Streaming-Abmahnungen schrecken Internet-Nutzer auf

Erstmals wurde das bloße Streamen vermeintlich urheberrechtlich geschützter Filme abgemahnt. Mehr als 10.000 Betroffene soll es geben, die sich laut U+C-Rechtsanwälte auf der Webseite Redtube Schmuddel-Filmchen angeschaut haben sollen.

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Seit einigen Tagen melden sich im Netz vermehrt Betroffene, die eine Abmahnung der Regensburger Rechtsanwaltsgesellschaft Urmann + Collegen (U+C) erhalten haben. Ihnen wird vorgeworfen, urheberrechtlich geschütztes Material über die Porno-Streaming-Webseite Redtube angesehen zu haben. Wie in den Massenabmahnungen behauptet wird, stelle allein die "technisch notwendige Zwischenspeicherung ein Vervielfältigen nach § 16 UrhG" dar und stehe daher "ausschließlich dem Urheber bzw. dem Rechtehinhaber" zu. Die Beschuldigten werden aufgefordert, eine Unterlassungserklärung abzugeben und einen Betrag von 250 Euro zu bezahlen. 15,50 Euro von dieser Summe schlüsselt U+C als Schadensersatz auf, 65 Euro als nicht näher benannte "Aufwendungen für die Ermittlung". Nach Hochrechnungen sollen derzeit bereits mehr als 10.000 Menschen eine solche Abmahnung erhalten haben.

Unklar ist, ob die Betroffenen tatsächlich auf Redtube waren, oder über Malware oder fingierte Webseiten dahin geschleust wurden.

Erstmals wird damit der Konsum von Streaming-Inhalten in Deutschland abgemahnt. Rechtlich ist jedoch umstritten, ob das reine Betrachten urheberrechtlich geschützter Inhalte tatsächlich eine Urheberrechtsverletzung darstellt. Schließlich werden die Videodaten während der Wiedergabe nur im flüchtigen Speicher abgelegt, zumal der Nutzer im Unterschied zu Peer-to-Peer-Netzwerken nicht automatisch als Uploader fungiert.

Und gerade der Punkt der Vervielfältigung wird vom Gesetz für eine Urheberrechtsverletzung gefordert. Überdies müsste laut Paragraf 53 UrhG die Quelle, also im konkreten Fall der Video-Stream eine "offensichtlich rechtswidrige" Quelle sein, damit ein Urheberrechtsverstoß des Abgemahnten vorliegt. Ob dies für das Portal Redtube gilt, ist umstritten.

In den Abmahnungen verliert die Kanzlei kein Wort zur wichtigen Frage, wie der schweizerische Rechteinhaber The Archive AG an die IP-Adressen der Betroffenen gekommen ist. Auf eine am 5. Dezember gestellte Anfrage von heise online antwortete Rechtsanwalt Thomas Urmann bis heute nicht. Derzeit gibt es mehrere Theorien. Einerseits könnte Redtube selber die IP-Adressen unter juristischem Druck herausgegeben haben. Oftmals speichern One-Click-Hoster und derartige Streaming-Portale jedoch keine IP-Adressen. Redtube hat sich bis dato nicht geäußert.

Rechtsanwalt Jens Ferner zieht auch Malware in Betracht, da mehrere Betroffene offenbar dieselbe Adware auf ihren Rechnern gefunden hätten. Derzeit kursiert ebenfalls die Theorie einer Tippfehlerdomain – so sollen Nutzer über retdube.net zur korrekten redtube.com-URL des urheberrechtlich geschützten Inhalts weitergeleitet worden sein. Hinter dieser Tippfehler-URL könnte sich ein Skimming-Proxy befunden haben, der die IP-Adressen der Nutzer protokollierte.

An die Bestandsdaten der abgemahnten Anschlussinhaber ist The Archive AG über Anträge auf zivilrechtlichen Auskunftsanspruch am Landgericht Köln gekommen. Gegenüber heise online bestätigte Gerichtssprecher Dr. Christian Hoppe, dass The Archive AG im Jahr 2013 bereits rund 100 solcher Anträge gestellt hat. Dabei ging es "mal um 400, dann wieder um 1000 IP-Adressen", zu denen Auskunft von Providern verlangt worden sei.

Hoppe wies drauf hin, dass unter den vielen Kammern des Gerichts, die mit den insgesamt über 600 derartigen Anträgen pro Monat beschäftigt sind, die juristischen Meinungen auseinandergehen. Im Falle der Anträge wegen angeblicher Streaming-Verstöße haben demnach manche Kammern auch deutliche Kritik geäußert, worauf in diesen Fällen The Archive AG die Anträge wieder zurückgezogen habe.

Laut eines Urteils des Landgerichts München vom 28. Juni 2013 ist es außerdem fraglich, inwieweit Pornofilme überhaupt eine für den Urheberrechtsschutz erforderliche Schöpfungshöhe genießen. Das Gericht lehnte in dieser Verhandlung den Urheberrechtsschutz für die Filme "Flexible Beauty" und "Young Passion" ab, da sie "lediglich sexuelle Vorgänge in primitiver Weise" zeigen. Damit fehle es "an einer persönlichen geistigen Schöpfung", die für den urheberrechtlichen Schutz in Deutschland Voraussetzung ist.

