Der Futurist: Andersartig

Was wäre, wenn Fortpflanzung nur nach vorheriger Erbgut-Analyse erlaubt wäre?

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht

(Bild: Illustration: Mario Wagner)

Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Jens Lubbadeh

"Wollen Sie, David Demain, die hier anwesende Frau Eva Avant, zu Ihrer rechtmäßig angetrauten Ehefrau nehmen? Sie lieben und ehren in guten wie in schlechten Zeiten, bis dass der Tod Sie scheidet?“

"Ja." David sah Eva an. Sie strahlte.

Der Standesbeamte fuhr fort.

"Wollen Sie, Frau Eva Avant, den hier anwesenden..."

Die Tür flog auf, ein Mann trat ein und reichte dem Standesbeamten einen Zettel.

"Ähm. Ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit", sagte der Standesbeamte an die Leute im Saal gerichtet. "Die Hochzeit kann nicht stattfinden. Ich bitte Sie, alle zu gehen."

Als der Saal leer war, blieben sie allein mit dem Beamten. Eva weinte. David war wütend.

"Ich verlange eine Erklärung!"

"Ich darf Sie nicht trauen", sagte der Standesbeamte. "Mehr kann ich Ihnen nicht sagen. Setzen Sie sich mit Ihrem Arzt in Verbindung."

Tags darauf suchte David seinen Arzt auf.

"Herr Demain, Sie sind bestimmt sehr aufgewühlt. Es ist so: Bei Ihrer letzten Krebsvorsorge-Untersuchung haben wir auch Ihr Erbgut untersucht. Dabei wurde zufällig entdeckt, dass Sie 24 Prozent Übereinstimmung mit Homo kubaykalensis haben. Sie sind ein Abkömmling einer anderen Menschenart."

"Das ist ein Scherz."

"Nein. Kürzlich fanden Forscher einen Unterarmknochen in der Kubayka-Höhle im Altaigebirge. Genanalysen zeigten, dass diese Urmenschen noch bis vor 10.000 Jahren gelebt haben. Sie haben eine Menge Erbgut dieser Art."

Fieberhaft überlegte David. Es stimmte, seine Familie stammte aus einem kleinen Dorf irgendwo in Russland. Sein Großvater war nach Deutschland eingewandert.

Der Futurist

(Bild: 

Mario Wagner

)

"Was wäre, wenn ...": TR-Autor Jens Lubbadeh und die Redaktion lassen in der Science Fiction-Rubrik der Kreativität ihren freien Lauf und denken technologische Entwicklungen in kurzen Storys weiter.

"Herr Demain, Sie sind etwas Besonderes. Allerdings kommt damit auch eine besondere Verantwortung..."

Der Arzt druckste herum.

"Weil es nur noch ganz wenige Vertreter von Homo kubaykalensis gibt, stehen Sie ab sofort unter Artenschutz. Sie dürfen nur noch eine Frau von Ihrer Art heiraten."

Sein Anwalt machte ihm wenig Mut: Das Arten- und Minderheitenschutzgesetz war gerade erst von der grün-schwarzen Koalition verabschiedet worden. Ein Prestigeprojekt. Ein Prozess würde lange und teuer werden. Als lebender Urmensch solle er lieber die Not zur Tugend machen. Tatsächlich erhielt David ständig Einladungen in Talkshows und Angebote für hoch dotierte Buch- und Werbeverträge.

Zudem gab es nicht nur Beschränkungen: Einmal die Woche stellten ihm Wissenschaftler eine potenzielle Partnerin vor. Es waren meist Russinnen und Angehörige seiner Art. Mit der Zeit gewöhnte David sich an diese bequeme Form des Datings. Eva, die ihn ohnehin nicht mehr sehen wollte, weil bei ihren Treffen immer der Artenschutz als Aufpasser anwesend war, hatte er bald vergessen.

Eine der Frauen gefiel ihm: Elena. Wenige Monate später standen sie vor dem Standesbeamten.

"Wollen Sie, Frau Elena Petrow, den hier anwesenden Herrn David Demain zu Ihrem rechtmäßig angetrauten..."

Ein junger Mann trat ein und unterbrach den Standesbeamten. David kam sich vor wie in einer Zeitschleife.

Einen Tag später bekam David einen Anruf von Elena. Sie weinte.

"David, sie haben sich geirrt. Ich bin eine Unterart von Homo sapiens!"

Jens Lubbadeh ist Autor mehrerer Wissenschafts-Thriller. Sein aktueller Roman heißt "Transfusion".

(jle)