Analyse: Corona zeigt, wie es mit dem Klimawandel nicht laufen darf

Seite 2: Lassen sich strenge Klimavorgaben durchsetzen?

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Erforderlich sind stattdessen entschlossene staatliche Bestimmungen und Handelsabkommen, die mittels Push-und-Pull-Strategie saubere Technologien auf den Markt bringen und die Entwicklung von Instrumenten fördern, die entweder noch nicht existieren oder viel zu teuer sind. Nach einer kürzlich veröffentlichten Studie von Forschern der Princeton-Universität müssten die USA beispielsweise sofort mit entsprechenden Maßnahmen beginnen, um auf den richtigen Weg zur wirtschaftlich gesamtheitlichen Emissionsfreiheit zu kommen.

Allein im nächsten Jahrzehnt müssten die Vereinigten Staaten unter anderem zwei Billionen Euro investieren, 50 Millionen E-Autos auf die Straßen bringen, Solar- und Windanlagen vervierfachen und die Kapazität von Hochspannungsübertragungssystemen um 60 Prozent erhöhen. Die Princeton-Analyse fand auch heraus, dass das Land sehr viel mehr Geld in Forschung und Entwicklung stecken müsste, um noch berechtigt Hoffnung haben zu dürfen, über 2030 hinaus über neue Technik zur CO2-Absaugung und CO2-Entfernung aus der Luft zu verfügen sowie über CO2-neutrale Treibstoffe und saubere industrielle Prozesse.

Nachdem die Trump-Regierung vier Jahre lang damit beschäftigt war, zahlreiche Klima- und Umweltvorschrift ungültig zu machen, ist die Wahl von Biden mit Sicherheit eine gute Nachricht für die Klimapolitik. Das neue Weiße Haus kann durch Verfügungen des Präsidenten, parteiübergreifend beschlossene Infrastrukturgesetze und zusätzliche Konjunkturmaßnahmen einige Fortschritte bewirken, welche die Finanzierung der genannten Bereiche gewährleisten.

Doch bei der gerade in den USA hochpolarisierten politischen Situation ist es schwer vorstellbar, wie strenge Klima-Vorschriften so durchgesetzt werden können, dass sie auch nur annähernd die erforderlichen Kräfte schnell genug in Bewegung setzen, zum Beispiel durch einen hohen Preis auf CO2 oder Regelwerke, die eine rasche Emissionssenkung vorschreiben.

Die gute Nachricht: Anders als in der Bankenkrise 2008 sorgen die Menschen sich Umfragen zufolge auch während der Pandemie um den Klimawandel. Doch nach einem Jahr der Angst, des Verlusts und der Isolation muss man sich fragen, wie bereit Wähler in der ganzen Welt sein werden, Maßnahmen zu begrüßen, die ihnen in den nächsten Jahren noch mehr abverlangen werden, sei es eine Sprit-Steuer, teurere Flugtickets oder die Anweisung, teure nachhaltige Technik fürs Heim einzukaufen. Schließlich, daran muss erinnert werden, werden die Welt und viele ihrer Bewohner nach der Pandemie ärmer sein.

Das Erschreckendste an 2020 war jedoch etwas anderes. Forscher und Aktivisten hatten lange angenommen – oder gehofft –, dass Menschen den Klimawandel ernst nehmen würden, sobald er echten Schaden anrichten würde. Wie ließe der sich schließlich leugnen, wie könnte man sich weigern zu handeln, sobald man selbst und die eigene Familie gefährdet sind? Die Pandemie zeigt, dass diese Logik nicht aufgeht. Selbst nachdem 300.000 Amerikaner an COVID-19 verstorben sind, bestreiten erstaunlich große Teile der Bevölkerung die Bedrohung und weigern sich grundsätzliche Gesundheitsmaßnahmen zu befolgen, also eine Maske zu tragen oder die Urlaubsreise abzusagen. Obwohl Infektionswellen auf Thanksgiving-Treffen zurückgeführt werden konnten, tummelten sich am Wochenende vor Weihnachten Millionen auf den Flughäfen. Das allein ist erschreckend, aber es sagt vor allem viel darüber aus, wie Menschen womöglich auf den Klimawandel reagieren.

Als die globalen Todeszahlen in Zusammenhang mit COVID-19 im August bei etwa 600.000 lagen, betonte Bill Gates, dass der Klimawandel für eine derartige Opferzahl bis 2060 verantwortlich sein könnte – und zwar jährlich. Bis zum Ende des Jahrhunderts könnte diese Zahl sich verfünffachen. Eines macht die Pandemie nun klar: Selbst solche Todeszahlen könnten größere Teile der Bevölkerung nicht davon überzeugen, dass der Klimawandel real und ein Eingreifen unerlässlich ist – insbesondere, da diese Fälle wohl graduell zunehmen werden. Politiker könnten immer noch Wege finden, diese Gefahren herunterzuspielen und die Thematik zu instrumentalisieren, um zu spalten, anstelle einen gemeinsamen Nenner zu finden. Möglicherweise wird einfach gelernt werden, mit den erhöhten Risiken umzugehen, insbesondere da sie unverhältnismäßig viele Menschen in den heißesten und ärmsten Gebieten dieser Welt betreffen, die den Klimawandel darüberhinaus auch noch am wenigsten zu verantworten haben.

Mit gutem Grund darf man darauf vertrauen, dass es technische und ökonomische Möglichkeiten geben wird, die meisten Risiken des Klimawandels anzugehen. Regierungen und Unternehmen werden schneller handeln und es werden große Fortschritte in der Emissionssenkung erzielt werden. Entscheidende Teile der Infrastruktur werden neu erbaut, um den zunehmenden Gefahren gerecht zu werden, und andere Regionen, zum Beispiel der globale Norden, werden sich weiterhin gut entwickeln. Manche werden sogar reicher werden.

Doch bei all dem scheint kaum jemand erkennen zu wollen, wie sehr die Zukunft der Menschheit auf Messers Schneide steht und wie kurz davor sie ist, sehr tragisch zu scheitern. Vergleicht man die aktuellen, tatsächlichen Emissionen mit den eigentlich notwendigen Werten, um schnell genug noch eine Erderwärmung von zwei Grad Celsius zu verhindern, scheint dies beinahe unmöglich. Überschreitet die Erwärmung diesen Grenzwert, könnte sie ein ganz anderes Ausmaß an Sterben, Leiden und ökonomischer Zerstörung bringen – ein Szenario, das verhindert werden könnte. Diese Erkenntnis könnte ein Ruf zu den Waffen sein.

Doch mit Blick auf 2020 ist es schwer, optimistisch zu bleiben im Hinblick auf unsere kollektive Fähigkeit, komplexe Probleme auf rationale oder auch nur menschliche Weise anzugehen – sogar oder vielleicht insbesondere in Zeiten sich gleichzeitig aufbäumender medizinischer Katastrophen. Stattdessen könnten sich damit überschneidende Naturkatastrophen die Politik nur weiter zerrütten, jedermann noch egoistischer, noch konzentrierter auf das eigene Wohlergehen und die eigene Sicherheit machen – und weniger bereit, sich für eine bessere gemeinsame Zukunft zurückzunehmen oder auch nur darin zu investieren.

(bsc)