Folgt man der Argumentation des Gerichts, dürfte es für die abgemahnten Filme wie "Amanda's secrets", "Dream Trip", Glamour Show Girls" sowie "Miriam's Adventures" ähnlich bestellt sein. Offenbar scheinen sich zumindest einige der abgemahnten Werke auch nicht auf der in der Abmahnung hinterlegten Adresse zu befinden. In einer uns vorliegenden Abmahnung befindet sich hinter der genannten URL nämlich nicht "Amanda's secrets", sondern ein anderer Streifen mit zu schmutzigem Titel, um ihn an dieser Stelle zu erwähnen.

Nach einer Recherche der Anwaltskanzlei Weiß & Partner soll der Deutsche Ralf Reichert aus Offenbach Mitglied des Verwaltungsrats des Rechteinhabers The Archive AG sein. Dessen Name und der seiner Firma Intergroove falle seit Jahren in Zusammenhang mit Herrn Moses Pelham und indirekt mit der mittlerweile abgewickelten Firma Digiprotect. Dazu passt, dass die Kanzlei U+C in der Vergangenheit bereits mehrfach für Digiprotect tätig war.

Rechtsanwalt Alexander Bräuer schreibt weiter: "Das Frankfurter Unternehmen Pelhams, für welches die Kanzlei Urmann und Collegen in den vergangenen Jahren unzählige Filesharing-Abmahnungen ausgesprochen hatte, hatte sich von Digiprotect in die Firma "FDUDM2 GmbH" [...] umbenannt, die zwischenzeitlich Insolvenzantrag gestellt hat [...] Herr Ralf Reichert als Geschäftsführer von Intergroove und Moses Pelham sind sich seit Jahren durch eine wohl enge Geschäftsbeziehung bekannt; die Kanzlei Urmann und Collegen in deren Mitte."

U+C machte bereits in Vergangenheit von sich reden. So versteigerte sie etwa im Jahr 2011 offene Forderungen von Abmahnungen illegaler Tauschbörsennutzungen und wollte 2012 die Namen von Nicht-Zahlern aus Abmahnungen auf seiner Webseite öffentlich anzuprangern. Letzteres wurde allerdings vom Bayerischen Landesamt für Datenschutz untersagt.

[Update 9.12.2013 - 21:49] Dem Rechtsanwalt Christian Solmecke liegt nach eigenen Angaben ein Auskunftsbeschluss des Landgerichts Köln vor. Demzufolge habe der Berliner Rechtsanwalt Daniel Sebastian Auskunft über die Adressen der Nutzer verlangt, der laut Solmecke ebenfalls "offenbar die Schweizer Rechteinhaber The Archive AG" vertrete. Im Antrag ist laut Solmecke dargelegt, dass zum Ermitteln der IP-Adressen eine Software namens GLADII 1.1.3. von der Firma itGuards Inc. verwendet wurde. Diese Software sei in der Lage, Download-Portale zu überwachen: "Protokolliert wird dabei die IP-Adresse, von welcher der Download auf dem Portal durchgeführt wird, sowie der Zeitpunkt, ab dem die Datei abgerufen wird", heißt es laut Solmecke in dem ihm vorliegenden Auskunftsantrag, der einem Antrag aus Tauschbörsenverfahren ähnelt.

Im Auskunftsantrag werde allerdings weder die konkrete Plattform, noch die Funktionsweise der Software oder die Tatsache genannt, dass es sich um ein Streaming-Portal handele. Das Landgericht Köln erstattete der The Archive AG die Auskunftsrechte für die beigefügten IP-Adressen, ohne dass es sich wohl im Klaren darüber war, dass die Auskunftsansprüche in Zusammenhang mit einem Streaming-Portal und nicht einer Tauschbörse standen. Im Beschluss ist laut Solmecke klar von "Tauschbörse" die Rede. Solmecke schlussfolgert daraus: "Fakt ist jedenfalls, dass die Auskunftsbeschlüsse aufgrund eines falschen Sachverhalts erlassen worden sind. Den Richtern [ist] es in jedem Fall vorzuwerfen, dass aus den Beschlüssen die Ermittlungsweise nicht ersichtlich ist. [...] Hinzu kommt natürlich der eklatante Fehler, dass sich die Richter mit den Sachverhalt offenbar gar nicht auseinandergesetzt haben und den Standardbeschluss bezüglich einer Tauschbörsenauskunft erlassen haben. [...] Fakt ist jedenfalls, dass auch in den anderen Verfahren, die uns vorliegen, offenbar der Auskunftsanspruch von Rechtsanwalt Daniel Sebastian für The Archive AG eingereicht worden ist. Damit lässt sich feststellen, dass die Beschlüsse schlichtweg falsch sind und eine Auskunft nie hätte erteilt werden dürfen." (mfi)