Der Lichtcomputer: Wie sich mit Licht schnell rechnen lässt

Seite 2: Vorteile der Optik

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Um die Vorteile der Optik voll auszuschöpfen, haben Feldmann und seine Kollegen zudem einen Ringresonator auf ihrem Chip integriert – einen Lichtleiter in Form einer einfachen, nur einige Zehntel Millimeter großen Schleife, in der das Licht im Kreis läuft. Läuft ein einfarbiger Strahl in einen solchen Resonator hinein, kommt am anderen Ende eine Vielzahl von Strahlen mit unterschiedlichen Wellenlängen auf. Davon können dann gleich mehrere auf einmal durch die angeschlossene optische Schaltung geleitet werden, um gleichzeitig und unabhängig voneinander Matrixmultiplikationen auszuführen. "Auch die Techniken, die Lichtquelle selbst, also den Laser, auf einem solchen Chip zu integrieren, existieren bereits", ergänzt dazu Photonikexpertin Denz, die an der Arbeit nicht beteiligt war. "Dieser hohe Grad von Integration legt nahe, dass es bald auch kommerzielle Produkte zum optischen Rechnen geben wird. Die aktuellen Start-ups zeigen ja auch, dass das geht."

Tatsächlich hat das in Frankreich ansässige Unternehmen LightOn 2021 den nach eigenen Angaben ersten photonischen Co-Prozessor für Künstliche Intelligenz auf den Markt gebracht. Allerdings hält man sich dort, was Details zur Technologie und den ersten Kunden angeht, ziemlich bedeckt. Zwar hat LightOn auch wissenschaftliche Aufsätze veröffentlicht, die beschäftigen sich aber nur sehr abstrakt mit der zugrunde liegenden Technologie: Mithilfe statistisch zufälliger Mehrfachstreuung will LightOn eine Methode gefunden haben, die die Komplexität von Input-Daten drastisch verkleinert, ohne dass wesentliche Informationen verloren gehen. Das soll nachgeschalteten KI-Chips helfen, die Daten wesentlich schneller zu verarbeiten. Die "LightonAppliance" , der "am weitesten entwickelte photonische Co-Prozesser, der zurzeit am Markt ist", bringt es nach Angaben des Unternehmens auf eine "bis zu zehnfache Beschleunigung" der Berechnung.

Schematische Darstellung des photonischen Chips von Feldmann: Ein Ringresonator erzeugt Lichtsignale verschiedener Wellenlängen. Anschließend durchläuft das Licht eine Matrix aus gekreuzten Wellenleitern mit Phasenwechselmaterialien. Der Output geht dann auf ein künstliches neuronales Netz zur Mustererkennung.

(Bild: Nature)

Doch ist LightOn keineswegs das einzige Start-up, das bereits die Chance auf kommerzielle Vermarktung optischer Technologien wittert. Lightelligence etwa, ein Start-up mit Sitz in Boston, stellte Ende 2021 ihre "Photonic Arithmetic Computing Engine" (PACE) vor.

Es gibt außerdem aber dafür mehr Einblicke in die Technologie: Der photonische Chip von Lightelligence geht auf eine 2017 publizierte Arbeit zurück, in der Forscher des Massachusetts Institute of Technology (MIT) eine Reihe sogenannter Mach-Zehnder-Interferometer auf einem Chip integriert und zu einem neuronalen Netzwerk zusammengefügt haben. Diese optischen Bauelemente spalten einen Lichtstrahl an ihrem Eingang zunächst in zwei Teile auf und führen sie am Ausgang wieder zusammen. Die Geschwindigkeit, mit der sich das Licht entlang der beiden unterschiedlichen Wege ausbreitet, lässt sich gezielt verändern. So können die Positionen von Wellenbergen und Wellentälern auf den einzelnen Armen gegeneinander verschoben werden. Überlagert man anschließend das Licht beider Arme, interferieren die Strahlen konstruktiv oder destruktiv miteinander.

"Mit einem solchen Netzwerk aus Mach-Zehnder-Interferometern lässt sich im Grunde jede beliebige mathematische Operation realisieren", erklärt Rolf Drechsler, der den Forschungsbereich Cyber-Physical Systems am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz und die Arbeitsgruppe für Rechnerarchitektur an der Universität Bremen leitet. Gemeinsam mit seinem Team hat sich der Informatiker in den vergangenen Jahren mit der Synthese optischer Schaltungen beschäftigt, um, wie er sagt, über den Tellerrand zu blicken. Da sie nach aktuellem Stand der Technik am besten funktionieren und somit auch für erste kommerzielle Anwendungen am vielversprechendsten sind, setzen die Forscher dabei auf die Interferometer als Grundbausteine. Auch der Chip von Lightelligence, an dessen Entwicklung Drechsler nicht beteiligt war, kombinierte in seiner ersten Version 56 der nur etwa einen Zehntelmillimeter großen Elemente zu einem einfachen, neuronalen Netzwerk, das gesprochene Laute identifizieren konnte.

Ob sich auf diese Art irgendwann auch komplexere Netzwerke mit tausenden Neuronen realisieren lassen, ist allerdings ungewiss. So ließe sich etwa vieles noch nicht in der gewünschten Robustheit und Qualität technisch umsetzen. Zudem müsse eine kommerzielle Anwendung ja auch kompakt und entsprechend kostengünstig sein, um mit den über Jahrzehnte hinweg immer weiter optimierten Transistorschaltungen mithalten zu können. "Abgesehen von der reinen Datenübertragung sind optische Schaltungen immer noch in einem sehr frühen Stadium", sagt Drechsler.

Tatsächlich scheint der Sprung vom Labor in die Praxis auch in diesem Fall nicht ganz so einfach zu sein. Zwar hat Lightelligence bereits 2019 den ersten Prototypen eines photonischen Prozessors vorgestellt, der Tausendmal schneller war als die 2017 in Nature vorgestellte Studie. Wann ein erstes kommerzielles Produkt auf den Markt kommen wird, ist jedoch noch immer unklar. Immerhin, sagt Lightelligence-CEO Yinshen Shen, sei man zuversichtlich noch in diesem Jahr "80 bis 90 Prozent" der technischen Probleme gelöst zu haben.