Aus Feind mach Freund

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Die Antikörperbehandlung gibt dem neuen Organ offenbar Zeit, sich vom Transportschock zu erholen. Wenn seine Zellen keine Gefahrsignale mehr aussenden, akzeptieren die T-Zellen das fremde Organ eher, und die Antikörper können abgesetzt werden. Sollten sich diese Ergebnisse auch bei größeren Patientenzahlen bestätigen lassen, wäre viel gewonnen. Denn wenn sich die Dosierung von herkömmlichen Immunsuppressiva wie Cyclosporin A minimieren lässt, lassen auch die schädlichen Nebenwirkungen entsprechend nach.

In manchen Fällen geschieht bei Transplantationen aber auch so etwas wie ein kleines Wunder, nämlich dann, wenn der Körper das Spenderorgan spontan annimmt. Bei Lebertransplantationen tritt das in schätzungsweise 20 bis 25 Prozent der Fälle auf. "Bei Nierentransplantationen sind dagegen weltweit vielleicht 40 Patienten bekannt, die völlig ohne Immunsuppressiva auskommen und ihr Spenderorgan trotzdem nicht abstoßen", berichtet Professor Fred Fändrich, der am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein in Kiel die Abteilung für angewandte Zelltherapien leitet.

Warum manche Patienten eine solche Toleranz entwickeln und andere, wie Gunnar Leonhardt, zu starken Abstoßungsreaktionen neigen – in diesem Frühjahr mussten seine Ärzte erneute eine Attacke seines offenbar besonders aggressiven Immunsystems unter Kontrolle bringen –, haben Mediziner und Immunologen bislang noch nicht abschließend klären können. Die Forscher wissen allerdings bereits, worauf die Toleranz beruht, und wollen aus diesem Wissen Kapital schlagen: Für das Ausbleiben der harschen Abwehrreaktion ist eine Art Wächtertrupp verantwortlich, der die Armee der restlichen Immunzellen in Schach halten kann. Auf diese Weise verhindert er, dass sie den eigenen Körper angreifen und Autoimmunerkrankungen erzeugen.

Wenn es also gelingt, den Wächtertrupp zu stärken, könnte dieser womöglich auch den Angriff auf ein transplantiertes Organ verhindern. Tatsächlich konnte in Tierversuchen bereits durch die Vermehrung der Wächterzellen eine tolerante Reaktion gegenüber einem Spenderorgan ausgelöst werden. Jetzt soll eine von der EU geförderte Studie mit Nierentransplantierten klären, ob das auch bei Menschen funktioniert. Die Wächterzellen werden dazu vor der Transplantation aus dem Blut des Patienten isoliert, im Labor vermehrt und wieder zurück in die Blutbahn injiziert.

Im Idealfall hat der Patient dann schon vor der Transplantation eine um den Faktor zehn erhöhte Wächterzellen-Konzentration. Und weil sich die aufgestockten Wächtertruppen auch vermehren, könnte der Effekt, so hoffen die Forscher, sogar von Dauer sein. "Es gibt derzeit auch in Tiermodellen keinen anderen Ansatz, der so vielversprechend ist", sagt Professor Edward Geissler vom Universitätsklinikum Regensburg, der Sprecher der Studie. Der ebenfalls beteiligte Berliner Immunologe Professor Hans-Dieter Volk vom Institut für Medizinische Immunologie der Charité will allerdings nicht zu viel versprechen: "Zunächst ist unser Ziel ganz klar nur die drastische Reduzierung von immunsuppressiven Medikamenten."

Das ist Fred Fändrich bei einigen Patienten bereits gut gelungen. Er setzt dabei auf ein Spezial-Bataillon unter den Wächterzellen, die besonders aggressive Immunzellen der Körperabwehr regelrecht verspeisen können. Damit diese sogenannten "Fresszellen" aber ausschließlich diejenigen Immunzellen vertilgen, die das fremde Organ angreifen – und nicht auch all jene, die etwa Viren unschädlich machen wollen –, entnahm Fändrich die Fresszellen dem Blut der Organspender. Denn diese Zellen verteidigen dann das ihnen vertraute Organ sozusagen als Leibwächter weiterhin. Werden sie also dem Empfänger rechtzeitig vor der Transplantation injiziert, vernichten sie selektiv nur diejenigen Immunzellen, die das neue Spenderorgan angreifen würden. Fändrichs Zelltherapie hat darüber hinaus noch einen weiteren gewichtigen Vorteil: Die Fresszellen können sozusagen Nachwuchs rekrutieren und andere Immunzellen in Wächterzellen verwandeln. Das Gleichgewicht wird dadurch also auf Dauer zugunsten des Wächtertrupps verschoben.

Insgesamt hat Fändrich 18 Patienten mit dieser Zelltherapie behandelt. Zwar konnte er damit den Einsatz der Immunsuppressiva nicht ganz überflüssig machen, doch einige kommen nun schon seit drei Jahren mit einer minimalen Dosis des Immunsuppressivums Tacrolimus aus. "Alle Patienten, bei denen wir es komplett abgesetzt haben, haben eine Abstoßung erlitten", sagt Fändrich. Doch die jetzt verabreichte Dosis sei so niedrig, dass keine gravierenden Schäden zu erwarten seien.

Seine Behandlung ermöglicht allerdings auch, dass die Gewebemerkmale von Spender und Empfänger gar nicht mehr übereinstimmen müssen. So lebt ein Patient seit über einem Jahr komplikationsfrei mit der neuen Niere, die ihm ein enger Freund gespendet hatte. Auch in diesem Fall reicht eine Behandlung mit einer minimalen Dosis von Tacrolimus zur Unterdrückung einer Abstoßungsreaktion bislang aus. Wenn sich diese Behandlung in weiteren Studien bewährt, könnte der Organmangel erheblich zurückgehen, weil mehr Menschen als Spender infrage kommen.

Die Kieler und Berliner Studien liefern ermutigende Ergebnisse dafür, dass es möglich ist, mit der Geschicklichkeit eines Mechanikers korrigierend in das komplexe Getriebe des Immunsystems einzugreifen. Noch geht das nicht gänzlich ohne Medikamente, welche die Abwehr dämpfen. Doch auch so haben die Patienten schon erheblich an Lebensqualität gewonnen. (bsc)