Der Fanatiker

Ein umstrittener Biologe an der Harvard Medical School will eine Methode entdeckt haben, das Leben zu verlängern und Alterskrankheiten zu bekämpfen. Er könnte Recht behalten. Erster Teil einer zweiteiligen TR-Reportage.

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Lesezeit: 11 Min.
Von
  • David Ewing Duncan
Inhaltsverzeichnis

David Sinclair kann sehr überzeugend sein. Das Problem, sagt ein langjähriger Kollege und akademischer Konkurrent, sei allerdings, dass er bezogen auf seine Ergebnisse manchmal "übermäßig optimistisch" wirke. "David ist brillant, aber für einen Wissenschaftler oft auch zu leidenschaftlich und ungeduldig", meint eine andere Forschungsbekanntschaft. Bis jetzt habe der Biologe aber "das Glück gehabt, dass seine Annahmen fast immer richtig" gewesen seien.

Sinclairs Grundaussage ist einfach – und klingt tatsächlich leidlich unwahrscheinlich: Er habe, sagt er, einen Jungbrunnen entdeckt. In seinem dicken australischen Akzent spricht der 38-jährige Harvard-Pathologieprofessor davon, wie er entdeckte, dass Resveratrol, ein chemischer Bestandteil von Rotwein, die Lebenserwartung von Mäusen um bis zu 24 Prozent steigern kann – und bei anderen Tieren wie Fliegen und Würmern gar um satte 59 Prozent. Sinclair hofft, dass der Stoff auch die Lebenserwartung des Menschen erhöhen wird. "Das System, das da bei Mäusen und anderen Organismen angesprochen wird, ist evolutionsgeschichtlich sehr alt, deshalb vermuten wir, dass das, was bei Mäusen abläuft, auch bei uns eine Wirkung haben sollte."

Sinclair glaubt, dass Resveratrol das Gen SIRT1 aktiviert, von dem viele Wissenschaftler annehmen, dass es bei Tieren eine wichtige Rolle bei der Regulierung der Lebenserwartung spielt. Biologen fanden heraus, dass eine erhöhte Aktivierung von SIRT1 den Alterungsprozess verlangsamen und altersbedingte Krankheiten aufhalten kann – inklusive Krebs und Herzerkrankungen. Sollte Sinclair Recht behalten, dass Resveratrol SIRT1 aktivieren kann und das Gen tatsächlich den Alterungsprozess kontrolliert, hätte er etwas wirklich Bemerkenswertes entdeckt.

Die noch immer bestehende wissenschaftliche Unsicherheit um Sinclairs Aussagen hat ihn nicht davon abgehalten, Millionen von Dollar für seine Forschung einzusammeln. 2004 brauchte er nur ein einziges Mittagessen, um den kalifornischen Philanthropen Paul Glenn zu überzeugen, mit fünf Millionen Dollar ein neues Harvard-Institut zur Untersuchung von Alterungsprozessen zu finanzieren, das Sinclair nun als Direktor leitet.

Der Australier gründete außerdem zusammen mit anderen Mitstreitern ein Start-up namens Sirtris Pharmaceuticals, das Medikamente basierend auf Resveratrol entwickeln soll. Seiner Überzeugungsarbeit ist es unter anderem zu verdanken, dass bekannte Risikokapitalfirmen 103 Millionen Dollar Investorengelder in die junge Firma steckten – mit unklarem Ausgang. Noch erstaunlicher: Das Unternehmen ging Ende Mai bereits an die Börse und sammelte weitere 62 Millionen Dollar ein.

Die Aktie stieg schnell um 20 Prozent und sorgte dafür, dass Sinclair, der immerhin ein Prozent der Aktien der Firma hält, ein hübsches potenzielles Zusatzeinkommen zu seinem Harvard-Gehalt bekam, sollte er die Papiere verkaufen. Stellt das Unternehmen tatsächlich eines Tages eine Jungbrunnen-Pille her, würde sich dies deutlich auf Sinclairs Bankkonto bemerkbar machen. "Ich bin als Mittelklasse-Kind in Sydney aufgewachsen. Als Forscher rechnete ich nie damit, reich zu werden. Jeder Bonus dieser Art kommt also unerwartet, fühlt sich natürlich ziemlich gut an", sagt er – und lässt sein übliches schüchternes Lächeln aufblitzen, das immer öfter auch selbstsichere Züge trägt.

Was Sinclair allerdings ungern hört, ist der Vorwurf mancher Kollegen, die ihn nur für einen "guten Vermarkter" halten. "Wissenschaftler werden nicht gerne Verkäufer genannt. Das ist eine Beleidigung." Dies hindert ihn aber nicht daran, an seine Arbeit zu glauben und für seine wissenschaftlichen Ideen einzustehen. Eine Tatsache steht also fest: Sinclairs Überzeugungskraft verschafft ihm einen Wettbewerbsvorteil gegenüber der wissenschaftlichen Konkurrenz – und das in einem Forschungsfeld, in dem es um viel Ruhm und Ehre, aber auch viel Geld geht. Und um eine mögliche Neugestaltung der Medizin.