phone House gekauft hatte, musste wochenlang mit der eingeschränkten App-Auswahl leben. Google und Motorola schoben sich gegenseitig den Schwarzen Peter zu. Erst das Update auf die Version 2.0.1 beseitigte das Problem – allerdings nicht sofort nach Einspielen des Updates, sondern auch wieder erst mit einigen Stunden Verzögerung. Einigen Anwendern half selbst das nicht: So berichtete ein Luxemburger Leser, dass die Einschränkung nach dem Update weiter bestehe, wenn er seine LUXGSM-SIM-Karte in das von O2 gelieferte Milestone einlegt.

Auch das Acer Liquid gehört zu den eingeschränkten Geräten, wobei Acer seit Wochen auf Anfragen von c’t nicht antwortet – Abhilfe ist also nicht in Sicht.

Offensichtlich senden die Android-Telefone eine aus Firmware-Version und SIM-ID zusammengesetzte Kennung an den Market und bekommen die vollständige App-Auswahl nur zu sehen, wenn diese Kennung bekannt ist – und beim Einpflegen der gültigen Kennungen legen Google oder die Gerätehersteller eine kundenunfreundliche Lahmheit an den Tag.

Mit einem ähnlichen Ärgernis müssen Besitzer des HTC Tattoo leben. Es bietet als erstes Android-Handy eine Bildschirmauflösung von 240 x 320 Punkten – bisher waren 320 x 480 Pixel üblich. Viele der für Android 1.5 kompilierten Anwendungen laufen auf dem Tattoo nicht, weil Google die Unterstützung für abweichende Auflösungen erst mit 1.6 eingeführt hat.

Doch im Entwicklungskit ist ein Stolperstein verborgen: Sobald der Entwickler seine Anwendung zusätzlich unter Version 1.5 testet, wird für die Versionen ab 1.6 die Unterstützung der neuen Display-Größen automatisch ausgeschaltet – der Entwickler muss sie explizit wieder freigeben. Viele Entwickler haben das noch gar nicht gemerkt; einige reparierten ihre Anwendungen erfreulich schnell, wenn sie darauf hingewiesen wurden. Ähnliche Schwierigkeiten könnten aber bei einer fehlerhaften Erkennung anderer Hardwarevoraussetzungen jederzeit wieder entstehen.

Ein eingeschränktes Milestone findet 30 Anwendungen bei „documents“, es existieren aber über 70.

Für den Benutzer ist besonders unerquicklich, dass er die irreführende Fehlermeldung erhält, die Anwendung existiere gar nicht. Google begründet das mit dem Vermeiden der schlechten „User Experience“, dass Programme nicht laufen würden, aber nachvollziehbar ist das nicht: Wenn die von Bekannten empfohlene App nicht auffindbar ist, man Tippfehler vermutet oder Fehler in der Internetverbindung sucht, dann ist das ein unangenehmeres Erlebnis, als würde man einfach auf eine Warnung stoßen, dass die App möglicherweise nicht funktioniert.

Ob das eigene Gerät eingeschränkt ist, lässt sich beispielsweise anhand der Suche nach „documents“ im Market feststellen. Die uneingeschränkten Androiden finden rund 70 Anwendungen, die dem Market nicht bekannten ungefähr die Hälfte.

Geräten ohne eine gewisse Hardware-Grundausstattung – dazu gehören unter anderem eine Kamera und ein GPS-Empfänger – verweigert Google den Zugang zum Market komplett. Davon sind Billig-Smartphones wie das Acer E110 betroffen, aber auch ganz andere Geräte wie das 10-Zoll-Netbook Acer Aspire One D250 (siehe Seite 74 in c't 7/2010) oder die Tablets mit 5-, 7- und 8-Zoll-Display von Archos. Eine Lösung seitens Google ist nicht in Sicht, jedenfalls beantwortete das Unternehmen keine unserer Anfragen – kein schönes Bild für eine weltoffene Suchmaschine.

Der einzige Ausweg besteht daher im Aufbau von alternativen App-Verzeichnissen. Immerhin erlaubt Google den Entwicklern ausdrücklich, ihre Anwendungen auch außerhalb des Market zu vertreiben. Auch ließen sich bisher auf jedem Android-Gerät alle mit dem Default-Browser auffindbaren Anwendungen installieren; mit einem File-Manager kann man auch am PC heruntergeladene Programme von SD-Card installieren.

Umfangreiche Verzeichnisse findet man unter www.androlib.com, www.androidpit.de, www.cyrket.com und www.slideme.org – ganz vollständig sind sie allerdings nicht, weil Google das uneingeschränkte Anzapfen des Market unterbindet. Auch bieten sie keine direkte Download-Möglichkeit, sondern verweisen auf die Homepages der Entwickler, was nicht jeder unterhält. Archos baut einen eigenen Download-Shop, angeblich funktioniert über die Hälfte der bisher getesteten Anwendungen problemlos mit den höheren Display-Auflösungen. Archos’ Android-App zum Zugriff auf das Verzeichnis läuft allerdings nur auf den eigenen Geräten.

Es droht also eine Fragmentierung des Anwendungsmarkts und damit eine Situation wie bei Windows Mobile und Symbian: Irgendwo gibt es vielleicht gute Anwendungen, aber der Benutzer findet sie nicht. Kaum vorstellbar, dass Google so leichtfertig den Vorteil eines zentralen App-Stores aufgibt, der ja einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren beim Hauptkonkurrenten Apple ist.

www.ct.de/1007030 (jow)