10 Jahre Raspberry Pi: Wieso ihn Millionen Menschen kaufen

Seite 2: Stiftung und Kommerz

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Der Raspi-Erfolg ruht auf einem geschickt konstruierten wirtschaftlichen Unterbau. Denn es gibt einerseits die Raspberry Pi Foundation als gemeinnützige ("charitable") Stiftung und andererseits die Handelssparte Raspberry Pi Ltd., die vor 2021 Raspberry Pi (Trading) Ltd. hieß. Die Handelssparte übernimmt Verkauf und Entwicklung der Raspis, gehört aber der Stiftung, der sie einen erheblichen Teil ihrer Erlöse für die Finanzierung spendet. 2020 waren es 3 Millionen britische Pfund (GBP), also knapp 3,6 Millionen Euro. Die Summe sinkt von Jahr zu Jahr: 2019 waren es 4 und davor noch 5 Millionen Pfund gewesen. Geschäftsberichte für 2021 liegen noch nicht vor.

Über die Stiftung wacht ein Rat aus 27 ehrenamtlichen Mitgliedern (darunter Eben Upton), der zehn Treuhänder wählt. 111 bezahlte Angestellte plus ehrenamtliche Helfer setzen die gemeinnützigen Ziele der Stiftung um, also vor allem IT-Bildung. 2020 gab die Stiftung rund 9,5 Millionen Pfund aus für Lehr- und Lernmaterial, Schulungen und (digitale) Zeitschriften wie das MagPi Magazine. Die Stiftung erhält auch Spenden und Fördermittel und konnte ihr Vermögen 2020 um 7,3 auf insgesamt 36,7 Millionen Pfund deutlich steigern.

Die Raspi-Handelssparte – hier kurz Raspi Ltd. genannt – arbeitet hingegen gewinnorientiert und zahlt an leitende Mitarbeiter auch hohe Gehälter, 27 ihrer Spitzenkräfte beziehen zwischen 120.000 und 230.000 Euro jährlich. Sie arbeiten höchst erfolgreich: Der Umsatz verdoppelte sich von 2019 auf 2020 fast auf 71,7 Millionen Pfund (85 Millionen Euro), wovon knapp 15 Prozent beziehungsweise 10,7 Millionen Pfund (13 Millionen Euro) als Bruttoertrag übrigblieben. Der durchschnittliche Ertrag pro Raspi stieg dank der teureren Raspi-4-Versionen um 13 Prozent auf 3,93 Euro. 17 Prozent des Umsatzes entfiel auf 2,9 Millionen verkaufte Zubehörteile wie Netzteile, Mäuse, Kameras und Kabel.

Die Handelssparte hat 73 Mitarbeiter, darunter 10 "Directors" und 34 Entwickler. 2020 flossen umgerechnet 3,7 Millionen Euro in die Entwicklung, 15 Prozent mehr als 2019 (3,2 Millionen). Die Stiftung hat 2021 ein Lizenzabkommen für nicht näher genannte Prozessortechnik abgeschlossen, vermutlich geht es um die ARM-Kerne des selbst entwickelten Raspberry Pi RP2040. Die jährlichen Gebühren dafür betragen rund 1,2 Millionen Euro.

Um weiter wachsen zu können, hat sich die Raspi Ltd. Ende 2021 knapp 40 Millionen Euro von zwei Investoren beschafft. Diese erhielten im Gegenzug Firmenanteile. Wegen dieser Transaktion kamen Spekulationen auf, dass die Raspi Ltd. ihren Börsengang vorbereite, was Eben Upton aber dementierte. Allerdings erhalten auch einige leitende Angestellte Firmenanteile, die treuhänderisch verwahrt werden. Kurzum: Die Raspi Ltd. arbeitet wie ein schnell wachsendes Wirtschaftsunternehmen mit gut bezahlten Fachkräften.

Raspi-Stiftung samt Handelssparte sind in der britischen Universitätsstadt Cambridge ansässig. Dort befindet sich nicht nur der Hauptsitz der Firma ARM, sondern auch eine Niederlassung der US-Firma Broadcom. Für letztere arbeitete Eben Upton von 2006 bis 2020 als "SoC Architect" und war insbesondere für den Grafikkern VideoCore zuständig. Alle Raspis nutzen Broadcom-SoCs mit ARM-Kernen und VideoCore-GPUs. Die Entwicklung quelloffener Linux-Grafiktreiber dafür hat mit den guten Kontakten der Raspi-Entwickler zu tun.

Die Firma Broadcom wurde seit 2012 mehrfach umstrukturiert. Schaut man auf ihre aktuelle Produktpalette, erschließt sich kaum noch, weshalb der Einsatz eines Broadcom-SoC für den Raspi vor zehn Jahren nahelag. Doch in Vor-Smartphone-Zeiten gehörte Broadcom zu den wichtigsten Lieferanten billiger Prozessoren sowohl für Handys als auch für Set-Top-Boxen für den TV-Empfang per Kabel und Satellit. Der BCM2835 war für Set-Top-Boxen gedacht, daher auch die Auslegung (und der Name) des VideoCore fürs Decoding von Videodaten. Auch das trug zum Raspi-Erfolg bei, denn schon früh gab es Projekte, die den Raspi in eine Medienzentrale verwandelten, etwa Kodi.

Das Sytem-on-Chip (SoC) BCM2711 vereint nicht nur vier CPU-Kerne mit einer GPU, sondern enthält auch Controller für viele Schnittstellen.

Auch die Zusatzchips für Ethernet, WLAN und Bluetooth stammten ursprünglich von Broadcom, doch deren "Wireless"-Sparte wechselte seit 2016 zweimal den Besitzer: Zunächst kaufte sie die Firma Cypress, die jedoch 2020 selbst von Infineon geschluckt wurde. Auf dem Raspi kommen keine nackten WLAN-Chips zum Einsatz, sondern mit einem Blechdeckel gekapselte Module, die gegen elektromagnetische Störungen geschirmt sind.

