Bahn: Die Nebenstrecke kehrt zurück

Seit Jahrzehnten legt die Deutsche Bahn abzweigende Linien still. Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen will sie mit ­Fördergeldern des Bundes reaktivieren.

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Beispiel für eine erfolgreich reaktivierte Strecke: die Schönbuchbahn nahe Stuttgart.

(Bild: Wikipedia/Silesia711)

Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Karl-Gerhard Haas
Inhaltsverzeichnis

Im Sommer 2020 forderte der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) Länder und Gemeinden dazu auf, noch vorhandene, aber nicht mehr betriebene Bahngleise wieder mit Leben zu füllen. Das Medienecho war gewaltig – aber was ist an der Forderung dran? Man sollte meinen, Strecken würden stillgelegt, wenn sie nicht wirtschaftlich sind. Doch die Dinge sind komplizierter – und ohne einen Blick auf die Geschichte kaum zu erklären.

In fast allen Ländern dieser Welt entstanden die ersten Bahnverbindungen zufällig. Tunnel und Einschnitte ins Gelände grub man mit Spitzhacke und Schaufel, weshalb viele Strecken nicht auf direktem Weg von A nach B führen, sondern in Schleifen zeitraubend Hindernisse umfahren. Zudem waren viele Strecken nicht für den Personenverkehr geplant – bis zu Beginn des Zweiten Weltkriegs baute man viele Bahnen ausschließlich, um Industriebetriebe zu beliefern, Steine aus Steinbrüchen oder Bäume aus dem Wald zu transportieren.

Vom VDV zur Reaktivierungvorgeschlagene Strecken

(Bild: VDV)

Dies wurde nach dem Zweiten Weltkrieg zum Problem. Auto, Bus und Lkw holten auf, und die Bahnhöfe lagen oft am Ortsrand, denn Lärm und Qualm der Züge wollte kaum jemand vor dem Haus haben. Für einen modernen Betrieb, mit dem Menschen in konkurrenzfähiger Geschwindigkeit reisen können, hätte die Bahn die Kurven und Kringel der Bestandsstrecken begradigen und die Bahnhöfe in die Ortsmitte verlegen müssen. Stattdessen transportierte sie ihre Passagiere lieber mit Bussen direkt in die Gemeinden und dünnte den Schienenfahrplan aus. Das machte den Zug zunehmend unattraktiv. Dass Busse viel weniger Fahrgäste als Bahnen befördern können und sie wenige Jahre später mit Pkw und Lkw gemeinsam im Stau stehen würden – so weit dachte die Bahn nicht.