Die Kondensation des Wissens

Seite 3: Die Kondensation des Wissens

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Der Wikipedia selbst verschaffte die massive Aufmerksamkeit einen Wachstumsschub. Phasenweise wuchs ihr Volumen um ein Prozent täglich. Die Zahl der Zugriffe verfünffachte sich. Die Wikipedianer gewannen einige langfristige Mitarbeiter, sahen andererseits ihr Projekt auch zunehmendem Vandalismus ausgesetzt. Der gemeine Wikipedia-Nutzer bemerkte die gestiegene Beachtung an deutlich längeren Zugriffszeiten und gelegentlich zusammenbrechenden Servern. Als die deutsche Wikipedia Anfang April als DVD erschien, schoss sie binnen Stunden auf Platz eins der Amazon-Verkaufsliste. Die erste Auflage war innerhalb von zwei Tagen ausverkauft. Inzwischen hat die Wikipedia an die 200 Sprachvarianten, seit jüngstem auch eine rätoromanische. Der Start einer sorbischen Ausgabe steht bevor. So konserviert das Projekt neben Weltwissen auch bedrohte Sprachen -- und wirkt der angloamerikanischen Kulturdominanz im Netz entgegen.

SPIEGEL ONLINE KLAUTE EINE GANZE PASSAGE

Aus dem Sprössling der digitalen Subkultur ist ein Nachschlagewerk von Weltrang geworden. Auch hauptberufliche Faktensucher wie das Team des ZDF-"heute-journals" starten ihre Recherchen routinemäßig in der Wikipedia. Renommierte Zeitungen wie die "New York Times" und die "Süddeutsche Zeitung" zitieren die Wikipedia ohne Scheu als Quelle. Die "Washington Post" soll kürzlich einen Faktenfehler aus dem englischen Wikipedia-Eintrag zum Lissabonner Erdbeben abgeschrieben haben. "Spiegel online" klaute gar eine ganze Passage zum Irak aus der Wikipedia, samt falsch gesetzter Kommas.

Der Erfolg der Wikipedia lässt immer mehr Unternehmen fragen, warum ihre IT-Systeme so kompliziert sind, wo es offenbar auch einfach geht. Wo schwerfällige und starr strukturierte Datenbankprogramme den unternehmensinternen Wissenstransfer mehr bremsen als fördern, versprechen "Enterprise Wikis" Bedienerfreundlichkeit und geringere Kosten.

"Der Charme der Wikis besteht in ihrer Einfachheit", sagt Alexander Linden, Vizepräsident für Emerging Trends and Technologies bei Gartner. "Die Lernkurve der Benutzer ist flach, und sie erzeugen wenig administrativen Aufwand." Linden schätzt, dass die "hyperverlinkten Kreidetafeln" das unternehmensinterne E-Mail-Aufkommen um immerhin "fünf bis zehn Prozent" verringern: keine Revolution, aber allemal eine sinnige Ergänzung vorhandener Systeme zum Wissensmanagement. Konkret kann etwa eine Entwicklergruppe den Stand ihres Projekts in einer Wiki darstellen. Jedes Mitglied kann sich selbst und den gemeinsamen Statusbericht auf dem Laufenden halten -- und sobald das Projekt abgeschlossen ist, ist es dokumentiert. Der professionelle Einsatz von Wikis hat schon einige Jahre Tradition. Seit 1999 nutzen die Computeradministratoren der "New York Times" Wikis zur Dokumentation ihrer Systeme. Im gleichen Jahr begann Motorola, interkontinentale Teams von Chipdesignern mit Wikis zusammenzuspannen.