Blockchance 23: Wenn der User nicht zur Blockchain will, muss sie dann zu ihm?

Der große Hype um die Blockchain ist vorbei und die User zeigen der Technik immer noch die kalte Schulter. Woran es hapert, besprach man auf der Blockchance 23.

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Teilweise sehr spärlich besuchte Blockchainpanels bei der Blockchance 23. Bei KI-Themen war mehr los.

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Blockchain-Konferenzen – woran denken Sie da? Eine Leistungsschau der Hot-Air-Industrie? Lambo-Parade der Bitcoinmillionäre? Oder eine Gelegenheit für Tech-Journalisten, sich mit Avocado-Lachs-Schnittchen satt zu essen? Für manchen Branchentreff mag das zutreffen. Aber dem dicht gepackten und vielseitigen Programm, dass die Blockchance 23 im Hamburger CCH bietet, wird man allerdings so nicht wirklich gerecht.

Technologiepositiv gesprochen ist die Konferenz eine gute Gelegenheit, dem nachzuspüren, was der Blockchain-Web3-Whatever-Sektor leider noch nicht so recht gefunden hat: ein Problem, das nichts mit Kryptowährungen und Finanzbackend zu tun hat, sondern auch normale Menschen ohne religiöse Bindung an dezentrale Transaktionsdatenbanken betrifft – und das sich dann tatsächlich besser mit Blockchain lösen lässt.

Fast acht Jahre seit dem ersten Block der Ethereumchain und 14 Jahre seit dem ersten Bitcoinblock – wo sind da all die Anwendungen, die man täglich nutzen möchte, fragte sich etwa der Entwickler Fabian Vogelsteller. In der Szene ist er eine prominente Figur, Vogelsteller gehört zu den Ethereum-Entwicklern erster Stunde, unter anderem geht der ERC-20-Tokenstandard mit auf ihn zurück, der den großen ICO-Hype 2017/18 ermöglichte. Seiner Ansicht nach liegt das Problem in der miserablen User-Experience bei der Interaktion mit Kryptodiensten. Man sei noch auf den untersten Ebenen der Technik unterwegs, hantiere mit Keys und Seedphrasen statt mit einem komfortablen Client, der die Komplexität verbirgt und einfach verpackt.

Was da hilft? Natürlich eine neue Blockchain. Vogelstellers Projekt trägt den Namen Lukso. Die will eben nicht mehr nur eine Wallet bieten, die Keys verwaltet, sondern ein echtes Accountmodell etablieren. Und zwar im Sinne eines zentralen Accounts, der geräteübergreifend funktioniert, verschiedene Profile und ein Rechtemanagement erlaubt. Das soll sich dann für alle Dienste nutzen lassen, die an die Luksochain andocken. Verschlüsselte Messenger, soziale Netzwerke, Blockchaingaming und eine etwas vage skizzierte Kreativwirtschaft und NFT-Communitys könnten sich als Ökosystem drumherum versammeln und mit dem Account zugänglich sein. Das soziale Blockchainleben sei der Usecase, der die Blockchain aus der Finanznische heben könnte, sagt Vogelsteller.

Ein Kommentar von Axel Kannenberg

Axel Kannenberg durchforstet seit 2012 für heise online die unendlichen Weiten des Internets nach News, die noch nie ein Mensch zuvor gesehen hat. Beherrscht die edle Kunst des Beleidigungsfechtens. Hat 2013 einen Döner für umgerechnet mehrere Tausend Euro genossen (nach heutigem Bitcoinkurs).

Wichtig sei auch, Nutzer nicht mit Transaktionsgebühren zu behelligen. Besser sei ein Transaktionsservice, der das übernimmt, und den man wie ein Mobilfunk-Abo bezahlt. Quasi Volumentarife für die Blockchain.

In die gleiche Kerbe schlug auch der Entwickler Piers Ridyard. Wallets bräuchten Funktionen wie den ikonischen Warenkorb klassischer Onlineshops, wo jede Transaktion eine klare Preview habe. Selbstaufbewahrung müsse nachsichtiger werden, "because people fuck up". Es brauche Recovery-Möglichkeiten für verlorene Seeds. Digitaler Besitz eines Accounts, der einem selbst gehört statt Google und Co., müsse so einfach wie möglich sein. Deshalb müsse man die Architektur ändern. Was es dafür braucht? Überraschenderweise ein weiteres Blockchainprotokoll. Ridyards Projekt trägt den Namen Radix.

