Ein flotter Dreier

Das deutsche Elektro-Auto TW4XP vereint verrückte Ideen mit ernst zu nehmenden Ansprüchen auf eine Serienfertigung. Beim internationalen X-Prize-Wettbewerb um das beste Öko-Auto muss es nun zeigen, was es kann.

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Das deutsche Elektro-Auto TW4XP vereint verrückte Ideen mit ernst zu nehmenden Ansprüchen auf eine Serienfertigung. Beim internationalen X-Prize-Wettbewerb um das beste Öko-Auto muss es nun zeigen, was es kann.

Wer meint, dem Elektro-Auto TW4XP aus der nordhessischen Provinz fehle ein Rad, der irrt. Tatsächlich fehlen ihm zwei, denn auch ein Lenkrad sucht man vergebens. Stattdessen steuert der Fahrer das Gefährt mit zwei seitlich vom Sitz angebrachten Hebeln. Auch das Gaspedal hat seinen Stammplatz verlassen und sitzt nun in Form eines Druckknopfes im Griff des rechten Hebels. Lediglich das Bremspedal befindet sich noch an vertrauter Stelle im Fußraum – allerdings nur, solange dort nicht eine optional erhältliche Tretkurbel eingebaut wird, mit der ein Fahrer seinen eigenen Strom erzeugen kann. Bremsen wird er dann, wie bei einem Fahrrad, per Rücktritt.

Keine Frage: An Mut zu unkonventionellen Lösungen mangelt es den Machern des Zweisitzers nicht. Aber kann so ein exotisches Vehikel auch Grundlage für eine seriös kalkulierte Serienproduktion sein? Auf jeden Fall, meint das TW4XP-Team, und das wurde ihm sogar von einer amerikanischen Jury bestätigt: Das Dreirad ist der einzige verbliebene deutsche Beitrag zum "Automotive X-Prize", einem internationalen Wettbewerb für energiesparende Fahrzeuge. Um die zehn Millionen Dollar Preisgeld zu gewinnen, reicht es nicht, einen konkurrenzfähigen Prototypen zu bauen.

Die Teilnehmer müssen zudem durch Kostenberechnungen und Marktanalysen glaubhaft nachweisen, dass sie ab 2014 jährlich 10000 Stück ihres Wettbewerbsfahrzeugs herstellen und verkaufen können. Rund zwei Drittel der ursprünglich mehr als hundert X-Prize-Kandidaten scheiterten an dieser Hürde – das E-Dreirad blieb aber im Rennen der letzten 40. Vom Mai bis September muss der TW4XP – das Kürzel steht für "Three Wheeler for X-Prize" – nun in den USA auf Straße und Prüfstand zeigen, was er kann.

Der Zeitrahmen für das Projekt war sportlich: Erst Anfang März fand die "Hochzeit" statt, bei der Antrieb und Chassis zusammengebaut wurden. Und die ersten Probefahrten auf winterlichen nordhessischen Landstraßen erfolgten als Cabrio, weil die Verkleidung aus kohlefaserverstärktem Kunststoff noch nicht fertig war. Auf besseres Wetter zu warten kam nicht infrage: Ende April muss der Wagen in die USA verschifft werden.

Das klingt alles etwas nach dem Ergebnis einer Bastelbude, doch der Eindruck täuscht. Hinter dem TW4XP steht einer der erfahrensten deutschen Hersteller von Elektrofahrzeugen, nämlich die Fine Mobile GmbH mit Sitz im nordhessischen Rosenthal. Seit 1998 produzierte sie knapp 1000 Exemplare des "Twike", das damit nach dem "CityEL" das hierzulande am häufigsten verkaufte Elektromobil ist. Die Verwandtschaft zwischen Twike und TW4XP ist nicht zu übersehen: Beide haben drei Räder und eine optionale Tretkurbel. Beim Twike war die Kurbel allerdings ursprünglich der einzige Antrieb – es ging aus einem Projekt Schweizer Studenten hervor, die nur ein vollverkleidetes Liegerad im Sinn hatten, erst später kam der E-Motor hinzu.

Bis heute sind die Fahrrad-Gene beim Twike zu spüren: Es ist zwar mit vier bis acht Kilowattstunden auf hundert Kilometern sehr sparsam, allerdings auch nicht schneller als 85 Stundenkilometer – und das bei einem Preis von mehr als 20000 Euro. Somit kommen nur ökologische Überzeugungstäter als Twike-Kunden infrage. "Aus dieser Nische wollen wir heraus", sagt Fine-Mobile-Geschäftsführer Martin Möscheid. "Bei den Gesprächen mit Twike-Interessenten haben wir gemerkt, dass die Themen Preis, Sicherheit und Komfort doch erhebliche Hemmnisse für einen Kauf darstellen."

