Abgasbetrug bei Volkswagen: Fast alle Vergleiche abgearbeitet

VW hat die außergerichtlichen Verfahren nahezu komplett abgeschlossen. Für den Rest werde eine gütliche Einigung angestrebt. Zufrieden sind dennoch nicht alle.

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VW EA189

Der Dieselmotor mit der internen Bezeichnung EA189 bekam meistens ein Softwareupdate, beim 1,6-Liter-TDI wurde auch der Ansaugbereich verändert.

(Bild: VW)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Jan Petermann
  • dpa
Inhaltsverzeichnis

Volkswagen geht dem Ende der juristischen Aufarbeitung seines Abgasbetrugs auch in Deutschland langsam entgegen. Mehr als fünf Jahre nach der Aufdeckung sind die meisten Ansprüche auf Schadenersatz abgearbeitet. Das betrifft auch die außergerichtlichen Diesel-Entschädigungen. Fast alle berechtigten Kunden hätten ein Vergleichsangebot bekommen, heißt es aus dem Unternehmen. Bis Ende Februar 2021 könnten noch 5000 Kläger aus Einzelprozessen jenseits des Musterverfahrens den Vorschlag annehmen. Danach seien keine Abwicklungen mehr über die Website geplant, auf der Anwälte von Autobesitzern die Ansprüche anmelden. In den meisten Fällen sei das Geld ausgezahlt. Bei Schadenersatz außerhalb der Vergleiche könne es jedoch bedauerliche Verzögerungen geben, wie Volkswagen es ausdrückt.

Nach Grundsatzurteilen des Bundesgerichtshofs (BGH) im vergangenen Jahr hatte der Autokonzern angekündigt, Prozesse von Verbrauchern, die auf eigene Faust vor Gericht gezogen waren, gütlich zu regeln. Dabei war zunächst vor einer Gesamtzahl von etwa 55.000 die Rede. Mittlerweile sind laut Volkswagen rund 30.000 davon beendet, zu den weiteren 5000 Angeboten gibt man sich optimistisch. Unter den verbleibenden 20.000 Fällen seien vor allem solche, bei denen Kunden einen Vergleich ablehnten oder es schon Regelungen aus rechtskräftigen Urteilen gebe. Das Gros der außergerichtlichen Entschädigungen sei damit umgesetzt.

Allein in Deutschland hatten insgesamt mehrere hunderttausend Besitzer von Autos mit Dieselmotor aus dem Volkswagen-Konzern eine finanzielle Wiedergutmachung wegen des Abgasbetrugs gefordert. Sie sahen sich geprellt, weil der Dieselmotor EA189 im Straßenverkehr deutlich mehr giftige Stickoxide (NOx) ausstieß als auf dem Prüfstand. Der Betrug war im Herbst 2015 in den USA aufgeflogen, wo die Wolfsburger ihre Autos jahrelang als "besonders umweltfreundlich" bewarben. Millionen Wagen weltweit enthielten eine Software, die die Abgasnachbehandlung manipulierte. Kunden bangten um den Restwert ihrer als "sauber" beworbenen Fahrzeuge.

Chronologie des Abgas-Skandals (78 Bilder)

Mitte September 2015:  Die US-Umweltschutzbehörde EPA beschuldigt den Volkswagen-Konzern, Diesel-PKWs der Baujahre 2009 bis 2015 mit einer Software ausgestattet zu haben, die die Prüfungen auf US-amerikanische Umweltbestimmungen austrickst. Zu ähnlichen Untersuchungsergebnissen ist auch das California Air Resources Board (CARB) gekommen. Beide Behörden schicken Beschwerden an VW. (Im Bild: Zentrale der EPA in Washington D.C.)
(Bild: EPA
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Nachdem in den Vereinigten Staaten größere Beträge gezahlt worden waren, bündelten Verbraucherschützer auch hierzulande Forderungen. Vor knapp einem Jahr stand dann ein Mustervergleich zwischen Volkswagen und dem Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv). In dessen Rahmen erhielten die Besitzer je nach Fahrzeugtyp und -alter zwischen 1350 und 6257 Euro. Fast alle als rechtmäßig erachteten Ansprüche – gut 245.000 Fälle – waren bis zum Jahreswechsel 2020/2021 dem Konzern zufolge abgegolten. Kostenpunkt für Volkswagen: mehr als 750 Millionen Euro. Einige Kunden setzten allerdings auf höhere Summen und klagten daher außerhalb des Musterverfahrens. Auch angesichts eines entsprechenden BGH-Urteils, das eine sittenwidrige Schädigung sah, erklärte sich der Konzern schließlich zu weiteren Einzelvergleichen bereit.