Dass Nutzer sich nicht wirklich mitgenommen und als Herr ihrer Transaktionen fühlen, zeigte sich auch im anschließenden Diskussionspanel. Auf die Frage des Moderators ans Publikum, wer bei Kryptotransaktionen schon mal schwitzige Hände bekäme, meldete sich die überragende Mehrheit, auch die Hand des Autors dieser Zeilen reckte sich bekennend in die Luft. Wer nie sein Brot mit Tränen aß, wer nie seine Coins mit Angstschweiß schickte, der kennt die Blockchain nicht.

Dass die Zahl der Zuhörer in den teilweise riesigen Sälen des CCH recht überschaubar war, versinnbildlicht wohl auch ein bisschen die ausbleibende Akzeptanz im Mainstream. Fast 6000 Teilnehmer meldete der Veranstalter. Viele saßen im deutlich kleineren Raum, in dem man sich den KI-Themen widmete. Das erinnerte an alte Studientage an der Massenuniversität, wo sich die Leute bis aufs Fensterbrett stapelten. Unter ferner liefen kam dort zur Sprache, dass Blockchain und KI sich ja überaus gut befruchten könnten. Also, zum Beispiel durch fälschungssichere Dokumentation von Trainingsdaten oder KI-Agenten, die warum auch immer miteinander Kryptotransaktionen tätigen könnten. Hm, ja, interessant. Gehen wir mal weiter zum nächsten Panel.

Und zwar zur Tokenisierung aller Werte! Eins der großen Versprechen der Web3-Evangelisten ist, praktisch alles, was einen Wert hat, einfach und transparent über eine Blockchain abbilden und handeln zu können. Auch illiquide Werte wie etwa ein Kunstwerk könne man so in Tokenanteile gießen und handelbar machen. In Deutschland gibt es für Tokenwerte auch schon seit rund zwei Jahren gesetzlich geregelte Kryptowertpapiere. So richtig will das nur eben nicht abheben, weshalb das Finanzministerium Berichten nach vielleicht noch mal nachregeln will.

Worin die Startschwierigkeiten liegen, wusste man auf dem Panel. Es fehlt an einem digitalen Euro. Es fehlt an einem Distributionskanal, der tatsächlich Aufmerksamkeit zieht. Es fehlt die Superapp, die alles vereint. Es fehlt ein vereinfachtes KYC. Es fehlt an Wissensvermittlung, um den Unternehmen den Use Case klarzumachen. Und für die Frage, wer das alles machen soll, fehlt es leider an Zeit, das nächste Panel ruft.

Blockchain und Gaming, geht da vielleicht mehr? Heikel, wenn man bedenkt, dass etwa die Einführung von NFTs in Spielen unter Gamern schlichtweg als moderne Beutelschneiderei wahrgenommen wird. Für Adrian Krion vom Blockchain-Gamingstudio Spielworks wohl kein Thema. Er schwelgte in Erinnerungen an die Studentenzeit, wie er früher Gold bei Diablo farmte und mit seinem Kumpel fantasierte, dass es doch cool wäre, könne man das auch in anderen Spielen nutzen. Mit Krypto wäre das endlich möglich. Und NFTs könnten echten digitalen Besitz erlauben, mit Items, Mitgliedschaften, Abos, Spielcharakteren und so weiter. Warum das die Nutzer nicht in Scharen anlockt, blieb unklar.

Andere Teilnehmer wurden deutlicher: Die bisherigen Blockchainspiele seien gescheitert, es fehle an attraktiven Titeln, die nicht nur grindiges Play to earn böten. Bei Titeln wie Axie Infinity würden die Leute halt nur Coins farmen, verkaufen und dann von der Plattform verschwinden, da ihnen das Spiel keine weiteren Anreize schaffe. Grafik und Gameplay müssten mit klassischen Triple-A-Titeln konkurrieren können. Einfaches Onboarding, ohne dass man eine Wallet einrichten müsse, sei auch hilfreich. Später, wenn das Spiel in der Gaming-Community etabliert sei, könne man dann als Opt-in-Lösung mit der Blockchainanbindung um die Ecke kommen. Wo sich die Frage stellt: Was ist, wenn sich die Leute dann nur für das Spiel interessieren und ihnen die Blockchain herzlich egal bleibt?

Schwierig. Bleiben wir lieber bei unseren Einstiegsfragen, denn diese lassen sich leichter beantworten: Keine Lambos, keine erkennbaren Millionäre, aber viel Businessklasse und eine Dichte an weißen Turnschuhen wie beim Onlinemarketingrockstars-Festival. Auf den Blockchainstages herrschte eher kühl klimatisierte Luft vor, passend zum Kryptowinter. Reichlich heiße Luft fand sich dagegen im Raumklima der KI-Panels. Und die Schnittchen waren "nur für VIPs und Speaker" reserviert. Bahnhofs-ToGo in Hamburg Dammtor war aber auch ok.

(axk)