Der Futurist: Amazon Baby

Was wäre, wenn wir Kinder in künstlichen Gebärmüttern heranziehen könnten?

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Der Futurist: Amazon Baby

(Bild: Mario Wagner)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Jens Lubbadeh

David Demain hatte die Amazon-App zum gefühlt fünfzigsten Mal geöffnet, obwohl er genau wusste, was sie anzeigen würde. Der Kreis um das Baby-Icon war fast geschlossen, darunter sah er den Countdown: In genau drei Stunden, vierundzwanzig Minuten und zehn Sekunden würde sein Sohn geboren werden. Endlich. Neun Monate waren verdammt lang.

"Heute ist es so weit, was?", fragte sein Kollege Andi und grinste.

David nickte.

"Zwei oder drei?"

"Nur eins."

"Was? Wieso nur eins?"

David zuckte mit den Schultern.

"Einfach so."

Der Futurist

(Bild: 

Mario Wagner

)

"Was wäre, wenn ...": TR-Autor Jens Lubbadeh und die Redaktion lassen in der Science Fiction-Rubrik der Kreativität ihren freien Lauf und denken technologische Entwicklungen in kurzen Storys weiter.

Andi schüttelte mit dem Kopf. "Wer macht denn so was? Nur eins knospen lassen? Schade um die Zeit und das Geld. Na ja. Mach doch Feierabend."

David seufzte. "Würde ich gern, aber ich ersticke in Arbeit."

"Wegen Klara?", fragte Andi, und David nickte. Klara war ihre Kollegin und hatte sich für eine natürliche Schwangerschaft entschieden. Sie war schon vor drei Monaten in Mutterschutz gegangen, was für sie alle Mehrarbeit bedeutete.

"Verdammte Ökos", sagte Andi. "Sie hätte knospen lassen können wie alle anderen auch."

Eva wartete bereits in der Kinderknospe auf David. Gebannt blickten beide auf den Bildschirm, wo ihre Nummer jeden Moment erscheinen musste.

Wenige Minuten später überreichte eine lächelnde Schwester das Baby. Es trug einen weißen Strampelanzug, in den das Amazon-Logo gestickt war.

"Wir haben ihn schon mit Ihrem Vaginalschleim eingerieben, Frau Demain, damit er ein natürliches Mikrobiom entwickelt. Können Sie stillen, haben Sie Ihre Prolaktin-Präparate genommen?"

Eva nickte.

"Gut. Muttermilch ist wichtig für sein Immunsystem. Ach, bevor ich es vergesse..." Sie holte aus ihrer Tasche zwei Nasenspray-Ampullen.

"Das müssten Sie bitte vor jedem Körperkontakt mit dem Kind nehmen. Ein Stoß genügt."

"Was ist das?", fragte David.

"Oxytocin. Es stärkt die Bindung zwischen Ihnen und dem Kind. Wenn Sie keine Fragen mehr haben, bedanke ich mich, dass Sie unseren Amazon-Knospungsdienst genutzt haben. Bitte vergessen Sie nicht, uns zu bewerten."

"Eine Frage noch", sagte Eva. "Wir sind Prime-Kunden. Erhalten wir beim zweiten Kind einen Rabatt?"

Die Schwester lächelte. "Sie haben Glück: Ihr Baby ist am Cyber Monday geboren worden. Wenn Sie noch heute ein neues Kind bestellen, erhalten Sie fünfzig Prozent Discount."

Eva sah David mit großen Augen an.

"Wollen wir, Schatz?"

Die Mutterschaft erfüllte Eva sehr. Seit drei Wochen arbeitete sie in Teilzeit. Als sie ins Büro kam, wurde sie ins Chefzimmer gerufen.

"Frau Demain", sagte ihr Chef mit gerunzelter Stirn. "Sie haben einen Antrag auf Verlängerung Ihrer Teilzeit gestellt. Können Sie mir das erklären?"

Eva war verdutzt. "Nun, wir haben uns entschlossen, ein zweites Kind knospen zu lassen."

Seine Miene wurde ärgerlich.

"Warum haben Sie nicht zwei Kinder auf einmal bestellt? Das war sehr unökonomisch von Ihnen."

"Ich verstehe nicht. Wieso ist das ein Problem?"

"Die Firma befindet sich in einer kritischen Phase, Frau Demain. Ein Jahr Teilzeit ist schon schwierig. Nun wollen Sie noch eins dazu. Das geht nicht."

Eva war völlig verdattert. "Ich arbeite seit 17 Jahren hier, meine Mutterschaft habe ich zum Wohl der Firma immer wieder aufgeschoben. Ich bin jetzt schon 51!"

Die Miene ihres Chefs blieb hart. "Tut mir leid."

Als sie das Zimmer verließ, brach sie in Tränen aus. Sie rief David an.

"Schatz, wir müssen die Bestellung stornieren."

(jlu)