Volkswagen bemühte sich nach eigener Darstellung stets um eine rasche Prüfung und Umsetzung. Manche Kunden berichteten jedoch auch von erheblichen Wartezeiten sowie, bei abgelehntem Vergleichsangebot und nach Urteil, teils von gerissenen Zahlungsfristen. Mitunter soll die erstrittene Summe sogar bei angeordneter Zwangsvollstreckung nicht rechtzeitig geflossen sein. In einem Fall etwa soll es von der Entscheidung eines Gerichts in Süddeutschland bis zur Ankündigung der Überweisung an die betreuende Anwaltskanzlei beinahe ein halbes Jahr gedauert haben.

Der Abgas-Skandal bei VW

"Wir haben lange gehofft, dass die Zahlung kommt", so der betroffene Kunde. Im Dezember sei der letzte Termin verstrichen, auf Anschreiben habe Volkswagen nicht reagiert. Erst Anfang dieser Woche sei das Geld nun auf dem Konto seiner Frau gelandet, Verzugszinsen würden geprüft. Es sei nicht einfach gewesen, monatelang keine Sicherheit über die zugesagte Summe zu haben – rund 10.000 Euro nach Abzug eines Nutzungsbeitrags. "Weil ich keine Rechtsschutzversicherung hatte, kamen noch Kosten für einen Prozessfinanzierer dazu." Ihm sei zuvor ebenfalls ein Vergleich angeboten worden. Er habe aber beschlossen, das eigene Gerichtsurteil abzuwarten, zumal er seinen Diesel-Golf ohnehin zurückgeben wollte.

Volkswagen räumte ein, solche Fälle könnten auftreten. Man bedauere dies, wolle Vergleiche und Urteile "so reibungslos wie möglich" abwickeln: "Jede unnötige Hürde oder Verzögerung kostet zusätzliches Geld und Nerven. Das ist für alle Seiten, insbesondere für die Kundinnen und Kunden, ärgerlich." Man habe für Vergleiche nicht zuletzt deshalb das automatisierte Online-Portal aufgesetzt. "Wenn es in Einzelfällen zu Unstimmigkeiten kommt, lassen sich diese in der Regel im direkten Kontakt mit dem Kunden oder den Anwälten sehr schnell ausräumen."

Verbraucherschützer kennen ähnliche Beispiele auch aus dem früheren Musterverfahren. Es gelinge nicht immer, das übliche Zahlungsziel von zwölf Wochen einzuhalten, heißt es. Man könne dann vermitteln und helfen, die Ursache zu klären, besonders wenn es um eine Rückabwicklung des Autokaufs außerhalb von Vergleichen gehe. Gegenstand der außergerichtlichen Einigungen war der Motor EA189. Zum neueren EA288, der laut Volkswagen keine unzulässige Abschalteinrichtung hat, gibt es auch Klagen. Hier hätten Gerichte bisher fast nur zugunsten des Herstellers entschieden. Etwa 8500 Klagen seien gerade anhängig.

Strittig war bis zuletzt die Verjährung von Schadenersatz-Ansprüchen. Der BGH deutete an: Dieselkunden, die erst 2019 oder 2020 gegen Volkswagen klagten, dürften wohl leer ausgehen. Denn im September 2015, als der Betrug öffentlich wurde, sei das Thema genügend bekannt gewesen, um vor Gericht zu ziehen. Wer damals also nachweislich wusste, dass sein Auto betroffen ist, hätte bis spätestens Ende 2018 klagen müssen.

Es soll aber weitere Verhandlungen zu Details der Verjährungsfrage geben, wie auch zur Bewertung der Software-Updates, mit denen Volkswagen die Abgasnachbehandlung nachbesserte. Ein Reizthema bleibt zudem, mit welcher Begründung Autohersteller Abschalteinrichtungen verwenden dürfen, die die Wirksamkeit der Abgasnachbehandlung etwa bei niedrigen Temperaturen drosseln. Der Europäische Gerichtshof ließ Ausnahmen für solche Software zu, aber nur, "um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen".

Umweltverbände kritisieren den sogenannten Motorschutz oft als vorgeschobene Argumentation, um hohe NOx-Werte akzeptabel erscheinen zu lassen. Anders als beim Abgasbetrug geht es hier aus Sicht der Behörden um verschiedene Rechtsauffassungen, nicht um vorsätzliche Täuschung. Auch strafrechtlich wird der Abgasskandal aber noch weiter aufgearbeitet: Besondere Aufmerksamkeit dürfte ab Ende April der Betrugsprozess gegen den ehemaligen Volkswagen-Konzernchef Martin Winterkorn bekommen.

(mfz)