Da kam 2007 die Nachricht vom X-Prize gerade recht, um Motivation und Orientierung für einen marktreiferen Twike-Nachfolger zu geben. Um die Risiken der Neuentwicklung vom Stammgeschäft abzukoppeln, hat Möscheid für den TW4XP die eigene Firma E-mobile Motors GmbH gegründet, die er in Personalunion leitet. Finanziert wird die neue GmbH von insgesamt 17 Gesellschaftern, die 550000 Euro Stammkapital zusammengelegt haben.

Das Team hinter dem TW4XP ist eine bunte Mannschaft: Fünf feste und rund zwanzig freie Mitarbeiter widmen sich dem Projekt – einige davon auch als Hobby nach Feierabend. Unter ihnen Martin Möscheids Bruder Wolfgang, der in den neunziger Jahren das erste Twike nach Deutschland geholt hat; ein pensionierter BMW-Ingenieur, der sich um die Fahrwerkstechnik kümmert; einige Twike-Fahrer und -Vertriebler der ersten Stunde, die sich nicht mit einer Rolle als passive Konsumenten zufrieden geben wollen; Mitarbeiter der Uni Kassel, die über ein gemeinsames Forschungsprojekt zum Team gekommen sind. "Es ist im Moment sehr viel Idealismus im Spiel", sagt TW4XP-Sprecherin Barbara Wilms.

Gearbeitet wird am Prototypen abwechselnd in der Twike-Zentrale in Rosenthal und in angemieteten Räumen eines hessischen Gründerzentrums, weil das für die meisten Beteiligten besser zu erreichen ist. Im ersten der beiden Räume befindet sich ein improvisiertes Konstruktionsbüro mit ein paar Schreibtischen und einer mit Stellwänden abgetrennten Besprechungsecke. Im Nebenraum ist die Werkstatt untergebracht – hier steht es, das TW4XP-Wettbewerbsfahrzeug: eine flache Wanne aus matt glänzendem Aluminium, ein Überrollbügel, zwei Schalensitze und drei Räder. Direkt daneben wartet eine weitere nackte Karosserie auf ihr Innenleben – damit das Team etwas zu schrauben hat, solange das erste Exemplar in den USA ist. An Fahrräder erinnert hier nichts mehr, die aufwendigen Streben, Lenker, Dämpfer und Federelemente des Fahrwerks strahlen gediegene Ingenieurskunst aus. Vor allem die Vorderradaufhängung hat nichts mehr mit der schlichten Federgabel des Twikes zu tun. Die Felge wird nun asymmetrisch von einer sogenannten Achsschenkel-Lenkung gehalten. "Auf diese Weise hält das Rad auch beim Einfedern die Spur", sagt Möscheid.

Damit der TW4XP trotz seines einzelnen Vorderrads eine gute Straßenlage hat, muss das Gewicht möglichst weit hinten sitzen, und die Hinterachse muss gute Führungsqualitäten haben. Die Konstrukteure entschieden sich für eine "DeDion"-Achse, die geringe ungefederte Masse mit einer konstanten Radgeometrie verbindet. In diversen Prüfungen wird das Fahrwerk beim X-Prize seine Qualitäten beweisen müssen.

Zwischen den Hinterrädern sitzt ein Synchron-Elektromotor mit 17 Kilowatt Dauer- und 30 kW-Spitzenleistung (23 respektive 41 PS). Dank des Drehmoments von 500 Newtonmetern – so viel wie ein Oberklasse-Achtzylinder – konnten die Ingenieure beim Wettbewerbswagen auf ein Getriebe verzichten. Das erhöht den Wirkungsgrad. Schon 1300 Umdrehungen in der Minute reichen, um das knapp 500 Kilo leichte Gerät in 12 Sekunden auf 96 km/h zu beschleunigen und eine Spitzengeschwindigkeit von 130 km/h zu ermöglichen. Der Trend in der Automobilindustrie gehe aber zu kleineren, hoch drehenden Motoren. "Aus Verfügbarkeits- und Kostengründen überlegen wir, in der Serie einen Motor mit Getriebe zu verbauen", sagt Möscheid.

Bei der Wahl ihrer Komponenten müssen die Ingenieure oft Kompromisse eingehen. Kein Zulieferer würde für solch einen Kleinhersteller etwa eine eigene Scheinwerferserie auflegen. Die Konstrukteure bedienen sich also aus dem bestehenden Sortiment – und das ist für E-Autos nicht gerade üppig. So sind beispielsweise kaum Elektromotoren auf dem Markt, die für die Vibrationen, die Temperaturunterschiede und den Dreck im Fahrbetrieb ausgelegt sind. Also bleibt den Autobauern nichts anderes übrig, als einen normalen Industriemotor zu nehmen und ihn etwa durch zusätzliche Dichtungen straßentauglich zu machen.