In jeder Raspi-Generation gibt es eine mager ausgestattete Basisversion, die hierzulande für 35 bis 40 Euro erhältlich ist (falls nicht gerade Chipkrise herrscht). Der Raspi Zero kostet sogar nur zwischen 5 und 20 Euro – trotz europäischer Fertigung. Um die Herstellungskosten zu reduzieren, sind die Platinen kompakt, haben wenige Lagen (nämlich sechs) und sind möglichst nur einseitig bestückt. Das wiederum erschwert das sogenannte "Routing", also die Anordnung von Leiterbahnen auf der Platine, vor allem für hochfrequente Signale wie bei USB 3.0, HDMI und LPDDR4-RAM. Deshalb sind Controller und Buchsen dicht nebeneinander platziert.

Die Raspi-Entwickler bauen ihre Schaltungen aus möglichst wenigen unterschiedlichen elektronischen Bauteilen auf, die sich für sämtliche Raspi-Varianten eignen. Das vereinfacht die Beschaffung und führt zu größeren Stückzahlen, also höheren Rabattstaffeln.

Raspi-Technik gibt es auch in robustem Gehäuse zur Montage auf einer Hutschiene im Schaltschrank, etwa den Revolution Pi als Steuerungscomputer.

(Bild: Kunbus)

Eine geringe Anzahl an Produktvarianten trägt zu höherer Zuverlässigkeit bei und reduziert den Aufwand zur Pflege von Firmware und Software. Dass neue Versionen von Raspberry Pi OS auch auf alten Raspis laufen, erleichtert Bastlern und industriellen Nutzern die Arbeit. Dafür nimmt die Raspi-Stiftung kleine Nachteile und zusätzlichen Aufwand in Kauf. Als mit der jüngsten Raspi-OS-Version auf Basis von Debian 11 Bullseye Probleme auftraten, schob man innerhalb weniger Wochen eine "Legacy"-Version mit Debian 10 Buster nach. Mit der sorgfältigen Linux-Pflege hebt sich der Raspi von vielen konkurrierenden Einplatinencomputern ab. Weshalb es bei solchen ARM-Systemen so aufwendig ist, verbreitete Linux-Distributionen zum Fliegen zu bringen, erläutern die Artikel "Warum es mit Upgrades bei Android hakt, erläutert an Linux beim Raspberry Pi" und "Raspberry Pi: Mainstream-Distributionen und Vanilla-Linux statt Raspbian" im Detail.

Außer Raspberry Pi OS lassen sich auch Raspi-Ableger anderer Linux-Distributionen installieren, darunter Ubuntu, Arch Linux, Kali Linux und OpenWRT. Auch NetBSD, FreeBSD, RISC OS und sogar Windows 11 laufen auf Raspis, letzteres per UEFI-Bootloader. Industriekunden finden Echtzeitbetriebssysteme wie eCos RTOS.

In ihren ersten zehn Jahren eilte die Raspberry Pi Foundation von einem Erfolg zum nächsten. Erschwingliche Preise, möglichst leicht verständliche Technik, Kompatibilität und offene Software haben im Raspiversum höchste Priorität. Auf einer soliden finanziellen Basis erschließt sich die Raspi-Stiftung neue Betätigungsfelder, beispielsweise mit dem Schülercomputer Raspi 400 und dem Mikrocontroller RP2040.

Raspi RP2040 und Pico: Neue Pfade

Der 75-Cent-Mikrocontroller RP2040 (Mitte) ist das Herzstück des Raspberry Pi Pico.

Der Mikrocontroller RP2040 ist der erste Chip, den die Raspi-Handelssparte selbst entwickelt hat und beim Auftragsfertiger TSMC mit 40-Nanometer-Technik produzieren lässt. Der RP2040 ist nicht wie normale Raspis für Linux gedacht, sondern er spielt eher in der Arduino-Liga und eröffnet ein neues Geschäftsfeld: Hersteller elektronischer Geräte sollen ihn einbauen. Der Chip kostet in großen Stückzahlen nur 75 Cent, das damit bestückte Platinchen Raspberry Pi Pico 4 Euro. Der RP2040 (Test) kommt auch auf vielen anderen Boards zum Einsatz, etwa von SparkFun und Pimoroni. Vermutlich wird es vom RP2040 in Zukunft Nachfolger geben.

Doch was kommt als Nächstes? Ob sich die Raspi-Macher an Tablets oder Notebooks wagen, ist ungewiss. Denn bei europäischer Fertigung würden solche Geräte wohl mindestens 150 bis 200 Euro kosten. Damit schießen sie weit über den Preisbereich hinaus, der den Raspi überhaupt erst attraktiv gemacht hat. Außerdem würde ein solcher Raspi-Mobilrechner mit Android-Tablets sowie den billigsten Windows- und ChromeOS-Geräten konkurrieren.

Ein komplett offengelegter Raspi mit RISC-V-Technik ist wohl noch Jahre entfernt, bis der dazu nötige Billigprozessor mit genügend Rechen- und Grafikleistung auf den Markt kommt und RISC-V-Linux weiter gereift ist. Näher liegt ein Raspi 5 mit stärkeren ARM-Kernen und mehr PCIe-Schnittstellen, etwa zum Eigenbau von NAS und Routern. Ganz sicher bleibt die Raspi-Stiftung aber ihren Bildungszielen treu – und es wäre zu wünschen, dass auch Schulen in Deutschland, Österreich und Schweiz mehr Raspis nutzen. Happy Birthday, Raspi!

(ciw)