Die helfende Hand: KI muss kein Jobkiller sein

Seite 3: Der intelligente Datensammler

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Der Wissensarbeiter ist ein Geschöpf der postindustriellen Gesellschaft. Anders als der Stahlarbeiter schwitzt er nicht vor dem Hochofen, sondern im klimatisierten Büro am Rechner. Dafür muss er wissen, wo all die für den Job relevanten Daten liegen. Die verzweigen sich schon in mittelständischen Unternehmen mit einigen tausend Mitarbeitern in Dateisystemen mit etlichen Unterebenen wie in einem Gestrüpp. Dazu liegen die Dokumente in verschiedenen Dokumentenformaten vor: aus einer SAP-Anwendung, als Excel-Tabellen oder in PDFs. Die Suche in diesem Datengestrüpp ist aufwendiger geworden – so auch beim Energieversorger enviaM.

Doch mithilfe des Systems CoMem, kurz für "Corporate Memory", lichtet sich das Gestrüpp seit einiger Zeit. CoMem wurde am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz in Kaiserslautern entwickelt. Kern ist ein sogenannter Wissensgraph, den man sich als eine Art gezeichnetes Netz vorstellen kann, in dem heterogene Datenquellen beziehungsweise ihre Inhalte die Knoten bilden, die über bestimmte Kriterien – eine zu einem bestimmten Vorgang gehörende technische Dokumentation, die E-Mail-Korrespondenz zu einem Vertrag und so weiter – miteinander verbunden sind. Eine Art Wissensgraph existiert zwar auch im Kopf eines EnviaM-Mitarbeiters, der etwa Daten für das Flurstück eines Umspannwerks und technische Regelungen für dessen Reparatur sucht. Aber mitunter bleibt ihm nur eine Email an einen anderen Firmenstandort, um die passenden Dateien anzufordern. Doch was die Inhalte der zurückgeschickten Excel-Tabellen bedeuten, ist nicht unbedingt eindeutig, weil der Kontext fehlt oder es keine einheitlichen Formate für die Inhalte gibt.

"Mittels Deep-Learning-Algorithmen kann CoMem technische Regelungen, zum Beispiel DIN- oder VDI-Normen, in Dokumenten erkennen, extrahieren und im unternehmensweiten Wissensgraph zur Verfügung stellen", sagt Heiko Maus, der am DFKI von Anfang an an der Entwicklung von CoMem beteiligt war. Mithilfe von fallbasiertem Schließen kann sich CoMem zudem Lösungen für ein Problem „merken“ und später auf neue Probleme anwenden. Fallbasiertes Schließen praktizieren täglich Richter in aller Welt, die in alten Urteilen nachschauen, ob sich eine bestimmte Auslegung des Rechts auf den vorliegenden Fall anwenden lässt.

Praktisch wird CoMem über Plugins für Mailprogramme oder Browser aufgerufen. Kommt etwa eine Email von einem Kunden herein, analysiert CoMem deren Inhalt und listet in einer Seitenleiste innerhalb kürzester Zeit relevante Dokumente zur Kundenanfrage auf – mit inhaltlichen und Formatkategorien sowie dem relevanten enviaM-Standort versehen. Direkt ansprechbar ist CoMem zudem über den "PimoBot", Pimo steht für "Personal Information Model". Dort sind Notizen, Aufgaben und Dokumente abgelegt, die für den Mitarbeiter wichtig sind. Der Zeitgewinn ist beträchtlich: "Eine Suche nach bestimmten Dokumenten auf den Unternehmensservern, die früher vielleicht 15 Minuten gedauert hat, ist jetzt mit einem Klick erledigt", sagt Maus.

Christian Gruber, bei EnviaM für rund 3.500 Liegenschaften zuständig, hat mit Maus die Einführung von CoMem beim Energieversorger mitgeplant. "Es entlastet die Mitarbeiter deutlich", sagt Gruber. "Die Zeit, die früher für Suchen angefallen ist, können sie jetzt dafür nutzen, eine gut informierte Entscheidung zu treffen." Im Liegenschaftsmanagement arbeiten bereits 20 Mitarbeiter mit CoMem, bei der Kommunalbetreuung rund 15. Weitere EnviaM-Angestellte werden nach und nach eingearbeitet. "Wenn man die Einführung eines Systems wie CoMem frühzeitig mit den Mitarbeitern bespricht, akzeptieren sie es auch", sagt Gruber, "und sehen, dass es sie bei ihrer Wissensarbeit unterstützt."

Das System CoMem fasst Informationen über eine Liegenschaft zu einem "Wissensgraph" zusammen.

(Bild: Heiko Maus/DFKI)