Die Leistungselektronik hingegen, die in einem Kasten von der Größe eines Mikrowellenherdes über dem Motor thront, scheint wie maßgeschneidert für den TW4XP. Sie ist ein wahres Multitalent und kann wahlweise den Motor mit Drehstrom versorgen, die Batterien laden oder gespeicherten Strom zurück ins Netz zu speisen. Dabei wurde sie für eine ganz andere Anwendung entwickelt: Normalerweise dient das Kombigerät dazu, in Windrädern die Motoren für die Rotorblattverstellung anzusteuern. Ein angenehmer Nebeneffekt: Da es für die raue Umgebung in einer Windkraftanlage entwickelt wurde, ist das Gerät entsprechend robust. Der Strom für den TW4XP kommt aus Lithium-Polymer-Batterien von Sony, die im Mitteltunnel untergebracht sind. Sie speichern insgesamt 22 Kilowattstunden und sollen bei einem Verbrauch von 10 Kilowattstunden auf hundert Kilometern die vom X-Prize geforderte Mindestreichweite von 160 Kilometern weit überschreiten.

Doch bei all dieser ingenieurtechnischen Qualität – hätte es ein konventionelleres Design nicht auch getan? Warum ausgerechnet ein Dreirad? Möscheid nennt zunächst ganz praktische Gründe für den Verzicht aufs vierte Rad: Die schmale Front mache das Fahrzeug aerodynamischer, außerdem erhalte ein Three-Wheeler in den USA leichter eine Straßenzulassung. Zudem sei das einzelne Vorderrad auch ein markantes

Alleinstellungsmerkmal. Möscheid: "Wir gehen bewusst in eine Nische, aber wir glauben, dass diese Nische groß genug ist." Die Großserienhersteller würden sich, so sein Kalkül, wohl kaum in dieses Marktsegment begeben. Eine kurze Schrecksekunde gab es Anfang des Jahres dann aber doch, als Honda ebenfalls ein elektrisches Dreirad ankündigte. Dieses stellte sich dann aber als Einsitzer heraus, der dem Motorrad näher ist als dem Auto. Doch die Frage bleibt: Wie und an wen will Fine Mobile solch ein Gefährt verkaufen? Bisher lassen sich die meisten E-Autos relativ klar einem bestimmten Segment zuordnen: Spaßmobile wie Tesla oder Tango sprechen zahlungskräftige Öko-Hedonisten an. Asketische Kilowattfuchser fahren Twike oder CityEL.

Biedere Benzinumbauten wie Elektro-Mini oder -Smart umwerben pragmatische Großstädter. Und der TW4XP? Er versucht sich im Sowohl-als-auch. Als "sportliches sowie alltagstaugliches Erlebnisfahrzeug" bewirbt ihn eine Pressemitteilung. Möscheid nennt "preisbewusste Pendler" als Zielgruppe, ergänzt aber: "Es werden emotionale Gründe sein, sich für uns zu entscheiden."

Auch wenn das Team für den X-Prize glaubhaft machen musste, 10000 Stück im Jahr fertigen zu können – erst einmal visieren Möscheid und seine Mitarbeiter jährlich nur rund 2000 Stück an, und zwar zu einem Preis von je 20000 Euro, also noch knapp unter dem des Twikes. Das ist deshalb möglich, weil der TW4XP im Gegensatz zum Twike von vornherein auf die Serienfertigung ausgelegt wurde. Was nun zum Serienstart noch fehlt, ist ein Investor, der fünf Millionen Euro mitbringt. Ob für den TW4XP eine eigene Fabrik gebaut wird oder ob seine Herstellung als Auftragsarbeit vergeben wird, steht deshalb noch nicht fest.

Auf staatliche Förderung hofft Möscheid dabei nicht. Zwar hat sich die Bundesregierung zum Ziel gesetzt, bis 2020 eine Million E-Autos auf die Straßen zu bringen, und dafür im Rahmen des Konjunkturpakets II 500 Millionen Euro bereitgestellt. "Aber als wir beim Bundesumweltministerium um die Teilnahme an einer Modellregion nachgefragt haben, hieß es, dass alle Projekte schon auf dem Weg seien", so Möscheid. Er sei auch gar nicht besonders erpicht auf direkte Förderung, versichert er. Einen Zuschuss für den Kauf eines Elektrowagens hält er jedenfalls für den falschen Weg: "Vor dem Zuschuss gibt es keinen Markt, und wenn die Förderung ausläuft, ist er auch wieder tot." Stattdessen wünscht sich Möscheid, dass der Staat eine Infrastruktur für Elektroautos fördern möge – etwa durch Parkplätze mit Ladestationen. "Das findet in Deutschland aber praktisch nicht statt", so Möscheid.

Was dem Dreirad ebenfalls noch fehlt, ist ein griffiger Name – schließlich war "TW4XP" nur der Arbeitstitel. Ein Ideen-Wettbewerb im Internet, bei dem es 1000 Dollar zu gewinnen gibt, soll Abhilfe schaffen. Zumindest hier findet das Strom-Dreirad schon breiten Zuspruch: "Wir bekommen im Schnitt fünf neue Vorschläge pro Tag", sagt Barbara Wilms. (grh)