"Die Plattenfirmen verstehen langsam, worum es geht"

Seite 2: "Die Plattenfirmen verstehen langsam, worum es geht"

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Was dabei sehr interessant zu entdecken war: Nachdem die Plattenfirmen uns erlaubt haben, das umzusetzen, sind die Klicks auf die "Kaufen"-Knöpfe für die verschiedenen Download-Shops auf Last.fm um 120 Prozent hochgegangen. Der Verdacht, dass die Leute kein Geld mehr ausgeben, wenn sie sich Sachen direkt anhören können, hat sich also nicht bestätigt. Sie kaufen mehr, weil sie auch mehr Musik entdecken. Last.fm ist nicht nur wie ein Downloaddienst, wo man sich seine Playlist zusammenstellt, wir präsentieren ständig neue Musik, basierend auf dem Musikgeschmack. Deshalb entdecken die Leute mehr und kaufen dadurch auch mehr.

TR: Wie läuft die Abrechnung? Haben die Labels ein besseres Standing als die einzelnen Künstler oder bekommen alle das gleiche?

Stiksel: Das läuft im Prinzip nach dem gleichen System ab. Das ist genauso wie Radio eigentlich immer schon funktioniert hat - ein Teil der Werbeeinnahmen wird einfach ausgeteilt an die entsprechenden Verwertungsgesellschaften, Plattenfirmen oder auch an die Künstler selbst. Es ist natürlich ein anderes Modell als beispielsweise bei der BBC, wo ein Song gespielt wird und sieben Millionen gleichzeitig zuhören. Dann zahlen die natürlich wesentlich mehr als wir, die einen Song an eine Person ein Mal ausliefern. Bei uns läuft die Abrechnung so, dass wirklich jeder einzelne Song wird, schrittweise in kleineren Beträgen.

TR: Wo lag der Punkt, an dem die Plattenfirmen gesagt haben, wir ziehen da jetzt mit? Die Angst, dass Musik entwertet werden könnte, galt lange als akut. Hat die Entscheidung auch mit einer neuen Generation von Musikmanagern zu tun, die das Netz besser kennen?

Stiksel: Das ist eine interessante Frage. Als wir 2002 begonnen haben, war es so, dass uns vor allem die Independent-Labels sehr stark unterstützt haben. Ich bin hier in Berlin 2002/2003 im Winter von einer Firma zur anderen gelaufen, um zu zeigen, was wir mit Last.fm vorhaben. Mit unserem Prototypen haben wir die Labels dann um ihre Musik gebeten. Die Idee dabei wurde schnell verstanden, weil sie wussten, wie schwierig es ist, ein Publikum zu finden. Die Promotion war für die kleinen Firmen immer das gleiche Problem: Sie brauchen Presse, Radiostationen, Kontakte. Dadurch, dass wir ein System haben, bei dem jeder das bekommt, was er will, können wir eine viel größere Bandbreite von Musik spielen, die keine Radiostation anbieten könnte. Die Indies haben das sofort verstanden: Super, legt los.

Die großen Plattenfirmen haben hingegen bis 2006 gebraucht, bis sie das kapiert hatten. Unsere ersten Verträge kamen Ende 2006 und basierten auf viel Überzeugungsarbeit, die wir leisten mussten. Wir haben beispielsweise argumentiert: Wir können Eure gesamte Musik im Umlauf halten, ihr habt immer nur Energie und Zeit, die letzten paar Veröffentlichungen zu promoten. Hinzu kommt auch: Wenn man eine CD kauft, erhält der Künslter einmal Geld, egal wie oft man sich das Stück anhört. Bei Last.fm macht man jedes Mal, wenn gespielt wird, einen Schnitt. Das heißt, es ist ein neues Geschäftsmodell, hier wird sozusagen kontinuierlich monetarisiert. Kaufen: Einmal bezahlt, On-Demand-Abspielen: 10.000 Mal bezahlt.

TR: Das klingt theoretisch gut, funktioniert aber nur, wenn sich die passenden Werbekunden finden lassen. Interessieren die sich für das Format?

Stiksel: Auf jeden Fall. Da gibt es verschiedene Faktoren. Erstens: Dadurch, dass es sich um Musik dreht, befinden sich die Leute mehrere Minuten lang auf einer Seite, bei Radiostationen sogar Stunden. Zweitens: Da wird nicht einfach nur die Seite minimiert, weil wir interessante Runduminformationen durchgeben zu der Musik. Da gibt es ein Künstlerfoto, eine Biografie, Eventtipps, Kommentare, eine Vernetzung zu anderen Fans. Die Leute schauen immer wieder hin. Und da ist dann auch durchaus eine Interaktion mit Werbung drin.

TR: Trotzdem - bei sozialen Netzwerken gilt Werbevermarktung Fachleuten inzwischen zum Teil als gescheitert: Die Leute wollen kommunizieren und keine Reklame sehen. Warum soll das bei Musik anders sein?

Stiksel: Es ist interessant. Bei den Social Networks frage ich mich immer, worum es da eigentlich geht. Manche verkommen schnell zu Messaging-Plattformen. Da wird es tatsächlich schwierig, eine Werbebotschaft hinein zu bringen, weil es sich um Eins-zu-eins-Kommunikation handelt. Da kann man sich nicht einfach reindrängen. Bei Last.fm ist es aber eher so, dass die Leute sich mit ihrem Musikgeschmack auf der Plattform repräsentieren - eine Kommunikation von einem an viele. Da passt Werbung viel leichter dazu. (bsc)